Frech wie Oskar, weise wie Einstein oder professionell wie ein Filmstar schauen sie in seine Kamera. Und verlieren bei einem Leckerli vor Freude jede Contenance. Statt das gewohnte Bild des süßen, verträumten Haustiers zu bedienen, fängt Christian Vieler (47) mit Geduld und Einfühlungsvermögen den wahren Charakter der Vierbeiner ein. Hässlich gibt es für ihn nicht. Sondern tierische Emotionen wie Freude, Überraschung, Ratlosigkeit.

Gerade hat der Fotograf für zwei Wochen ein Ferienhaus in El Toro bezogen, das er für zehn Tage in ein mobiles Fotostudio verwandelt. Wer Lust hat, kann seinen Vierbeiner von Christian Vieler - bekannt geworden mit seinen Leckerli-Fotos - ablichten lassen. Neben dem Equipment hat er seine zwei Hunde im Minibus mit auf die Insel chauffiert: Lotte, eine zwölfjährige Labradordame und Anni, eine zehn Monate alte Dobermannhündin.

Sein Erfolgsschlager, Kopfporträts, auf denen ein Hund vor dunklem Hintergrund nach einem Leckerli schnappt, ist ein Produkt des Zufalls. So erzählt es der Fotograf, der in Waltrop in Nordrhein-Westfalen lebt und arbeitet. Am Anfang seiner Karriere wollte er keine menschlichen Models für seine Fotos bemühen. Lieber ließ er Lotte im Studio Platz nehmen und schoss Hundeporträts. Nachdem die „Still Lifes" saßen, sollten es Hunde in Bewegung sein - technisch viel herausfordernder zu fotografieren. Also musste er die gemütliche Lotte in Fahrt bringen, warf ihr Leckerlis zu und drückte gleichzeitig auf den Auslöser. Was er später auf den Fotos sah, überraschte ihn selbst: „So hatte ich das Gesicht meiner Lotte noch nie gesehen."

Der gelernte Journalist und Hobbyfotograf postete die Fotos in sozialen Netzwerken. Die Bildagentur Caters News Agency wurde aufmerksam und schickte die Fotos über Nacht um die Welt. Das war 2015, die Leckerli-Fotos erschienen weltweit in großen Zeitungen und Zeitschriften. Christian Vieler erhielt Einladungen ins Frühstücksfernsehen deutscher Fernsehsender, bekam Aufträge für Bildbände und Fotokalender und Angebote als Markenbotschafter für Tierfuttermarken.

Also setzte der Autodidakt fortan noch mehr Zeit und Energie in die Hundefotografie und verfeinerte seine Technik. 2016 schmiss er seinen Job in einer Digitalagentur und verdingt sich seitdem als Hundefotograf. Das Equipment, das er für die Schnappschüsse braucht, ist überschaubar, dennoch ist alles aufs Feinste aufeinander abgestimmt: Digitalkamera, 24 mm Weitwinkelobjektiv, mehrere Blitze, dunkle Leinwand. Für das Bild setzt er sich dem Hund sehr nah gegenüber (kleine Hunde sitzen auf einer Kiste), hält die Kamera ungefähr auf Augenhöhe, wirft das Leckerli, drückt ab. Durch den Sucher schaut er für die Aufnahmen längst nicht mehr, er weiß, wann er auslösen muss. In der Regel entstehen 30 bis 40 Bilder, danach ist die Bandbreite der Hundemimiken erschöpft. Anschließend bearbeitet er die Fotos am Rechner und macht Beauty-Retouche, entfernt Schuppen, Augendreck und Sabberfäden. Größere Veränderungen nimmt er nicht vor, Maulwinkel und Augen werden nicht korrigiert oder vergrößert.

Ein Hund, der das Maul aufreißt - warum wirkt das so anziehend auf den Betrachter? „Die Nahaufnahme mit dem Weitwinkel bewirkt den perspektivischen Gag", erklärt Christian Vieler. Die Augen wirken größer, die Hundeschnauze dicker. Die Bilder bekommen Comic-Charakter. Und sie wirken spektakulär, weil das Leckerli Mimiken provoziert, die man im Alltag nicht sieht. Die Lefzen fliegen zur Seite, die Haare stehen zu Berge, Augen verdrehen sich. Das ist nicht die Sache von jedem Frauchen oder Herrchen. Als eine Freundin von Christian Vieler die Fotos Udo Walz zeigte, war Deutschlands bekannter Star-Friseur und Hundebesitzer entsetzt. So entstellt wollte er seine Lieblinge auf keinen Fall sehen. Vielen Hundefans scheint genau das zu gefallen. Dafür sprechen zumindest 127.000 Follower, die Christian Vieler auf Facebook und Instagram hat. Natürlich mache er gern auch normale Porträt-Aufnahmen von Hunden, so der Fotograf.

Bis September sei er allerdings ausgebucht, mit Leckerli-Fotos. Die Hunde reisen aus allen Ecken Deutschlands in sein Studio, kommen auch aus Holland und Belgien angefahren. Nun hat man die Möglichkeit, seinen Vierbeiner auf Mallorca ablichten zu lassen. Die einzige Voraussetzung fürs Shooting: Der Hund muss Sitz machen, sitzen bleiben und Leckerlis fangen können. Für gemütliche Rassen wie Golden Retriever, Bassets oder Doggen ist das meist kein Problem. Schon anspruchsvoller: ein aufgedrehter Mops, der von der Kiste springt, um nach dem Leckerli zu suchen, das am Maul vorbeigeflogen ist.