Entrevista | Dieter Janecek Tourismus-Koordinator der Bundesregierung

„Nicht mehr so weit reisen“: Wie sich die Bundesregierung die Zukunft des Tourismus vorstellt

Wie kann der Tourismus in Europa nachhaltiger werden? Darüber haben die EU-Länder in Palma diskutiert. Grünen-Politiker Dieter Janecek war als Tourismus-Koordinator der Bundesregierung mit dabei

Dieter Janecek am Rande des EU-Ministertreffens in Palma.

Dieter Janecek am Rande des EU-Ministertreffens in Palma. / Johannes Krayer

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Dieter Janecek ist der Koordinator für Tourismus und Maritime Seefahrt der Bundesregierung. Der Grünen-Politiker war zu Gast beim EU-Ministertreffen zum Thema Tourismus im Kongresszentrum von Palma am Dienstag (31.10.). Die MZ hat den 47-Jährigen direkt nach der Sitzung mit den Vertretern der anderen 26 EU-Länder getroffen.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus dem Treffen mit?

Es ist sehr schön zu sehen, dass wir in Europa in die gleiche Richtung unterwegs sind, gerade in Sachen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Die Länder haben ihre eigenen Herausforderungen geschildert, etwa Griechenland mit den Waldbränden. Wir sind uns einig darüber, dass sich der Tourismus nachhaltig aufstellen muss.

Welcher Aspekt hat bei den Gesprächen überwogen, der soziale oder der ökologische?

Beides. Das ist ja auch auf Mallorca ein Thema: Wenn der Tourismus vor Ort nicht auf Akzeptanz stößt, hat er Probleme. Das sieht man etwa an der Demonstration gegen den Gipfel in Palma. Mallorca hat da sicher eine Sonderstellung als Insel, auch aufgrund der großen Beliebtheit. Die Infrastruktur muss für alle wachsen, nicht nur für die Urlauber. Und was den ökologischen Aspekt betrifft: Die Natur muss geschützt werden, damit man davon später noch etwas hat.

"Ich meine damit nicht, dass die Hotelinfrastruktur wachsen soll, während den Menschen Wohnraum fehlt."

Sie sagen, die Infrastruktur muss wachsen. Wie sinnvoll ist das auf einer Insel?

Ich meine damit nicht, dass die Hotelinfrastruktur wachsen soll, während den Menschen Wohnraum fehlt. Es geht zum Beispiel um den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs dort, wo dieser noch unzureichend ist.

Sie haben die Demonstration angesprochen. Es gab auch einen sogenannten Gegengipfel. Was haben Sie davon mitbekommen?

Ich kenne die Diskussion hier vor Ort schon seit vielen Jahren. Und ich habe den Eindruck, dass sich die spanische und die balearische Regierung bemühen, auf die Sorgen der Menschen einzugehen. Man muss immer eine Balance finden, denn Mallorca profitiert ja sehr stark vom Tourismus. Und gleichzeitig ist der Wohnraum knapp. Das muss man nachhaltig gestalten, aber diese Aufgabe kann ich von Deutschland aus nicht angehen.

Haben Sie das Gefühl gehabt, dass das Thema Overtourism gerade bei den Vertretern der Mittelmeerländer für Beunruhigung sorgt?

Es war ein Signal, dass Spanien das Thema soziale Nachhaltigkeit auf die Tagesordnung gesetzt hat. In Deutschland gibt es diese Thematik auch, etwa im Alpenraum. Hinzu kommt, dass es an Personal mangelt. Es wird schwieriger, die Menschen in den Tourismussektor zu locken, die Wohnkosten vor Ort sind hoch. Das müssen wir lösen.

Mit welchen Strategien wollen Sie das erreichen?

Wir können natürlich nicht die Wohnraumsituation lösen, aber beim Thema Mindestlohn geht es bereits in die richtige Richtung. Auch beim Thema Fachkräfte und Zuwanderung tut die Bundesregierung einiges. In Sachen Tourismus vor Ort müssen sich Hotels auf den Weg Richtung grüne Standards machen. Auch die Fragen, wie der Nahverkehr ausgebaut werden und wie man der Überalterung entgegenwirken kann, muss gelöst werden. Wir müssen also Digitalisierung und Automatisierung vorantreiben und neue Arbeitskräfte finden.

Das ist auch hier nicht einfach. Die Menschen haben auf Mallorca festgestellt, dass es zwar immer mehr Urlauber gibt, der Lebensstandard der Bevölkerung aber abgenommen hat. Wie geht man dieses Ungleichgewicht an?

Die Branche muss ordentlich bezahlen. Das muss man aber vor Ort lösen, indem man ein Gleichgewicht hält zwischen den Einnahmen, die der Tourismus generiert, und den Löhnen, die man bezahlt. In Deutschland hatten wir lange Zeit in der Gastronomie auch Löhne, die nur wenig über dem Mindestlohn lagen. Das hat sich jetzt ein Stück weit geändert. Die Arbeitnehmer können inzwischen mehr verlangen. Das muss dann wiederum dazu führen, dass Qualität einen anderen Preis hat. Gleichzeitig müssen sich auch Menschen mit geringerem Einkommen weiterhin einen Urlaub leisten können. Das ist ein ziemliches Spannungsfeld, das wir lösen müssen.

"Es gibt Regionen, die wünschen sich mehr Tourismus und haben viele frei stehende Immobilien. Auf Mallorca ist das sicher anders."

Sie sagen, Sie können diese Probleme nicht vor Ort lösen. Aber welche Probleme kann die EU angehen?

Es gibt ein paar Bereiche, etwa den grenzüberschreitenden Verkehr, vor allem die Bahn. Wir wollen den grenzüberschreitenden Verkehr so stärken, dass er besser buchbar und transparenter wird. Die Datenlage ist ein weiteres Thema. Die Urlauber sollen nachschauen können, zu welcher Zeit ein Ziel nicht überlaufen ist. Auch die Kurzzeitvermietung ist ein europäisches Thema. Da können wir Transparenz schaffen, damit die Wohnungsmärkte nicht überlastet sind. Und dass, wer vor Ort regulieren möchte, das auch tun kann, weil die Datenlage bekannt ist. Auch das Thema Buchungsportale spielt eine große Rolle. Sie sind nützlich, weil die Kunden mehr Möglichkeiten haben, das Angebot zu buchen. Aber die Renditen der Plattformen dürfen nicht so hoch sein, dass der Mittelstand kaputtgeht.

Ist die Ferienvermietung der große Bösewicht im Tourismus?

Die Ferienvermietung ist notwendig. Gerade Familien können nicht immer ins Hotel, sie brauchen andere Formen von Angebot, wie auch etwa Wohnungstausch. Aber die Balance vor Ort muss stimmen. In manchen Regionen muss man regulieren.

Die richtige Lösung wird noch gesucht.

Es gibt nicht die eine Lösung. Es gibt Regionen, die wünschen sich mehr Tourismus und haben viele frei stehende Immobilien. Auf Mallorca ist das sicher anders.

"Es ist nicht die Zukunft des Tourismus, dass das Bier im Pub teurer ist als der Flug an das Reiseziel."

Aber wie will man den Buchungsplattformen beikommen? Strafen werden einkassiert.

Es gibt ja Regeln für Airbnb in Städten, zum Teil auch recht scharfe. Die muss man vor Ort umsetzen.

Was halten Sie von Tourismus-Obergrenzen?

Auch darüber sollte man vor Ort entscheiden. Wenn man mehrheitlich auf der Insel der Meinung ist, dass es zu viele Urlauber gibt, sollte man die Zahl begrenzen. Oder zumindest besser steuern mit digitalen Tools.

Stichwort Klimawandel: Es wird im Sommer zunehmend unangenehmer auf Mallorca. Die Branche spekuliert auf eine Ausdehnung der Saison. Ist es damit getan?

Der richtige Ansatz wäre, erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass jede Reise CO2 verursacht, speziell auf einer Insel. Wir sind dabei, den Flugverkehr zu dekarbonisieren. Das wird sukzessive die Preise erhöhen. Ich habe in der heutigen Debatte auch festgestellt, dass wir uns ein Stück mehr auf Europa konzentrieren wollen. Also nicht mehr so weit reisen und wenn reisen, ein bisschen länger als ständige Kurztrips. Es ist nicht die Zukunft des Tourismus, dass das Bier im Pub teurer ist als der Flug an das Reiseziel.

Trotzdem wird mehr geflogen denn je, Flugscham kennt kaum noch jemand. Auch Privatjets haben Hochkonjunktur. Wie soll das weitergehen?

Es gibt eine breite Mittelschicht auf der Welt, die sich Flugreisen leisten kann. Die Exzesse im Privatflugbereich könnte man wahrscheinlich vor Ort regulieren. Bis Flugzeuge einen geringeren CO²-Fußabdruck haben, dauert es aber noch. Da können wir lediglich mit einem attraktiven Angebot, etwa mit der Bahn, gegensteuern.

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