"Kein Verdränger, sondern Impulsgeber": Deutscher Galerist verwandelt das Brennpunktviertel La Soledat auf Mallorca in einen Kunstbezirk

Johann Nowak krempelt La Soledat in Palma um: In leer stehenden Hallen und Werkstätten baut er einen „Art & Design District“ auf. Zu begutachten am 23. März bei einem Paella-Festival mit Open-Studios

Johann Nowak und seine rechte Hand, Nahir Fuente.

Johann Nowak und seine rechte Hand, Nahir Fuente. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Wo einst die Autolackiererei „Talleres Soledad“ war, werden sich bald Künstler austoben. Die Werkstatt im Carrer Siquier im Brennpunktviertel La Soledat ist einer von mehreren Bausteinen in einem Puzzle, das der deutsche Galerist Johann Nowak „Art & Design District Palma“ getauft hat.

Aktuell bilden vier große Hallen mit Flächen zwischen 300 und 500 Quadratmetern den Kern des Projekts zwischen dem Carrer d’Amer und dem Carrer de Fornaris. Man könnte meinen, Nowak hätte für sein Vorhaben systematisch die Peripherie nach einem passenden Standort abgesucht. Doch so war es nicht. „Ehrlich gesagt war das ein reiner Unfall“, so der Galerist.

Viele Räume für Kunst und Kultur

Die Vision eines „Kunstdistrikts“ habe er schon lange gehabt, aber nicht unbedingt für Mallorca. Sie geht auf seine Erfahrungen in Berlin Mitte kurz nach der Wende zurück, wo Nowak – ehemals selbst Künstler und Hausbesetzer – seine Galerie aufmachte. „Ich habe damals schon gesehen, was für eine unglaubliche Energie das ist, wenn man die Möglichkeit hat, in einem relativ zentralen Bereich viele Räume für die Kunst und Kultur zu haben“, sagt er. Später plante Nowak, in einer brasilianischen Favela ein Fotografie-Kultur-Haus zu eröffnen. Das Projekt scheiterte wegen Corona.

Nowak arbeitet mit der mallorquinischen Künstlerin Francesca Martí zusammen und war daher häufiger auf der Insel zu Besuch. Den US-amerikanischen Videokünstler Gary Hill holte er dazu: Hills polnische Frau wollte näher bei ihrer Familie sein, er selbst aber nicht nach Polen ziehen. Der Galerist schlug Mallorca vor, das Paar folgte der Empfehlung. Sie suchten daraufhin ein Studio und fanden eine Halle in La Soledat, im Carrer Siquier. Letztlich sprangen sie zwar doch wieder ab, Nowak aber war von den Räumlichkeiten so angetan, dass er sie schließlich selbst kaufte.

Eine der großen Hallen im Carrer de Siquier.

Eine der großen Hallen im Carrer de Siquier. / Nele Bendgens

Schritt für Schritt zum Art & Design District

Dann führte eins zum anderen: Der Galerist entdeckte das Haus direkt nebenan bei Idealista und schlug zu. Ein weiteres Gebäude mit großer Halle und direkt angrenzender Dachterrasse war gerade von einem Deutschen ausgebaut worden. Nowak nahm Kontakt zu ihm auf, die beiden wurden sich einig. So formte sich allmählich die Idee des „Art & Design District“. Nowak baut die Räume weiter aus, zudem mietete er noch ein Objekt an, wo Pau Navarro, Koch des Kultlokals Clandestí, mit einem Restaurant einziehen wird. Dann wollte auch der Nachbar direkt gegenüber seine Autowerkstatt verkaufen. Das ehemalige Arbeiterviertel, in dem auch viele Gitanos leben, wie die spanischen Roma heißen, befindet sich gerade mitten im Umbruch.

Die Räume der alten Autolackiererei "Talleres Soledad".

Die Räume der alten Autolackiererei "Talleres Soledad". / Nele Bendgens

Konfrontiert man Nowak damit, hier die Gentrifizierung eines Brennpunktviertels zu befeuern, verweist er zum einen darauf, dass dieser Prozess durch Projekte wie den Bau des neuen Sinfoniker-Sitzes im angrenzenden Neubauviertel Nou Llevant bereits in vollem Gange ist. Zum anderen sagt er: „Wir nehmen ja niemandem Wohnraum weg. Wir sind kein Verdränger, sondern ein Impulsgeber.“ Sich komplett gegen Gentrifizierung zu wehren, sei nicht zielführend. „Schlimm ist, wenn solche Projekte wie ein UFO reingehen und ihnen alles egal ist“, so Nowak, der gerade mit der Spanierin Nahir Fuente ein Team vor Ort aufbaut. Sie versuchten hier, einen Kulturbereich aufzubauen, der die Nachbarschaft integriert und Jugendliche einbezieht, sagt er.

Galerien ziehen raus aus dem Stadtzentrum

Grundsätzlich sieht sich der Galerist mit diesem Schritt als Teil eines allgemeinen Phänomens in der Kunstwelt: In den Nullerjahren seien Galerien eher Läden im Zentrum gewesen, in den vergangenen zehn Jahren habe sich das geändert. Die Tendenz ginge dahin, rauszugehen aus den Innenstädten, um in Gewerbegebieten größere Räume zu suchen. Auch Brennpunktviertel mit ihrer kulturellen Vielfalt seien interessant geworden. „Für die Künstler ist es spannender, in einem Viertel wie Pere Garau oder La Soledat zu sein als im Zentrum“, sagt Nowak.

Johann Nowak und Nahir Fuente.

Johann Nowak und Nahir Fuente. / Nele Bendgens

Im Frühjahr 2025 soll eine große Schau eröffnen, mit der die renommierte spanische Kuratorin Blanca de la Torre betraut ist. Der Titel „Chambres d’amis“ sei angelehnt an die ebenso betitelte Schau des belgischen Kurators Jan Hoet von 1986. „Für diese Ausstellung soll keine einzige Arbeit hierher geschickt werden“, erklärt Nowak. „Über die Zeit werden wir internationale Künstler als Residenten einladen. Sie werden hier Werke produzieren, die wir dann in die Ausstellung integrieren.“ Im Laufe des Jahres sollen die eingeladenen Künstler dann jeweils auch Gelegenheit haben, eine Solo-Ausstellung zu zeigen.

Zweites Paella-Festival in La Soledat

Aktuell arbeiten Gary Hill und Francesca Martí bereits in den Räumen. Die Mallorquinerin interviewte Menschen, die seit Jahrzehnten in La Soledat leben und verwendete dieses Material für eine vier Meter große Skulptur. „So haben wir auch erfahren, dass es hier früher immer Paella auf der Straße gab“, erzählt Nowak. Diese Tradition lässt er wieder aufleben: Im Oktober gab es das erste „Paella-Festival“ mit Musik, die Straße wurde abgesperrt, die Nachbarschaft kostenlos bekocht.

Die zweite Ausgabe, diesmal größer, mit mehreren professionellen Köchen und Shuttle-Bussen ab der Plaça de la Reina, ist für den 23. März geplant. Bei der Gelegenheit werden Hill und Martí auch ihre Ateliers öffnen. Nowak will bewusst keine fertige Ausstellung zeigen, damit die Hemmschwelle niedrig bleibt. Die Leute sollten sehen: Das ist „diese abgefuckte Halle, die immer noch abgefuckt ist“ – nur, dass dort eben jetzt eine Skulptur von Francesca Martí zu sehen ist.

Alle Infos: artdistrictpalma.com

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