Sie können ihre Kredite nicht mehr bezahlen, sie müssen ihre Wohnung per Zwangsräumung verlassen, verlieren die Immobilie an die Bank und sind trotzdem nicht frei von den Hypothekenschulden. So geht es seit Ausbruch der Wirtschaftskrise tausenden Bürgern auf Mallorca. Jeder Fall bedeutet eine private Tragödie. Allein auf der Insel kam es in den ersten neun Monaten des Jahres 2010 zu 1.737 Vollstreckungsverfahren. Und in ganz Spanien mussten in den vergangenen vier Jahren mehr als eine halbe Million Menschen ihre auf Pump finanzierten Immobilien wieder aufgeben.

Doch damit ist der Fall meistens nicht erledigt. „In Spanien hat die Bank das Recht, die Immobilie für die Hälfte ihres geschätzten Wertes zum Zeitpunkt der Pfändung zu übernehmen", erklärt Fachanwalt José Antonio Algaba von der Kanzlei Garrigues. Wenn der Kunde noch nicht die Hälfte des Immobilienwerts abbezahlt hat, steht er mit der Differenz weiterhin in der Schuld der Bank. Die Bank kann auch eine Zwangsversteigerung ansetzen, ist aber nicht dazu verpflichtet. Derzeit finden sich oftmals sowieso keine Käufer.

So sind Dramen wie die von Marisol Cedeño (Name geändert) möglich. Sie musste ihre Drei-Zimmer-Wohnung im Norden von Palma räumen, verlor über drei Jahre bezahlte Hypotheken-Raten, haust nun mit Mann und Kind in einem Ein-Zimmer-Apartment und sitzt dennoch auf einem Schuldenberg von 50.000 Euro. „Da wird mein Sohn noch abbezahlen, wenn ich schon unter der Erde bin", sagt die Ecuadorianerin (32).

Den Wohnungskauf im Jahr 2004 bereut sie bitterlich. Doch damals, in den Boomjahren, als die Immobilienpreise scheinbar unaufhörlich in die Höhe schossen und sie einen festen Vertrag als Verkäuferin hatte, schien der Schritt vernünftig. Cedeño bekam damals mit ihrem Netto-Gehalt bei Mercadona von 1.200 Euro problemlos einen Kredit für die volle Summe des Kaufpreises von 138.000 Euro.

Anfangs betrug die Monatsrate bereits 630 Euro, dann stieg sie auf 1.100 Euro, sie wurde arbeitslos, sie wurde schwanger, sie konnte nicht mehr. „Die Bank war auch nicht bereit, die Ratenzahlungen zeitweise zu senken oder eine andere Lösung zu finden. Sie wollten die Wohnung", sagt Cedeño. Immerhin wurde eine Zwangsversteigerung angesetzt, doch es fand sich kein Käufer.

Der Zeitwert der Immobilie bei der Pfändung lag bei 210.000 Euro, deutlich über Cedeños Kreditschuld. Doch weil die Bank die Wohnung für die Hälfte des Werts übernehmen konnte, steht sie nun weiterhin in der Kreide. Derzeit geht sie nur ein paar Stunden schwarz Putzen. Doch wenn sie wieder eine normale Stelle hat, wird ein Teil ihres Gehalts gepfändet werden.

Ähnlich erging es ihrer Freundin Beatriz Viteri (39). Sie musste mit ihrer Tochter (12) vor wenigen Wochen ihre 2006 gekaufte Wohnung in Molinar verlassen, lebt nun mit einer anderen Alleinerziehenden zusammen in einer kleinen Mietwohnung. „Ich habe den Kredit sogar mit meinem Arbeitslosengeld weiterbezahlt, bis es nicht mehr ging. Aber sie wollen noch mehr." Derzeit wartet Viteri auf die Mitteilung, wie viel sie der Bank weiterhin bezahlen muss.

„Das Gesetz, so wie es angewendet wird, schützt mehr die Bank als den Bürger", sagt Isabell Martorell, Anwältin des Verbraucherschutzverbandes für Bankkunden (Ausbanc) auf Mallorca. Sie fordert, dass bei einem Vollstreckungsverfahren immer der ursprünglich festgelegte Wert der Wohnung angesetzt wird. „Wenn die Bank ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht hat, soll doch nicht der Kunde dafür bezahlen müssen."

So denken auch immer mehr Richter in Spanien. In den vergangenen Monaten ist es trotz der bestehenden Gesetzeslage zu zwei aufsehenerregenden Urteilen in Navarra und Barcelona gekommen, wo jeweils zugunsten der Kreditnehmer entschieden wurde. Die Schuldner hatten gegen die Bank geklagt, weil sie wegen der Herabsetzung des Immobilien-Wertes weiterhin einen Rest ihres Kredits tilgen mussten. „Die Bank selbst hat das Wertgutachten erstellt. Dass sie nun unter Wert verkauft hat, kann nicht dem Schuldner zur Last gelegt werden", heißt es in dem Urteil aus Navarra vom 17. Dezember. Wenig später wurde allerdings am gleichen Gericht in einem ähnlichen Verfahren zugunsten der Bank entschieden.

Die katalanische Volkspartei Convergència i Unió (CIU) treibt im spanischen Parlament eine Gesetzesänderung voran. Danach soll ein Darlehen mit der Übergabe der Immobilie komplett getilgt werden, ohne dass weiteres Eigentum des Schuldners gepfändet werden kann. Auch die Partei Izquierda Unida und der Betroffenen-Verband Adicae fordern eine Neuregelung und orientieren sich dabei an den USA und Großbritannien. Dort sind die Schulden mit der Übergabe der Immobilie getilgt, weiteres Eigentum wird nicht gepfändet.

In Deutschland ähnelt die Gesetzeslage der spanischen. Der Kreditnehmer haftet auch mit weiteren Sicherheiten. Falls bei einer Zwangsversteigerung die Immobilie unter ihrem Wert verkauft wird, muss der Bankkunde auch dort den Kredit abzahlen.

In der Printausgabe vom 10. März (Nummer 566) lesen Sie außerdem:

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