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Niemand möchte Tourist sein – aber wer kann sich diesem Schicksal entziehen?

Der Schriftsteller Miqui Otero denkt darüber nach, dass der Tourismus eigentlich wie Ikea ist

Urlauberin an der Playa de Alcudia im Oktober 2023 (Symbolbild).

Urlauberin an der Playa de Alcudia im Oktober 2023 (Symbolbild). / Nele Bendgens

Ich merkte, dass sich niemals etwas ändern würde, als ich am 9. September 2021 in einer Bar auf der Plaça del Pi in Barcelona eine Coca-Cola bestellte. Die Kellnerin sagte mir den Preis (3,50 Euro), und ich sagte nichts. Aber mein Gesichtsausdruck veränderte sich so weit, dass sie mit bewundernswerter Ehrlichkeit eine offensichtliche Sache klarstellen wollte. „Touristenpreis, du weißt schon.“

Ich kramte nach Kleingeld im Portemonnaie und dachte darüber nach, was es eigentlich bedeutete, ein Tourist zu sein, noch dazu in einer Stadt wie Barcelona, in der zwölf Prozent des Bruttoinlandprodukts von dieser Branche abhängen. Zumal ein Tourist sich als Reisender versteht, als Weltenbummler, unruhiger Geist. Niemand sieht sich selbst als Tourist, genauso wenig, wie sich niemand der Arbeiterklasse zurechnet (sondern der unteren Mittelklasse). Vielleicht bezeichnet sich deswegen niemand als Tourist oder als Angehöriger der Arbeiterklasse, weil wir in Wirklichkeit alle Angestellte der Tourismusbranche sind.

Tourismus ist wie Ikea

Vielleicht ist der Tourismus so etwas wie Ikea (alle kaufen, verladen, transportieren und montieren Möbel), mit dem Alibi der Demokratisierung (der Reisen, der Einrichtung) und einem globalen Ansatz (in Europa sind alle Einkaufsstraßen und alle Tische des Modells „Lack“ praktisch gleich). Andererseits haben wir fast alle dieselben Möbel, und wir sind fast alle schon mit Ryanair geflogen, um ein erstes Mal London zu besuchen, was uns gleichzeitig nicht die Legitimation zu nehmen scheint, Dinge zu kritisieren, die uns irritieren.

Und trotzdem ist niemand Tourist. Wenn ich mir vorstelle, man würde an einem Fleck der Welt (in Acapulco oder im Zentrum von Prag) einen eigenen Touristenstaat ausrufen, hätte er ein schwaches Bruttosozialprodukt und es drohte ein Bürgerkrieg. Denn niemand liebte sein Land, und die Bürger würden sich gegenseitig hassen.

Miqui Otero ist Schriftsteller und Kolumnist

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