Es ist ein gefährlicher Cocktail, der jedes Jahr zwischen Mitte Februar und Ende Mai auf Mallorca gemixt wird. Bis zu 90.000 Radfahrer, meist in Gruppen auf dem Rennrad unterwegs, treffen auf mehrere hunderttausend Autos, in denen Einheimische und Touristen unterwegs sind. Enge und kurvige Straßen tun ihr Übriges. Das gegenseitige Verständnis ist nicht immer vorhanden, Unfälle vor allem in der Radler-Hochsaison sind an der Tagesordnung.

Zwölf Jahre ist es inzwischen her, dass der deutsche Bahnradsport-Bundestrainer Robert Lange auf der Insel frontal mit einem Auto zusammenstieß, das ihn beim Überholen übersehen hatte. Lange starb in einem Krankenhaus in Palma und hinterließ Frau und zwei Kinder. An diesen Unfall denkt der Bundestrainer der Behindertenradsport-Nationalmannschaft Patrick Kromer heute noch, wenn er mit seinen Teams auf der Insel unterwegs ist. Jedes Jahr im Frühjahr kommt der 33-Jährige zum Trainieren. Mehrfach ist auch er nur knapp einem Unfall entgangen.

Angst vor dem Kreisel

Vor fünf Jahren hatte ein Auto nach einem Überholvorgang mit dem rechten Außenspiegel seinen Lenker gestreift. Kromer konnte einen Sturz gerade noch verhindern. Beim Bundestrainer fährt seither immer auch ein Stück weit Angst mit, wenn er auf der Insel trainiert. „Wie stramm die manchmal auf die Kreuzungen zufahren, das ist schon Wahnsinn. Und den Sicherheitsabstand von einem Meter halten beim Überholen die wenigsten ein. Viele Autofahrer auf Mallorca sind aggressiv." Auch Kreisverkehre durchquert er mit einem flauen Gefühl im Magen, besonders die zweispurigen. „Die Autos heizen in die Kreisel rein und preschen teilweise links und rechts an dir vorbei."

Kromer räumt allerdings ein, dass sich das Verhalten der Autofahrer in den vergangenen Jahren ein wenig verbessert habe. Überhaupt finden sich relativ wenige Gesprächspartner, die allein die Autofahrer als Sündenböcke sehen. Selbst Max Hürzeler, ehemaliger Steherweltmeister und Besitzer des Marktführers Bicycle Holidays, lobt zunächst einmal die mallorquinischen Autofahrer und macht die Radfahrer auf der Insel für die Spannungen verantwortlich. „Es gibt eindeutig zu viele von ihnen auf Mallorca", stellt er fest. „Oft sind es Vereine, die keinen wirklichen Guide dabei haben. Die heizen manchmal, was das Zeug hält."

Die Faktoren Sonne, Urlaub und schöne Landschaft wirkten wie eine Droge: „Dann blenden manche alles andere aus oder fahren Rennen." Hürzeler ist naturgemäß von der Disziplin seiner Gruppen überzeugt, kann aber nicht ausschließen, dass sich einzelne Radfahrer, die bei ihm mieten, auf der Straße aufführen wie die Axt im Wald.

Lob an die Autofahrer

Auch Elke Krüger und Karin Krebs können nichts Schlechtes über die Autofahrer sagen. Die beiden Deutschen sind vor wenigen Tagen unabhängig voneinander nach Radurlauben auf Mallorca wieder in die Heimat zurückgekehrt. Beide berichten nur Positives. „Die Autofahrer haben ja teilweise selbst Angst um ihr Leben", sagt Elke Krüger. Sie erklärt sich einen Teil der Spannungen damit, dass Rennradfahrer wegen des Fahrtwindes die herannahenden Autos häufig nicht hören – und dies den Autofahrern nicht bewusst sei. Auch Karin Krebs lobt eher die Autofahrer: „In Deutschland sind sie nicht so rücksichtsvoll. Hier sind sie teilweise kilometerlang hinter uns hergefahren und dabei völlig ruhig geblieben."

Etwas ungehaltener hätten lediglich zwei ältere Damen auf dem mittwöchlichen Wochenmarkt von Sineu reagiert. Krebs war zusammen mit ihrem Partner vom Rad gestiegen und schob ihr Rad über den Markt. „Neben uns haben sich zwei ältere Mallorquinerinnen darüber aufgeregt. Als ich das Rad an einer vorbei schob, hat sie mir auf den Hintern geschlagen."

Die Nerven liegen blank

Andersherum werden die Radfahrer von den Autofahrern oft als rücksichtslos, selbstherrlich und manchmal sogar aggressiv wahrgenommen. Die Nerven liegen häufig blank, wie die Geschichte von Thomas Luke belegt. Der Mallorca-Resident wurde Ende Februar von drei rabiaten Radlern verprügelt. Luke war mit dem Auto in Santa Eugènia unterwegs, vor ihm eine Gruppe von drei Rennradfahrern. Er hupte kurz, um sich nach eigenen Angaben bemerkbar zu machen und ein Überholmanöver anzukündigen. Die Radler verstanden dies offensichtlich als Aggression und blockierten nebeneinander herfahrend die Straße.

Als Luke schließlich doch überholen konnte und etwa 500 Meter weiter auf einen Parkplatz abbog, holten ihn die Radler ein und griffen ihn an. „Der Hauptangreifer ließ sein Fahrrad gegen ein Auto fallen und stürzte sich auf mich. Mit der geballten Faust schlug er auf mich ein und brüllte ¡te mato! (ich bring´ dich um). Auch als ich schon am Boden lag und blutete, trat er weiter auf mich ein", berichtet der Resident, der jetzt auf den Gerichtstermin Ende April wartet.

Seit 15 Jahren lebt Luke nun auf Mallorca, aber einen Angriff wie diesen habe er bisher noch nicht erlebt. Das Verhalten einiger Radfahrer allerdings mache ihm große Sorgen. „Fast täglich sehe ich gefährliche Situationen, weil die Radfahrer glauben, für sie gelten keine Verkehrsregeln."

Auch andere Autofahrer berichten gegenüber der MZ von Beinahe-Unfällen und Aggressionen. Stinkefinger und Beleidigungen gebe es immer wieder. Dabei seien die meisten doch im Urlaub, und es wäre so einfach, mit ein bisschen gegenseitiger Rücksicht eine Eskalation zu vermeiden.

Wobei: „Im Endeffekt sind es immer die Radfahrer, die den Kürzeren ziehen", gibt BehindertenRadsport-Trainer Patrick Kromer zu bedenken.