Die Dorfältesten im Ort Consell können sich vielleicht noch dunkel erinnern, wie es gewesen war – damals, vor dem Jahr 1929, als man noch zusammen mit Alaró eine Gemeinde bildete. Die beiden Dörfer im Zentrum Mallorcas trennen nur vier Kilometer, zusammen hätten beide Gemeinden heute etwas mehr als 10.000 Einwohner. Das ist ziemlich genau die Zahl, die der Europarat kürzlich als unteres Limit für die Kommunen empfahl. Weniger bedeute einen Mangel an Effizienz. Und die könne sich in Zeiten der Haushaltskrise kein Bürgermeister leisten.

Würde man die Vorgabe von mindestens 10.400 Einwohner auf Mallorca anwenden, müssten sich 37 der 53 Gemeinden auf Mallorca nach einem Partner umschauen. Vor allem in der Tramuntana an der Nordküste sowie im Zentrum der Insel würden reihenweise Gemeindegrenzen ausradiert werden.

Doch allein der Gedanke daran ist für praktisch alle Bürgermeister ein Albtraum. Mit den Nachbarn aus Alaró gemeinsam die Fiestas ausrichten? Dem Bürgermeister von Consell schaudert es. „Das käme einer Kriegserklärung gleich", sagt Andreu Isern. „Ich würde höchstpersönlich mit der Fahne von Consell losmarschieren, um das zu verhindern." Denkbar wäre höchstens, Alaró in Consell aufgehen zu lassen.

Die Brüsseler Argumente überzeugen praktisch in keinem Rathaus auf Mallorca. Auch nicht in Escorca mit seinen knapp 300 Einwohnern, wo der Bürgermeister nicht einmal eigene Diensträume hat und diese im Kloster Lluc anmieten muss. „Wir sind ­autark", sagt Toni Solivellas (Volkspartei, PP). „Wir haben praktisch keine Schulden. Sollen doch die ­fusionieren, die nicht wirtschaften konnten." Der Bürgermeister führt aber auch praktische Gründe an. So gehöre Escorca zu den ausgedehntesten und unwegsamsten Gemeinden Mallorcas. „Sollen dann die Müllwagen von Pollença nach Sa Calobra und auf den Puig Major kurven? Die weiten Wege machen uns doch schon zu schaffen."

Der 800-Seelen-Ort Ariany hat sich erst vor drei Jahrzehnten von Petra getrennt – das selbst nur rund 3.000 Einwohner hat. Wenn einige so könnten, wie sie wollten, würde es demnächst sogar noch mehr Gemeinden auf ­Mallorca geben. Miquel Cifre (PSOE), Bürgermeister von Santa Margalida, hätte keine Probleme damit, den Ortsteil Can Picafort ziehen zu lassen. „In diesem Land haben wir auch so schon genügend Zentralismus." Und Küstenorte in der Großgemeinde Manacor wie Cales de Mallorca fühlen sich schon länger von ihrem Rathaus vernachlässigt.

So leicht können die Gemeinden jedoch die Forderungen nach mehr Effizienz nicht wegschieben. Viele Kommunen sind hoch verschuldet, nachdem sie in den vergangenen Jahren über ihre Verhältnisse gelebt haben und ein geringeres Steueraufkommen hinnehmen müssen. Zwar will die spanische Zentralregierung den klammen Gemeinden Geld vorstrecken, um die offenen Rechnungen zu bezahlen. Die Hälfte der Rathäuser Mallorcas will diese Hilfe annehmen. Doch der Preis dafür ist ein striktes Sparprogramm. Und mit der Streichung von Subventionen, sparsameren Fiesta-Programmen oder behutsamen Steuererhöhungen ist es diesmal nicht getan.

Das Sparpotenzial durch Gemeindefusionen wäre nach Berechnung der Consultingfirma Russell Bedford gewaltig. Sie schlägt vor, dass Kommunen mit weniger als 5.000 Einwohnern zusammengelegt werden sollten. Wenn zudem Dienstleistungen ausgelagert und privatisiert würden, ließen sich in Spanien 40 Prozent des Haushaltsdefizits der Kommunen einsparen. „Ab 5.000 Einwohner lässt sich eine vernünftige Verwaltung aufbauen", meint auch Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds.

Mehr als 4.000 Gemeinden seien wirtschaftlich auf dem Holzweg, heißt es im spanischen Ministerium für öffentliche Verwaltung. „Schauen Sie sich mal an, wie viele Einwohner die Gemeinden unserer Nachbarländer haben", sagte vor kurzem Staatsminister Antonio Beteta. Pläne für Fusionen wurden bislang in Galicien, Valencia und Asturien bekannt.

Nach dem Ende der Franco-Diktatur war das Pendel erst einmal in Richtung immer weiterer Dezentralisierung ausgeschlagen. Nun aber steht Spanien am Anfang einer Reform, die etwa in Deutschland schon vor langer Zeit vollzogen wurde. In der Bundesrepublik schrumpfte die Zahl der Kommunen im Zuge einer ersten Verwaltungsreform in den 70er Jahren von rund 24.000 auf 7.500. Eine zweite Welle folgte nach der Wiedervereinigung in ländlichen Gebieten Ostdeutschlands. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht", so Habbel. Er bezeichnet 80 Prozent der Fusionen als erfolgreich, und auch die meisten Lokalpatrioten hätten mit der Zeit ihren Frieden mit den neuen Verwaltungsstrukturen gemacht.

Trotz dieser Erfahrung mag Habbel den spanischen Kollegen nicht vorbehaltlos Fusionen empfehlen. Im Trend seien vielmehr Verwaltungsgemeinschaften. Das heißt: Ein Rathaus kümmere sich beispielsweise um zehn Gemeinden, die administrativen Strukturen werden zusammengelegt, die Eigenständigkeit und Identität der Mitgliedskommunen bleibe aber erhalten. „Durch den technischen Fortschritt ist das inzwischen relativ einfach."

Verwaltungen kleiner Kommunen sind nicht nur kostspielig, sondern auch überfordert. Die Umsetzung der Vorgaben aus dem Raumordnungsplan Mallorcas von 2004, beispielsweise, ist bislang in den wenigsten Kommunen gelungen. Und obwohl sich jede Gemeinde eine eigene Website leistet, kommen viele nicht mit der inhaltlichen und technischen Aktualisierung hinterher.

Angesichts der Sparzwänge wird jetzt tatsächlich stärker auf Kooperation gesetzt. Am weitesten gehen die Überlegungen bislang bei der Ortspolizei. So gelingt es beispielsweise der Gemeinde Selva nicht, mit vier Beamten einen 24-Stunden-Service auf die Beine zu stellen. „Wir brauchten praktisch dreimal so viele Beamte", sagt Bürgermeister Joan Rotger, der auch Vizepräsident des Inselrats ist. Die Abstimmung mit den Nachbargemeinden wäre die Lösung. Bei Dorffesten oder großen Konzerten helfen schon jetzt etwa die Ortspolizisten von Santanyí in Felanitx aus. Auch Binissalem, Lloseta, Santa Maria und Consell wollen ihre Polizeikräfte demnächst bündeln.

Joan Alberti, Vorsitzender des mallorquinischen Gemeindebunds, treibt statt der unbeliebten Idee von Fusionen lieber solche Initiativen voran und verweist auf die bereits bestehenden kommunalen Zusammenschlüsse (s. Interview Printausgabe und E-Paper). Auf Mallorca gibt es bislang fünf davon, allerdings sind es zurzeit eher lockere Arbeitsgemeinschaften: die Mancomunitat Tramuntana (Banyalbufar, Bunyola, Deià, Escorca, Esporles, Estellencs, Fornalutx, Puigpunyent, Sóller, Valldemossa), die Mancomunitat des Raiguer (von Santa Maria bis Buger), die Mancomunitat Pla de Mallorca (von Santa Eugènia bis Vilafranca de Bonany) die Mancomunitat Sud-Mallorca (Campos, Felanitx, Santanyí, Ses Salines, Campos) und schließlich die Mancomunitat Nord (Alcúdia, Artà, Muro, Pollença, Sa Pobla, Santa Margalida).

Um die speziellen Probleme der Küstenorte lösen zu können, brauchte es freilich andere Zusammenschlüsse. Denn obwohl gerade Urlauberorte an der Küste nahe zusammenliegen, gehören sie zu häufig zu unterschiedlichen Gemeinden – mit jeweils eigenen Lärmverordnungen oder Tourismuskonsortien. In Arenal trennt die Grenze der Gemeinden Palma und Llucmajor gegenüberliegende Gehsteige. Ähnlich ist die Lage in Cala Millor, das zur Hälfte zu Sant Llorenç und zu Son Servera gehört.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der empfundenen Vernachlässigung durch die Rathäuser im Inselinneren sind in mehreren Küstenorten eigene Lokalparteien gegründet worden – AIPC in ­Porto Cristo (Manacor) oder GISCa in Son Carrió (Sant Llorenç). Es sind Wahllisten, die keine eigene Mehrheit stellen, aber doch das Zünglein an der Waage sind. Koalitionen kommen in der Regel nur mit ihrem Einverständnis zustande. Die Interessen einzelner Ortsteile entscheiden somit über die politischen Kräfteverhältnisse der gesamten Gemeinde – es ist noch ein langer Weg zu rationaleren Verwaltungsstrukturen auf Mallorca.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 19. April (Nummer 624) lesen Sie außerdem:

- Interview mit Joan Alberti, Bürgermeister von Fornalutx

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