Montagnachmittag im Abflug­terminal des Flughafens. Man sieht es schon auf dem Namensschild. Dort weisen kleine Flaggen auf die Sprachkenntnisse hin, in diesem Fall Spanisch, Katalanisch und Englisch. Schwarz-rot-gold fehlt, und eine auf Deutsch gestellte Testfrage bestätigt: Der junge Mann am Info-Schalter versteht überhaupt nichts. Muss er auch nicht – zumindest stand es so nicht in der offiziellen Ausschreibung, mit der Flughafenbetreiber Aena Anfang des Jahres einen neuen Dienstleister für die Informationsstände in Son Sant Joan suchte. Zwar verlangte Aena Angestellte mit Spanisch-, Katalanisch- und Englisch-Kenntnissen. Die Beherrschung der deutschen Sprache gehörte aber nicht zu den Mindestanforderungen.

Seit dem 22. Juni sind nun die Angestellten von Multiservicios Aeroportuarios für Auskünfte am Flughafen zuständig. Aena verteidigt den neuen Anbieter und teilt auf Anfrage mit, dass in jeder Schicht mindestens eine Person mit Deutsch-Kenntnissen anwesend sein wird.

Für Gewerkschaftsvertreter ­Andrés Delgado ist der Personalwechsel dennoch ein Skandal. Die bisherigen Angestellten mit jahrelanger Erfahrung über die Abläufe am Flughafen und Kenntnissen in bis zu fünf Fremdsprachen stehen jetzt auf der Straße, „weil das Angebot von Multiservicios ganze 12.000 Euro billiger war" – in seinen Augen hat der Flughafen am falschen Ende gespart.

Über drei Millionen deutsche Urlauber landen hier Jahr für Jahr. Die aus Irland stammende Eileen gehört zu den entlassenen Mitarbeitern. Ihr Deutsch sei „auf Flughafen-Niveau", sagt sie: „Ich konnte den Leuten erklären, wo was zu finden war." Die Deutschen, so erzählt sie, hätten sich immer sehr gefreut, wenn sie in ihrer Muttersprache bedient wurden.

Unter den Lesern der MZ-Homepage sorgte die Meldung über das neue Personal und dessen Sprachniveau für erhitzte Diskussionen. Während sich die einen darüber echauffierten, dass die Mitarbeiter der Flughafenauskunft ausgerechnet auf der deutschesten aller Urlaubsinseln keine Deutsch-Kenntnisse vorweisen müssen, verteidigt beispielsweise User „Depardieu" die Sprachpolitik von Aena: „Ich kam noch nie im Ausland auf die Idee, jemanden auf Deutsch anzuquatschen, geschweige denn eine Antwort in Deutsch zu erwarten. Wer dies erwartet, aber noch nicht mal der englischen Sprache mächtig ist, sollte seinen Urlaub im Schwarzwald oder an der Ostsee verbringen." Doch in der Tat wird Mallorca von vielen Reiseveranstaltern, gerade auch im Internet, damit beworben, dass „überall Deutsch gesprochen wird".

Lernen durch Zuhören

Und das nicht erst seit gestern. ­„Mallorca 1956: Man spricht deutsch" titelte „Die Zeit" im Juni desselben Jahres. Nur zwei Jahre nachdem der erste Charterflug aus Hamburg auf der Insel aufgesetzt hatte, kommentierte Journalist Johannes Engel verwundert die erstaunlichen Deutsch-Kenntnisse der Einheimischen. Nicht nur der Kellner am Flughafen oder der Schuhputzer auf dem Marktplatz von Sóller wussten die neue Kundschaft in deren Muttersprache zu bedienen. Selbst ein einsamer Bauer, den er auf einem Spaziergang über Land traf, grüßte ihn mit einem freundlichen „Guten Tag". Die Mallorquiner, so der Autor, hätten Deutsch damals ausschließlich vom Zuhören erlernt.

Heute gehören Deutsch-Kurse für Personal in der Tourismusbranche fest zur Ausbildung. An der Hotelfachschule der Balearenuniversität ist das Erlernen der deutschen Sprache in vielen Ausbildungen Pflicht. Rezeptionisten, Reisekaufmänner, Kellner, Köche und Barkeeper sollen die Kunden später auf Deutsch bedienen können. „Um einen guten Service bieten zu können, halten wir Deutsch-Kenntnisse bei unseren Studenten für grundlegend", sagt die stellvertretende Direktorin der Schule, Laura Oliver.

Ähnlich sieht man das auch an der privaten Tourismusschule ETB in Palma. Die Schüler müssen dort in verschiedenen Studiengängen zumindest eine Fremdsprache erlernen, zur Wahl stehen Englisch, Deutsch und seit neuestem auch Russisch. „Praktisch alle wählen Deutsch", so die Schulleitung.

„Dienst am Kunden"

Damian Gomila vermittelt an der ETB Praktika und Arbeitsstellen für die Schüler und Studenten. Für die Mehrzahl der Unternehmen, in denen er seine Schützlinge unterbringt, seien Deutsch-Kenntnisse Voraussetzung. Auch und gerade bei höheren Posten wie zum Beispiel Direktions­assistenz. Die Deutschen in ihrer Muttersprache bedienen zu können, hält Gomila für essenziell: „Bei den Preisen kann Mallorca mit anderen Ferienzielen nicht konkurrieren, deswegen setzten wir auf Dienst am Kunden". Zwar beschränkt sich das deutsche Vokabular gerade bei Kellnern oft auf die Speise- und Getränkekarte. Aber es ist die Geste, die zählt.

Ebenso gut sind in Sachen Fremdsprachen die Touristeninformationen der Insel aufgestellt. Bei Testanrufen in den Büros von Santa Ponça, Alcúdia, Port d´Andratx und Capdepera sprechen die Mitarbeiterinnen am Telefon nicht nur gutes Deutsch, sondern versorgen den Anrufer ungefragt mit Zusatzinformationen. Natürlich nicht ganz fehlerfrei, aber mit einem reizenden spanischen Akzent.

Wenn´s brenzlig wird

Auch in Notsituationen wird deutschen Touristen ohne Sprachkenntnissen geholfen. Im Landeskrankenhaus Son Espases stehen Übersetzer zur Verfügung. Und das selbst mitten in der Nacht: „Wenn gerade kein Übersetzer vor Ort ist, wird er telefonisch benachrichtigt und herbestellt", sagt Pressesprecher Francisco Ferrer. Bisher sei diese Leistung nicht von den Kürzungen im Gesundheitswesen betroffen.

Den guten Service bestätigt ­Brigitte Weinhold. Die Frau des evangelischen Pfarrers auf Mallorca macht Krankenbesuche in den Kliniken der Insel. „Das ist wirklich einzigartig auf Mallorca: Schon seit etlichen Jahren gibt es in jedem Krankenhaus Übersetzer", erzählt sie. Pflegepersonal und Schwestern könnten in der Regel aber kein Deutsch. Um Verständigungsproblemen vorzubeugen, hat die Pfarrgemeinde in Zusammenarbeit mit der katholischen Gemeinde einen kleinen Sprachführer für das Krankenhaus erarbeitet. Wichtige Sätze wie die Bitte um mehr Schmerzmittel oder der Verweis auf Allergien sind dort nachzulesen. „Im Krankenhaus Son Llátzer verteilen sie Kopien unseres Sprachführers schon direkt an die Patienten", weiß Brigitte Weinhold zu berichten.

Bis zum 13. Mai stand auch bei der Policía Nacional ein Übersetzungsdienst zu Verfügung, Urlauber konnten ihre Anzeige auf Deutsch aufgeben. Doch das Unternehmen, das diesen Service in Zusammenarbeit mit der Polizei anbot, ist in Insolvenz gegangen. Laut einer Sprecherin der Polizei ist nicht damit zu rechnen, dass der Service in den kommenden Monaten wieder aufgenommen wird. Wer Glück hat, erhält Hilfe im Hotel: Im Rahmen eines Pilotprojektes nehmen Hotelmitarbeiter in 100 Unterkünften der Insel die Anzeige direkt auf, ein Formular im Internet und entsprechend geschultes Personal machen es möglich. Ansonsten hilft nur noch Englisch – und das auch nur begrenzt.

Englisch Fehlanzeige

Denn die Englisch-Kenntnisse der Spanier sind ausbaufähig. Laut einer Studie der Europäischen Union sind 63 Prozent der Schulabgänger nach Abschluss der Pflichtschule (ESO) nicht in der Lage, diese Weltsprache zu verstehen. Und dabei sei es doch einfacher, Englisch als Deutsch zu lernen, so Sprachlehrerin ­Christina Seyl. Zumindest sagen das ihre Schüler. Seyl lehrt an der Escuela Oficial de Idiomas in Palma. In ihren Kursen sitzen Studenten, Arbeitslose und auch Menschen, die im Tourismus arbeiten. Die meisten wollen den Abschluss für den Lebenslauf. In diesem Jahr halten die Schüler eisern durch: „Bisher waren am Ende des Kurses nur noch halb so viele Teilnehmer übrig wie zu Beginn. Das ist jetzt anders." Wahrscheinlich auch wegen der Krise. Viele wollen ihr erlerntes Deutsch nicht auf Mallorca anwenden, sondern ihre Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt verbessern.

In touristischen Gebieten wie Santa Ponça, Arenal oder Cala Ratjada ist Deutsch jedenfalls allgegenwärtig. Ganze Straßenabschnitte scheinen wegen des ausschließlich auf Deutsch gehaltenen Schilderwaldes der Cafés und Läden eher in Wanne-Eickel als auf einer spanischen Mittelmeerinsel zu liegen. Das gefällt nicht allen. Susanne Weber, die am Flughafen mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Sohn auf den Heimflug nach Süddeutschland wartet, hatte für ihren Geschmack fast schon zu wenig Verständigungsschwierigkeiten im Urlaub. „Wir haben auf der ganzen Insel keine Sprachprobleme gehabt. Am Flughafen, im Hotel und in den Bars haben alle Deutsch mit uns gesprochen. Für mich fast ein bisschen zu viel – mir wäre etwas mehr Spanisch lieber gewesen".