Sachthemen statt Beschimpfungen: Der Wahlkampf im Baskenland ist so ganz anders als im Rest von Spanien

Die nordspanische Region wählt an diesem Sonntag (21.4.). Was dabei auf dem Spiel steht

Kämpft um den Machterhalt: Imanol Pradales, Kandidat der bürgerlichen Nationalisten (PNV).  | FOTO: TEJIDO/EFE

Kämpft um den Machterhalt: Imanol Pradales, Kandidat der bürgerlichen Nationalisten (PNV). | FOTO: TEJIDO/EFE

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Den Wahlkampfauftakt für den Urnengang im Baskenland am Sonntag (21.4.) hat ein unpolitisches Ereignis in den Schatten gestellt. Nach 40 Jahren holte der große baskische Fußballklub Athletic Bilbao wieder den spanischen Pokal mit einem dramatischen Endspielsieg im Elfmeterschießen gegen Real Mallorca. Eine Million Menschen – fast die Hälfte der Einwohner des Baskenlandes – wohnten den Feierlichkeiten bei. Die Freude über den Erfolg des beliebtesten Klubs der Region, der nur im Baskenland geborene oder ausgebildete Spieler zulässt, machte die politischen Differenzen vorübergehend zweitrangig.

Die baskische Gesellschaft ist nach Jahrzehnten der Gewalt durch die Terrororganisation ETA und der Spaltung wieder stärker zusammengewachsen. Im Gegensatz zur schrillen, aufgeheizten spanienweiten Politik, wo gegenseitige Korruptionsvorwürfe und aggressive Beschimpfungen den Ton bestimmen, stehen im Baskenland (Euskadi) eindeutig Sachthemen im Vordergrund, so etwa die Sorge über den Wohnungsmangel, das Gesundheitssystem oder die Industriepolitik. Doch auch die blutige Vergangenheit kam am Ende auf die Agenda.

Laut Umfragen spielen Unabhängigkeitspläne des Landesteils mit der eigenen Sprache mittlerweile nur noch eine untergeordnete Rolle. Trotzdem wird die Wahl nach Einschätzung von Meinungsforschern zu einem Zweikampf der beiden nationalistischen Parteien PNV und EH Bildu. Die gemäßigten, bürgerlichen Nationalisten (PNV), die bislang mit den baskischen Sozialisten der PSOE-PSE als Juniorpartner regieren, müssen um ihre Vormachtstellung zittern. Die Partei ist seit Wiederkehr der Demokratie in Euskadi an der Macht, allerdings mit einer dreijährigen Ausnahme, als die PSOE-PSE mit Unterstützung der konservativen Volkspartei (PP) regierte.

Partner in Madrid

Der PNV gründete seine Hegemonie auf eine christdemokratische Politik mit starken Verbindungen zum Mittelstand, der in den drei Provinzen des Baskenlandes stärker ausgeprägt ist als anderswo in Spanien. Die Nationalisten haben mit einer gehörigen Portion Pragmatismus in Madrid sowohl Minderheitsregierungen der PP wie auch der PSOE gestützt und sind heute einer der wichtigsten Partner der Linkskoalition von Premier Pedro Sánchez. Diese Haltung ist jedoch nicht ganz uneigennützig. Der PNV hat über die Jahre Stück für Stück Zugeständnisse von der jeweiligen spanischen Zentralregierung erzwungen, so etwa in der Arbeitsmarkt- oder Sozialpolitik.

Doch kämpft die Partei nach so vielen Jahren an der Macht mit Abnutzungserscheinungen und dem Ärger um Versäumnisse,besonders im baskischen Gesundheitssystem. In einer ungewöhnlichen Entscheidung musste der langjährige Premier Iñigo Urkullu Platz machen für den jüngeren Imanol Pradales als Spitzenkandidat für diese Wahlen.

Dass es am Sonntag eng werden kann, liegt nicht allein an der Dekadenz des PNV. Die einst radikallinken Separatisten von EH Bildu haben sich durch eine spürbare Mäßigung und eine pragmatischere Ausrichtung in den vergangenen Jahren für eine größere Wählerschaft geöffnet. Es handelt sich um ein Bündnis von Gruppierungen, darunter Sortu, den Erben der früheren Herri Batasuna, die als politischer Arm der ETA galt. Statt die Abspaltung von Spanien einzufordern ist bei EH Bildu heute lieber von der Sozialpolitik und den Versäumnissen der PNV-Regierung die Rede. In Madrid sind die fünf Abgeordneten der Partei eine wichtige Stütze der Linkskoalition.

Der Aufschwung von EH Bildu steht im Verhältnis zur Dekadenz der nicht nationalistischen Linken im Baskenland. Bei den spanischen Parlamentswahlen 2016 wurde Podemos mit fast 30 Prozent stärkste Kraft in Euskadi. Am Sonntag könnte Podemos die letzten Abgeordneten im baskischen Parlament von Vitoria verlieren. Zumal man wie bei den Regionalwahlen in Galicien im Februar getrennt vom Linksbündnis Sumar antritt, das zumindest Aussichten auf einen Sitz hat.

Der Schatten der ETA

Im Endspurt des Wahlkampfs wurde EH Bildu doch noch von der düsteren Vergangenheit eingeholt, obwohl die ETA seit 2011 keine Gewalttaten mehr ausübte und sich 2018 ganz auflöste. Ihr Spitzenkandidat Pello Otxandiano, ähnlich wie andere Mitstreiter, brachte es nicht fertig, ETA als Terrorbande zu bezeichnen. Auf eine klare Frage im Radiosender SER antwortete Otxandiano ausweichend, dass die ETA „eine bewaffnete Gruppe“ gewesen sei. „Wir haben dieses Kapitel hinter uns gelassen. Zum Glück gibt es die ETA nicht mehr“, erklärte der Kandidat. Das ist für alle anderen Parteien und die Opfer des Terrorismus jedoch zu wenig. Sie verlangen eine unzweideutige Verurteilung des Terrors, der im Laufe von fünf Jahrzehnten rund 850 Menschenleben forderte. Besonders hart ins Gericht mit dem Kandidaten der Separatisten ging Eneko Andueza, Spitzenkandidat der Sozialisten. „Diese Aussagen des Herrn Otxandiano sind ungemein niederträchtig und zeigen seine Feigheit“, so Andueza, der selbst einst Begleitschutz hatte.

Wer regiert künftig?

Der sozialistische Kandidat hat ein Bündnis mit EH Bildu kategorisch ausgeschlossen. Laut Umfragen kommen die Separatisten auf 29 der 75 Sitze, knapp vor dem PNV mit 28. Da den Sozialisten zehn Abgeordnete in Aussicht gestellt werden, könnte die bisherige Koalition mit dem PNV fortgesetzt werden. Die PP könnte sieben Sitze holen, einen mehr als bislang.

Die Haltung von Andueza bringt derweil seine sozialistischen Parteifreunde in Madrid in die Bredouille. Die Konservativen warfen Sánchez Heuchelei vor. Man könne EH Bildu im Baskenland nicht der moralischen Niederträchtigkeit bezichtigen, gleichzeitig aber deren Stimmen im spanischen Unterhaus für die Reformen und Haushaltspläne akzeptieren, argumentiert die PP. Innerhalb der PSOE von Sánchez ist man sich hinter vorgehaltener Hand über diesen Widerspruch bewusst.

Sollte am Ende EH Bildu die Wahl gewinnen, es aber zu einer Neuauflage der Koalition zwischen PNV und PSE kommt, stellt sich die Frage, ob die Separatisten weiterhin der Sánchez-Regierung ihre unverzichtbaren Stimmen verleihen. Doch solche landespolitischen Überlegungen sind den Wählern und Wählerinnen in Euskadi am Sonntag egal.

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