Mallorca Zeitung

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"Neue Männlichkeit": Ein "Callboy" auf Mallorca berichtet

Sascha arbeitet auf der Insel als Escort-Mann. Er wird mit Kundinnen intim oder begleitet sie auf Events. Wie er die Frauen und ihre Bedürfnisse bei den Treffen erlebt und warum es dabei um viel mehr als nur Sex geht

Will auch auf Mallorca Tabus brechen: „Callboy“ Sascha. Bendgens

Sascha arbeitet nebenberuflich als „Callboy“. Wie viele andere in der Branche ist er als solcher nur unter seinem Vornamen bekannt. Von seinem Hauptjob in der Unternehmensberatung hat sich der 50-Jährige aktuell eine Auszeit genommen. Seit fast vier Jahren verbringt der gebürtige Hildesheimer einen Teil des Jahres auf Mallorca. Hier bietet er, wie in der Schweiz, Österreich und Deutschland, seine Escort-Dienste an. Zudem schreibt er Kurzgeschichten zum Thema „Neue Männlichkeit“. Es sei ihm ein Anliegen, das Thema „Escort“ aus der Tabu-Ecke zu holen, sagt er.

Wie kam es, dass Sie „Callboy“ geworden sind?

Ich war zehn Jahre lang verheiratet. Nach der Trennung hatte ich über Online-Plattformen viele Dates. Dabei habe ich gemerkt, dass ich viel Spaß an den Gesprächen mit Frauen habe, ich mich gut auf sie einlassen kann und sie sowohl beim Reden als auch auf der intimen Ebene gerne in den Mittelpunkt stelle. Frauen erleben Männer bei Dates oft unentspannt oder oberflächlich – auch weil beide Seiten häufig mit bestimmten Erwartungen zu einem Treffen gehen. Ich dagegen bin es immer recht entspannt angegangen und habe mich vom Moment und der Stimmung leiten lassen. Das haben die Frauen offenbar gespürt und mir rückgemeldet, dass sich mit mir alles eher relaxt anfühlt. Die ein oder andere hat mir sogar halb im Spaß dazu geraten, das Daten zum Beruf zu machen. So kam der Gedanke auf.

Wer sind Ihre Kundinnen?

Es gibt drei Gruppen: Am häufigsten melden sich Frauen bei mir, die in langjährigen Beziehungen oder Ehen sind, und von ihrem Mann nicht mehr berührt werden. Sie wünschen sich Nähe, Zuwendung und Wertschätzung. Auch Single-Frauen, die von der Männerwelt enttäuscht oder verunsichert sind, kommen auf mich zu. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass viele Männer beim Intim-Werden eher auf sich achten als auf die Frauen. Die dritte Gruppe bilden Frauen, die unsicher mit sich und ihrem Körper sind. Sie wünschen sich, wieder mehr mit ihrem Körper in Kontakt zu kommen und Vertrauen in ihn zu fassen. Dabei geht es viel um Sinnlichkeit und darum, Dinge miteinander auszuprobieren.

Also gibt es in Zeiten von Tinder und anderen Gratis-Apps tatsächlich Nachfrage nach kostenpflichtigen „Callboys“?

Viele der Frauen wollen nicht auf Dating-Plattformen unterwegs sein, aus Diskretion oder weil sie dort keine guten Erfahrungen gemacht haben. Sie suchen stattdessen jemand Erfahrenen, der sich nicht mit ihnen trifft, weil er eine Partnerin sucht. So kann er auch viel besser auf sie eingehen.

Und die Partner von vergebenen Frauen: Wissen die, dass sie Sie treffen?

In der Regel nicht. Die Frauen buchen sich einen Escort-Mann wie mich genau deswegen, um dank Diskretion und Anonymität den Rahmen der Beziehung nicht zu gefährden.

Haben Sie keine moralische Bedenken, wenn Sie wissen, dass eine Kundin verheiratet oder vergeben ist?

Bei den Treffen erfahre ich oft, dass in der Ehe oder Beziehung in der Vergangenheit schon über den Mangel an Intimität gesprochen wurde. Daraufhin hat sich dann aber nichts geändert. Ich finde es wichtig, dass wir Menschen in Sachen Nähe und Intimität wieder mehr für uns sorgen. Ich motiviere jeden dazu, es muss ja nicht immer gleich ein Escort-Dienst sein. Im Moment des Treffens bin ich der Mann, der der Frau eine schöne Zeit bereitet. Gedanken an ihren Partner oder andere moralische Themen kommen mir dabei nicht in den Sinn.

Haben Sie viele Stammkundinnen oder sind es stets neue Frauen?

Sowohl als auch. Es gibt regelmäßig neue Anfragen, aber auch einen großen Teil fester Kundinnen. Letztere treffe ich etwa einmal pro Monat.

Wie alt sind die Frauen?

Meist zwischen 40 und 60 Jahre. Es melden sich auch jüngere Frauen. Am Ende sind Escort-Dienste aber immer auch eine Geldfrage. Da Frauen über 40 Jahren mehr Lebenserfahrung mitbringen und oft schon Ehen oder mehrere langjährige Beziehungen hinter sich haben, denken sie bei der Suche nach Alternativen zu bisherigen Beziehungsmodellen eher über Escort-Männer nach. Treffen mit Frauen über 60 Jahren sind sehr selten. Ein Höchstalter gibt es nicht.

Sascha beim MZ-Interview und -Shooting in Palma. Nele Bendgens

Sagen die Frauen Ihnen bei der Kontaktaufnahme, warum sie Sie treffen wollen und wie die Begegnung später aussehen soll?

Ja, sie nennen fast immer die Gründe. Es sind sehr persönliche Themen und Geschichten, die mich sehr bewegen. Die Vorstellung, wie das erste Treffen aussehen könnte, steht allerdings meistens hintenan. Viele Frauen tasten sich erst einmal langsam heran. Erst später sagen sie mir dann, wie ein Treffen ablaufen könnte, wünschen sich etwa ein Abendessen, und der Rest wird offengehalten. Oft soll ich auch in eine Hotelbar oder direkt in ein Hotelzimmer kommen. Jedes Treffen ist individuell.

Gibt es eine Minimal- und Maximal-Dauer der Treffen?

Zwei Stunden müssen es mindestens sein. Das Vorgespräch zählt dabei nicht mit dazu. Die Dauer kann dann flexibel verlängert werden. Es gibt die Möglichkeit, mit Übernachtung zu buchen – oder ein Wochenende und sogar eine ganze Woche. Ich biete zwei verschiedene Modelle an: Sweet- und Social-Time. Bei Ersterem geht es um Intimität, Berührungen, eventuell auch Sex. Beim zweiten um Business- und Freizeitbegleitung.

In wie viel Prozent der Fälle wird es sehr intim?

Wenn ich eine Frau beim Sweet-Time-Modell zum ersten Mal treffe, in der Hälfte der Fälle. Bei Stammkundinnen, wo schon Vertrautheit da ist, fast immer.

Wie viel kosten die Treffen?

Beim Sweet-Time-Modell kosten zwei Stunden 300 Euro, jede weitere Stunde, um die man verlängert, 100 Euro. Dabei ist egal, was bei den Treffen genau passiert und wie weit wir gehen. Beim Social-Time-Modell sind es 200 Euro für zwei Stunden, 75 Euro pro verlängerter Stunde. Wollen Frauen mich mehrere Stunden oder gar Tage buchen, wird der Preis nicht mehr stundenweise berechnet.

Inwiefern grenzt sich Ihr Escort-Mann-Dasein klar von Prostitution ab?

Ich komme nicht aus prekären Verhältnissen. Ich mache das nicht, um überleben zu können, sondern aus einer Leidenschaft heraus. Zudem habe ich selbst als Escort-Mann immer die Möglichkeit, Dinge abzulehnen.

Mussten Sie das schon einmal tun?

Noch nie. Ich bin aber auch recht experimentierfreudig und lasse mich gerne auf Neues ein. Die Frauen äußern allerdings fast immer recht normale Wünsche, nichts Verrücktes. Wenn sie eher außergewöhnliche körpergefährdende Fantasien haben, suchen sie sich dafür jemand anderen als mich.

Welche Rolle spielt Scham?

Viele Frauen machen sich vor allem vor der Buchung einen Kopf. Sobald sie aber erst einmal eine Anfrage abgeschickt haben, ist Scham eher kein Thema mehr, allenfalls noch bezogen auf ihren Körper. Da kann ich aber gut drauf eingehen. Ich freue mich bei jeder Frau, das Besondere und Anregende zu entdecken. Für mich ist jeder Körper etwas Wertvolles.

Wollte eine Kundin schon einmal mehr von Ihnen und hat sich verliebt?

Ja, das ist schon mal passiert, kommt aber Gott sei Dank eher selten vor. Eigentlich bewegen wir uns ja in einem geschützten Rahmen, bei dem im Gegensatz zum Daten Erwartungen keine Rolle spielen. In solchen Situationen muss ich professionell sein und klar kommunizieren, wofür ich da sein kann und wofür nicht. Ich selbst habe mich bisher nicht bei den Treffen verliebt.

Haben Sie denn eine Partnerin? Wie geht Sie mit Ihrem Job um?

Ja. Sie weiß davon. Sie muss sich mit dem Thema noch genauer auseinandersetzen. Es ist nichts, was sie mit links abtun kann. Wo es uns letztlich hinbringt, wird sich zeigen. Ich weiß aber, dass ich meine Tätigkeit nicht für eine Liebesbeziehung aufgeben würde.

Wie haben Ihre Familie und Ihre Freunde auf Ihren Nebenjob reagiert?

Ich habe mich entschieden, es ihnen direkt zu erzählen. Ich wollte nichts verstecken. Es hat mich etwas Überwindung gekostet. Viele Reaktionen waren positiv – nach dem Motto „Super, dass du den Mut hast“. Das hat mich überrascht. Andere haben neutral reagiert, mir zugehört und zumindest nichts Abfälliges gesagt.

Inwiefern hat Ihr Job Ihr Denken bezüglich Liebesbeziehungen und Intimität verändert?

Vorweg: Ich habe großen Respekt vor Paaren, die seit Jahren oder Jahrzehnten zusammen sind und dabei immer noch lebendige Beziehung leben. Mir war aber schon lange bewusst, dass viele Menschen auch Beziehungen ohne Lebendigkeit leben, die ihnen nicht guttun. Durch meine Arbeit erlebe ich die ungestillten Sehnsüchte und den Mangel im Leben der Frauen hautnah mit. Dadurch wird mir klar, dass wir als Gesellschaft noch einen langen Weg vor uns haben. Ich persönlich finde es eine große Herausforderung, auf lange Sicht mit einem Partner alles teilen zu wollen. Wir sollten uns fragen, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, dass wir bestimmte Dinge mit einem Partner teilen und andere mit jemand anderem. Es macht Sinn, über offene Beziehungen oder Polyamorie nachzudenken. Es ist zudem eine tolle Reise zu sich selbst, da dort auch eigenen Unsicherheiten hochkommen.

Mallorca ist eine kleine Insel. Früher oder später werden Sie bestimmt auch die ein oder andere Kundin auf der Straße wiedertreffen. Wie begegnet man sich da?

Dann gilt es, diskret und anonym zu sein. Wenn die Frau alleine unterwegs ist und über die Augen Blickkontakt signalisiert, sage ich auf jeden Fall „Hallo“ oder unterhalte mich auch kurz mit ihr. Wenn sie hingegen mit ihrem Freund unterwegs ist, grüße ich sie nicht.

Sehen Sie sich in der Zukunft als Escort-Mann?

Ja, solange ich mich so fit und lebendig wie jetzt fühle und gesund bleibe.

callboy-sascha.com, https://callboyz.net/, Instagram: new.masculinity, Tel./WhatsApp: 0049 179 46 28 751

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