Magdalena Suau öffnet die Schlagläden an den Fenstern ihres Besuchersalons und entfacht den brasero, den kleinen mallorquinischen Ofen unter dem runden Tisch. Überhaupt wirken die Empfangszimmer in Suaus Stadthaus auf Mallorca wie ein Museum für antike mallorquinische Einrichtung. Sabine Belz schüchtert das schon lange nicht mehr ein. Wie selbstverständlich hebt sie die edle Tischdecke an und legt sie sich über die Beine, sodass ihr bald von unten angenehm warm wird. Belz kennt die mallorquinischen Gepflogenheiten, und vor allem kennt sie Magdalena Suau. Die beiden wohnen Haus an Haus. Suau umgeben von jahrhundertealten edlen Familienrelikten, Belz in nordisch-gemütlich eingerichtetem Flair. Wer Unterschiede zwischen den beiden Frauen auflisten will, könnte damit Seiten füllen. Wer Gemeinsamkeiten sucht auch. Suau und Belz konzentrieren sich auf Letztere. „Es ist ein außergewöhnlich tiefes nachbarschaftliches Verhältnis, aber es gibt Grenzen“, resümiert Belz.

Belz ist Berlinerin, Suau Ur-Mallorquinerin. Wenn man es genau nimmt – und das tun die Mallorquiner –, dann sind sie beide Zugezogene in Llucmajor. „Ich bin nicht von hier, ich bin aus Santanyí“, stellt Suau denn auch schnell klar. Ein Jahr war sie alt, als die Familie nach Llucmajor zog. 86 Jahre ist das jetzt her. „Gut, irgendwie fühle ich mich doch wie von hier“, lenkt sie ein. Nein, das kann Sabine Belz beim besten Willen nicht von sich behaupten. Keine sechs Jahre ist es her, dass die pensionierte Leiterin verschiedener Goethe-Institute mit ihrem Mann in das Stadthaus direkt neben dem von Magdalena Suau zog. Eins steht fest: Guiri, der nicht immer negativ gemeinte Ausdruck für Ausländer, wird ihr einen Lebtag lang anhaften. Und guiris werden von den Mallorquinern bekanntlich zunächst mit gewisser Distanz beäugt. Dennoch ist es Belz in wenigen Jahren auf Mallorca gelungen, Einblicke in die mallorquinische Gesellschaft zu bekommen, die anderen deutschen Residenten noch nach Jahrzehnten verwehrt bleiben. Weil Belz neugierig ist und sich für andere interessiert – ähnlich wie ihre Nachbarin.

„Am Tag vor unserem Umzug stand Magdalena plötzlich in der Tür“, erinnert sich Sabine Belz. Eine kleine, vornehm wirkende Frau, mehrere Jahre älter als sie selbst. Man wechselte ein paar Sätze, Suau schien erfreut, dass die neuen Nachbarn zumindest Spanisch sprechen, und erzählte knapp von ihrem Mann, der im Krankenhaus lag. Am nächsten Tag, beim Umzug, tauchte eine andere Nachbarin auf. Magdalena Suaus Mann sei soeben verstorben, berichtete sie. „Ich wusste erst nicht, was ich mit dieser Information anfangen sollte. Ich kannte die Frau ja gar nicht, aber scheinbar erwartete man von mir als Nachbarin eine Reaktion.“ Eine passende Beileidskarte fand Belz nicht – anderes Land, andere Sitten –, und auch die im Wörterbuch beschriebenen spanischen Ausdrucksweisen zum Kondolieren verunsicherten Belz. Schließlich schrieb sie ein paar Zeilen auf ein Papier und schob es unter der Nachbarstür durch.

Trotz möglicher sprachlicher Schwächen schien die Geste den Nerv der Mallorquinerin getroffen zu haben. Bei zufälligen Begegnungen auf der Straße bedankte sie sich überschwänglich, lud Belz und ihren Mann ein, sich einmal ihr Haus anzusehen. „Nun hatte ich aber gerade erst das Buch ‚Queridos Mallorquines‘ von Guy de Forestier gelesen und wusste: Eine Einladung bedeutet bei Mallorquinern nicht immer eine Einladung“, sagt Belz. Erst als Suau das Angebot mehrmals wiederholte und sogar einen konkreten Tag vorschlug, wagten die Deutschen den Besuch.

Suau führte sie nicht nur in den repräsentativen Empfangsbereich, sondern in alle Zimmer des riesigen Anwesens – dorthin, wohin es viele Gäste niemals schaffen. „Nachbarn sind für mich fast so wichtig wie Familie. Es sind die Ersten, die da sind, wenn du sie brauchst, und es gibt mir ein Gefühl von Ruhe, wenn ich mich mit ihnen verstehe“, betont Magdalena Suau. Dass sich zwischen ihr und Sabine Belz mehr entwickelte als das höflich-distanzierte Nebeneinander, das Suau mit den Vorbesitzern pflegte („das waren Mallorquiner, anständige Leute, aber ich hatte mit ihnen nichts, was uns verband, sie redeten nie mallorquí, trotz ihrer Abstammung“) liegt wohl nicht zuletzt daran, dass sich Belz schon bei jenem ersten Besuch aufrichtig für die vielen Bücher in Suaus Bibliothek interessierte. „Sie stellte Fragen nach Ramon Llull, das mochte ich“, sagt Suau augenzwinkernd. „Sie ist intelligent, gebildet und man hat immer etwas zu reden - wenn auch auf castellano.“

Reden kann Suau tatsächlich viel, wenn sie einmal in Fahrt kommt. Über Politik, Geschichte, Bräuche und Sitten – und den ganz normalen Dorftratsch. Bis heute leiht sich Belz regelmäßig Sachbücher von Suau aus. Wenn Belz Fragen zu Besitzverhältnissen, familiären Verstrickungen oder Hintergründen im Ort hat – und das ist oft der Fall –, ist Suau ihre erste Anlaufstelle. „Sie hat mir einen wunderbaren Einstieg in den Ort ermöglicht“, sagt Belz. Auch weil gute Nachbarschaft in Llucmajor fast ein Status ist. „Zwei oder drei Jahre nachdem wir hierhergezogen sind, sprach mich erstmals eine andere alte Dame aus dem Ort direkt an. ‚Sie sind doch die Nachbarin von Magdalena‘, sagte sie.“ Ein weiterer Schritt in Richtung Dorfgemeinschaft, poc a poc.

Teilweise steht Magdalena Suau auch mal abends um halb zehn in der Tür der Deutschen und will plaudern. „Da muss man sich natürlich erst einmal dran gewöhnen, aber es gefällt mir“, sagt Belz. Suau dagegen hatte anfangs mit den deutschen Höflichkeitsformen zu kämpfen. „Ich empfand es als unangenehm, dass dein Mann immer allen zur Begrüßung die Hand gegeben hat, so förmlich.“

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Anfangs ging es viel um Mallorca. „Das Interesse der Mallorquiner an der deutschen Kultur ist gering“, so Belz. Mit der Zeit entwickelte Suau jedoch zumindest eine gewisse Neugier für Belz selbst, für die Bücher, die sie schreibt, die Verwandten aus Deutschland, die sie besuchen, und für die künstlerischen Arbeiten ihres Mannes. Auch über persönliche Dinge unterhalten sich Suau und Belz mittlerweile, bringen sich Kuchen oder Obst, stoßen an Geburtstagen gemeinsam an. „Einmal wollte ich sie zum Essen zu mir nach Hause einladen, aber an ihrer Reaktion habe ich gemerkt, dass das dann wohl doch zu weit geht“, berichtet Belz. Andersherum hätte die Mallorquinerin nur ein Mal ein gemeinsames Essen in den eigenen vier Wänden vorgeschlagen – an Heiligabend, 15 Minuten vorm Auftischen. „Damit hat sie unsere deutschen Weihnachtspläne natürlich durchkreuzt“, so Belz und schmunzelt. Doch warum an kulturellen Unterschieden aufreiben, wenn man sie auch gemeinsam analysieren kann?

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