Mallorca Zeitung

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Entdeckung zwischen Stalaktiten: neue Spuren von Napoleons Soldaten auf Cabrera

Französische Forscher haben in einer Tropfsteinhöhle Hunderte Inschriften der gefangenen Franzosen entdeckt, die zwischen 1809 und 1814 auf der Insel interniert waren. Was der spektakuläre Fund über das Leid der Gefangenen erzählt – und was er für die Forschung bedeutet

Zuflucht zwischen Stalaktiten

Wenn von Spuren der Soldaten Napoleons auf der Insel Cabrera die Rede ist, dann geht es meist um eine Inschrift in der Burgruine auf dem Archipel. „Fleury Grapain prisonnier en 1809 et 1810“ ist dort in den Marès-Stein eingraviert. Die französischen Worte gehörten bislang zu den wenigen verbliebenen Zeugnissen der Tragödie, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Archipel südöstlich von Mallorca abspielte. Sie symbolisieren das Leid der mehr als 11.000 Soldaten, von denen die meisten auf Cabrera zu Tode kamen. Der eingravierte Name war auch Inspiration für den mallorquinischen Schriftsteller Baltasar Porcel, der die Geschehnisse in seinem preisgekrönten Roman „L’emperador o l’ull del vent“ (Der Herrscher oder Das Auge des Sturms) verarbeitete.

Dass es aber noch viel mehr Inschriften der Soldaten gibt, das hat jetzt ein Team französischer Archäologen herausgefunden. Die Forscher erkundeten bei einer Expedition im November am Cap Ventós im Nordwesten von Cabrera eine schwer zugängliche rund 50 Meter tiefe Höhle und stießen dort auf Hunderte von Graffitis. Es sind Jahreszahlen, Namen und Initialen von Soldaten. Die Entdeckung sei ästhetisch wie historisch überwältigend, schwärmt Expeditionsleiter Frédéric Lemaire in einem Interview mit der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“. „Es war einer der bewegendsten Momente meines Lebens sowie meiner Laufbahn als Archäologe, so spannend diese auch bislang gewesen sein mag.“ Dazu muss man wissen, dass Lemaire legendäre Orte napoleonischer Schlachten an der Straße von Calais oder im weißrussischen Bjaresina erforscht hat.

AASCAR Das Forscherteam.

Christen, Nazis, Manöver

So verlassen die heute unter Naturschutz stehende Insel Cabrera heute daliegt, so wechselvoll war die Geschichte des strategisch günstig gelegenen Archipels. Hier stand das erste christliche Kloster auf den Balearen, im Ersten Weltkrieg wurden deutsche U-Boote aufgetankt, noch bis 1991 gab es hier spanische Marine-Manöver. Dass im Jahre 1809 Tausende Soldaten Napoleons auf Cabrera abgeladen und weitgehend ihrem Schicksal überlassen wurden, war Folge des Spanischen Unabhängigkeitskriegs, in dem die Spanier bis 1814 gegen die französischen Besatzer kämpften. Eigentlich war nach deren Niederlage in der Schlacht von Bailén in Südspanien ein Gefangenenaustausch vorgesehen. Doch infolge taktischer Überlegungen stachen die Schiffe mit den Franzosen statt nach Frankreich gen Balearen in See.

Die Inselregierung nahm die Gefangenen zur Internierung auf, wollte sie aber aus Furcht vor Revolten oder Epidemien nicht auf Mallorca haben. So begann im Juni 1809 die Leidensgeschichte auf Cabrera. Zwar legten alle paar Tage Versorgungsschiffe an. Doch die Rationen waren knapp bemessen und fielen zwischendurch ganz aus. Die Gefangenen, unter denen auch deutsche Soldaten aus Napoleons multinationalem Heer sowie auch mehrere Dutzend Frauen waren (MZ berichtete), litten Hunger und waren auf der kargen Insel der direkten Sonne und widrigen Witterungen ausgesetzt.

Zufluchtsort zwischen Stalaktiten

Umso verständlicher ist, dass einige der Soldaten in der schwer zugänglichen Höhle Zuflucht suchten – zumal es dort auch eine Süßwasserquelle gab – und dafür auch das Risiko in Kauf nahmen, beim gefährlichen Abstieg in die Tiefe ihr Leben zu verlieren. Neben den Inschriften fanden sich auch Überreste der damaligen provisorischen Lagerstätte wie beispielsweise Spuren von Lagerfeuern – die Soldaten bildeten offenbar Gemeinschaften am Rande der militärischen Kommandostruktur, die auch während der Zeit der Internierung fortbestand.

AASCAR Entdeckte Graffitis.

Vertrauen in die Quellen

Was in den rund fünf Jahren der Gefangenschaft geschah, ist vor allem aus Berichten der Soldaten selbst überliefert. Und hierin liegt jetzt auch die Bedeutung der entdeckten Inschriften: Sie bestätigen die Schilderungen etwa von Luis François Gille. „Beim Abgleich unserer Sichtungen mit den wichtigsten Schilderungen der Überlebenden konnten wir die Glaubwürdigkeit solcher Quellen bestätigen, die Historiker oft für ungenau oder übertrieben halten“, so Projektleiter Lemaire. Und wenn die Beschreibung der Höhle mit den Inschriften stimmig sei, könne man davon ausgehen, dass auch die weiteren Schilderungen über die Zustände auf Cabrera stimmen. Dazu gehört etwa auch die Zeichnung einer Karte von der Insel, die Gille angefertigt hatte.

AASCAR Cabrera.

Der spektakuläre Fund am Cap Ventós gelang den Forschern am dritten Tag der am 15. November gestarteten knapp zweiwöchigen Expedition. Dabei untersuchten die Experten von vier verschiedenen französischen Forschungsinstituten noch zwei weitere Höhlen sowie das Valle de la Muerte, das „Tal des Todes“, wo sich ein Friedhof befunden haben dürfte. Entdeckt wurden Knöpfe von Soldatenuniformen sowie bauliche Strukturen, die mit denen in anderen Lagern des napoleonischen Heeres vergleichbar seien, so Lemaire.

Es war der zweite Besuch der französischen Forscher auf Cabrera. Im kommenden Jahr wollen sie wiederkommen, um Ausgrabungen vorzunehmen. Schließlich wisse man nun genau, wo sich diese lohnen dürften.

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