Mallorca Zeitung

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Cala Murada auf Mallorca: Ein Platz an der Sonne mit dunkler Wehrmachts-Vergangenheit

Die für mallorquinische Verhältnisse abgelegene Siedlung zog bei ihrer Gründung auch deutsche Wehrmachtsoffiziere und Alt-Nazis an. Jetzt hat ein Deutscher ein Buch über die Geschichte des Ortes geschrieben

Werbung für Cala Murada in den 60er-Jahren "60 Jahre Cala Murada"

Genau zwei Autos gab es Anfang der 60er-Jahre in der Urbanisation Cala Murada. Ein Bewohner besaß einen Renault R4 und eine reiche Dame ein pompöses Cabrio. Alle anderen waren auf Taxis oder Busse angewiesen und bestellten ihre Einkäufe per Telefon. Frühmorgens verteilte ein Lieferwagen die Lebensmittel und Haushaltswaren. Das barg Potenzial für Missverständnisse. So wollte eine Frau einmal Bleiche der Marke „Conejo“ bestellen. Am nächsten Morgen hing ein toter Hase (auf Spanisch: conejo) an ihrem Zaun.

Selbst Menschen, die schon seit Jahrzehnten auf Mallorca wohnen, müssen teilweise überlegen, wo Cala Murada denn jetzt genau liegt. Die kleine Siedlung im Osten der Insel versteckt sich zwischen den größeren Küstenorten Portocolom im Süden und Cales de Mallorca im Norden. Die kreisförmig gebauten Straßen von Cala Murada sind von Kiefernwäldern umgeben. „Wir sind hier am Ende der Welt“, sagt Hans-W. Ellerbrock. Der 73-jährige Diplom-Ingenieur aus Hude (bei Bremen) kennt die Urbanisation schon seit bald 34 Jahren, seit seiner Pensionierung verbringt er mit seiner Frau hier mehrere Monate im Jahr.

Cala Murada aus der Luft Hans Blossey

Ellerbrock kam über eine Zeitungsanzeige nach Cala Murada. Eine Frau aus Hamburg bot darin ein Ferienhaus in der Siedlung zur Miete an. „Meine Frau, unsere Kinder und ich, wir haben uns alle sofort in den Ort verknallt“, sagt Ellerbrock. Der Norddeutsche hat, egal, was er sagt, einen schelmischen Unterton. Aber mit seiner Liebe zu Cala Murada ist es ihm ernst.

Weil er schon seit jeher alle möglichen Anekdoten über den Ort sammelt und über die Geschichte der Siedlung wohl mehr weiß als irgendwer anderes, kam Ellerbrock irgendwann die Idee, ein Buch über „seine“ Mallorca-Siedlung zu schreiben. „60 Jahre Cala Murada“ ist im Eigenverlag erschienen. Weil Ellerbrock das Gefühl hat, noch nicht alles erzählt zu haben, ist es offiziell ein erster Band. Der Rentner recherchiert bereits für den zweiten.

Hans-W. Ellerbrock Nele Bendgens

Im ersten Band erzählt er alle möglichen Geschichten aus der Frühzeit der Siedlung. Zum Beispiel die Verwechslung zwischen Bleiche und Hase. Aber er berichtet auch von einer Frau, die die Idee hatte, sich einen Esel zuzulegen, um in Felanitx einzukaufen. „Sie ist am Ende daran gescheitert, dass sie keine große Wiesenfläche hatte, um den Esel unterzubringen. Aber die Geschichte zeigt gut, wie abgeschnitten man hier früher war“, erzählt Ellerbrock.

Die Polizei schaute so gut wie nie in Cala Murada vorbei

Gefühlt sei Cala Murada jenseits von Europa gewesen. „Man nannte es auch Cala Africa.“ Behörden oder gar Polizei schauten so gut wie nie in der verschlafenen Siedlung vorbei. „Anfangs radelte noch ein Wachmann durch die Straßen, der von der Baugesellschaft bezahlt wurde und sah nach dem Rechten“, berichtet Ellerbrock. Irgendwann verschwand auch der.

Doch in dem kleinen Ort führte das keineswegs dazu, dass man sich unsicher fühlte. Ganz im Gegenteil. „Früher sperrte niemand ab, morgens kam der Milchmann und stellte seine Flaschen einfach im Haus ab“, erzählt Ellerbrock. Allerdings führte der „rechtsfreie“ Raum dazu, dass Anwohner ihren teils kauzigen Hobbys nachgingen, ohne sich darum zu sorgen, was Nachbarn oder Polizei dazu sagen könnten. So berichtet Ellerbrock von einer deutschen Familie, die viele Jahre lang in einem mit Kuhpelz bezogenen Wagen durch den Ort fuhr.

Eines der ersten Häuser in Cala Murada. 60 Jahre Cala Murada

Belgier aus dem Kongo trafen auf deutsche Wehrmacht-Offiziere

Diese Abgeschiedenheit, die sich Cala Murada bis heute erhalten hat, ist in Ellerbrocks Augen eine der Besonderheiten des Ortes. Die andere hat etwas mit der belgischen Kolonialherrschaft sowie dem Verbleib manch deutscher Wehrmachtsoffiziere zu tun. „Cala Murada ist die erste auf Mallorca fertiggestellte Urbanisation“, sagt Ellerbrock. Die ersten Häuser stehen seit 1958. Zu jener Zeit zogen viele Belgier auf die Insel, die bis dahin im dann 1960 unabhängig gewordenen Kongo lebten. Weil sie von dort aber nicht ins kalt-nasse Brüssel umsiedeln wollten, zogen einige von ihnen nach Mallorca, Cala Murada wurde eine ihrer Siedlungen.

Sie trafen dort von Anfang an auch auf Deutsche. „Das Ende der 50er-Jahre war in Deutschland eine Zeit des aufkommenden Wohlstands, hier in Spanien konnte man preisgünstig Ferienhäuser kaufen“, sagt Ellerbrock. Viele seien sogar ganzjährig hergezogen. Bei manch einem mag das mit der eigenen, dunklen Vergangenheit zu tun gehabt haben. „Es ist nachgewiesen, dass mindestens ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier hier wohnte“, sagt der Norddeutsche. Wahrscheinlich seien es aber viel mehr gewesen, wie Zeitzeugen und Nachfahren Ellerbrock berichteten. „Die Wehrmachtsoffiziere waren gut untereinander vernetzt, und es hatte sich herumgesprochen, dass man hier in der Wärme unter Francos Schutz leben konnte“, sagt Ellerbrock.

Tanzabende im Hotel - über die Vergangenheit sprach man nicht in Cala Murada

Die deutschen Bewohner der Siedlung trafen sich zu Tanzabenden mit Livemusik und Gesellschaftsspielen in einem nahen Hotel , es gab Folklore-Abende, teilweise wurde ein ganzes Schwein auf den Grill gepackt. Wer vor seiner Zeit auf Mallorca was getan hatte, interessierte niemanden. „Man sprach hier nicht darüber“, sagt Hans-W. Ellerbrock. Nur von einer Frau weiß er, die nach zwei Jahren wegzog. Ihr Mann war im Nationalsozialismus Widerstandskämpfer gewesen.

Wer ganzjährig nach Cala Murada zog, lernte aber schnell, dass das „Haus an der Sonne“, wie die Urbanisation vermarktet wurde, nicht das ganze Jahr über nur Wärme versprach. Denn die Häuser waren als Feriendomizile konzipiert worden, dementsprechend dünn waren die Wände. Heizungen gab es nicht, nur einen offenen Kamin in jedem Haus. „Man hat hier sehr gefroren“, sagt Ellerbrock. Er selbst hat in seinem Haus, das er von einem Kongo-Belgier übernommen hat, eine Zentralheizung.

Cala Murada Sophie Mono

Die Siedlung wächst bis heute

Seit Ellerbrock in Cala Murada wohnt, hat sich viel verändert. Die Siedlungist immer größer geworden. Immer mehr Häuser kamen dazu. „Früher hatten wir einen Ausblick auf die Serra de Llevant, jetzt sehen wir das Nachbarhaus“, sagt Ellerbrock. Die bisher letzte Bauphase wurde erst 2022 abgeschlossen. Nur sehr wenige der Nachbarn von Ellerbrock wohnen noch das ganze Jahr auf Mallorca. Einige sind wie er Rentner, die mehrere Monate in Cala Murada verbringen. Doch der größte Teil der Hausbesitzer sind Familien und Paare mittleren Alters, die nur im Sommer ihre Häuser beziehen.

Darunter hat auch das Miteinander gelitten. „In den 90er-Jahren kannte man noch die Eigentümer der anderen Häuser, inzwischen ist das selten geworden“, sagt er. Doch für viele scheint die Siedlung trotz allem mehr als bloß ein Ort an der Sonne. Ellerbrock hat sein Buch schon an mehr als 200 Menschen verkauft. Das dürfte auf jeden Fall Motivation für den zweiten Band verschaffen.

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