Als Mulay Embarek als Jugendlicher mit einigen Freunden nach einem Fußballspiel zusammensaß, fragte ihn einer der Väter nach seinem Namen. Und wunderte sich dann. „Er hat mich verwirrt angesehen und dann nachgefragt: Und warum so ein arabischer Name?“ Embarek lacht. Solche Situationen passieren ihm häufiger. Vom Aussehen her könnte er als Mallorquiner durchgehen, und sein mallorquí ist perfekt.

Er ist ja auch tatsächlich Einheimischer, hat mallorquinische Geschwister und mallorquinische Eltern, die er Papa und Mama nennt. Das kleine Dorf Maria de la Salut ist seine Heimat. Aber er hat noch eine weitere Heimat, weitere Eltern, weitere Geschwister. „Es mag auf den ersten Blick so erscheinen, aber es ist kein Widerspruch. Man kann zwei Familien haben.“ Embarek ist Mallorquiner und Sahraui.

Geboren wurde der 31-Jährige in einem Flüchtlingslager in Algerien. Das Volk der Westsahara ist zu einem großen Teil aus seinem Land geflohen und lebt nun in Lagern in der Region Tindūf im Westen Algeriens. Denn nach dem Abzug der Kolonialmacht Spanien im Jahr 1975 annektierte Marokko einen großen Teil der Westsahara, Mauretanien nahm sich ebenfalls ein Stück. Die Sahrauis, die ursprünglich als arabische Nomaden in dem Land lebten, kämpfen seitdem immer wieder gegen die Besatzer. „Aber der Krieg ist in der Westsahara, die Flüchtlingscamps bleiben davon verschont“, erzählt Embarek.

Frauen hatten im Flüchtlingscamp das Sagen

Vor allem als Embarek jung war, hatten die Frauen in den Camps das Sagen. „Die Männer waren alle im Krieg“, erinnert er sich. Sie seien Bürgermeisterinnen, Lehrerinnen und Fußballtrainerinnen gewesen. Nur wenige Monate nach seiner Geburt wurde 1991 ein Waffenstillstand in der Konfliktregion geschlossen. Es sollte ein Referendum ermöglichen, in dem die Sahrauis entscheiden können, ob sie unter marokkanischer Herrschaft oder selbstverwaltet leben wollen. Auf dieses Referendum wartet die Bevölkerung bis heute. 2020 wurde der Waffenstillstand beendet. Embarek war da längst in seiner zweiten Heimat angekommen.

Als ehemalige Kolonialmacht hat Spanien ein besonderes Verhältnis zur Westsahara, jedes Jahr verbringen Kinder aus den Flüchtlingslagern mit dem Programm vacaciones en paz (Ferien im Frieden) den Sommer in Spanien. Embarek machte drei Mal bei diesem Projekt mit. Anfangs, weil er zu den Schülern seiner Klasse mit den besten Noten gehörte, später weil es immer mehr Angebote gab. „Es war fast schon Mode, ein Kind aus der Westsahara aufzunehmen“, scherzt der 31-Jährige. Im ersten Jahr kam Embarek nach Andalusien, im nächsten nach León und mit zehn Jahren dann nach Mallorca.

Nur noch im Sommer in Algerien

Hier bot seine Familie an, ihn auch während des Winters zu behalten. Ab da verbrachte Embarek das Schuljahr bei seiner mallorquinischen Familie und den Sommer mit seinen Eltern, seinen Großeltern und seinen sieben Geschwistern in Algerien. „Am Anfang war die Trennung hart“, erinnert sich Embarek. Er vermisste seine Familie. Außerdem musste er, der es gewohnt war zu den Klassenbesten zu gehören, ein Schuljahr wiederholen.

Aber dann ging es doch schnell. „Kinder sind in dem Alter noch wie Schwämme“, sagt Embarek. Schon an Weihnachten, drei Monate nach Schulbeginn, habe er Mallorquinisch ohne jeden Akzent gesprochen, Spanisch sprach er sowieso. Die Integration war für Embarek dank seiner mallorquinischen Familie leicht, allerdings wurde er doch immer wieder mit Rassismus konfrontiert. „Als ich in die Oberstufe kam, fragte mich eine Lehrerin, ob ich da sei, um später der Chef von ihren Töchtern zu werden“, erinnert sich Embarek.

Biographie machte ihn zum Sozialarbeiter und Aktivist

Durch die langen Sommerferien in der Westsahara erhielt sich Embarek sein Arabisch und blieb seiner Sahraui-Familie nah. So wuchs Embarek in beiden Welten auf. In der Westsahara lebte er mit seiner Großfamilie in einer jaima, wie die Nomadenzelte dort heißen. „Es gibt dort kaum private Räume“, sagt der 31-Jährige. Bei den Mahlzeiten würden in der Tradition der Westsahara drei oder vier Personen von einem Teller essen. Auf Mallorca dagegen hatte er ein eigenes Zimmer, beim Essen einen eigenen Teller. „Dafür gibt es auf Mallorca viel weniger gemeinschaftlichen Raum“, sagt Embarek.

Er wertet nicht, sondern sieht in beiden Lebensweisen Vorteile. Embarek hatte einmal überlegt, Philosophie zu studieren. Das würde gut zu dem ruhigen und intelligenten Mann passen. Doch am Ende entschloss er sich für Soziale Arbeit. „Mein Leben ist so dank der Solidarität von Einzelpersonen so, wie es ist“, sagt er. „Mir wurde geholfen, also wollte ich auch helfen.“

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Embarek arbeitet inzwischen mit Minderjährigen zusammen, die in schwierigen Verhältnissen leben. Auch sonst ist der 31-Jährige sozial sehr aktiv. Er setzt sich für die Rechte der Sahraui ein, aber auch für die katalanische Sprache. Vor einigen Jahren war er außerdem einer der Sprecher des mallorquinischen Rappers Valtonyc, der wegen seiner Liedtexte zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde und deswegen bis heute im Exil ist. „Ich bin aufgrund meiner eigenen Biografie Aktivist“, sagt Embarek. Egal um welche seiner beiden Heimaten es geht.

In der Westsahara ist Embarek inzwischen nicht mehr jedes Jahr. Im vergangenen November war er aber wieder einen Monat dort. „Ehrlich gesagt fühle ich mich dort ein wenig wie ein guiri (spanisches Wort für Tourist, Anm. d. Red.).“ So sei er zum Beispiel nicht gewohnt, dass Freunde zwei Stunden später auftauchen als angekündigt. Das Leben dort sei schön und entspannt, aber ihm in vieler Hinsicht fremd. „Mallorca hat natürlich auf mich abgefärbt“, sagt er.