Es ist meist eine der ersten Fragen, die beim Chatten mit einem Tinder-Match geschrieben wird: Was suchst du eigentlich in der App? Meist lauten die Antworten: Ich wollte mal schauen, was es hier so gibt. Neue Leute kennenlernen. Oder aber der Eintrag war das Resultat einiger Flaschen Wein bei einem Mädelsabend, und man wollte einfach nur gemeinsam über das ein oder andere Profil schmunzeln.

Es steht außer Frage, dass Dating-Apps gerade zu Corona-Zeiten das Flirten deutlich erleichtern. Sie ermöglichen es, aus den gewöhnlichen sozialen Kreisen auszubrechen, und nicht wenige finden dann einen Partner. Doch im Sommer ist es wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Denn dann ändert sich Tinder um 180 Grad. Die Plattform ist dann auf Mallorca voller Urlauber, die nach Partys sowie gratis Reiseführern mit Auto oder Schlafplatz (ohne Hintergedanken) suchen.

Von 132 Männern waren 75 Urlauber

Die mallorquinische Zeitung „Ara Balears“ hat mal die Probe aufs Exempel gemacht. Auf das veröffentlichte Profil einer 26-Jährigen reagierten 132 Personen, die dann wie üblich mit einem Herz oder einem Kreuz versehen werden konnten – nur wenn beide ein Herz geben, kann gechattet werden. Der Suchradius für das Experiment umfasste 50 Kilometer rund um Palma, die Altersgruppe reichte von 18 bis 36. Von 132 Männern waren 75 Urlauber, die meisten von ihnen Ausländer. Nur 29 Residenten tauchten auf, das entspricht gerade mal 22 Prozent. Bei den verbliebenen 21 Prozent war in der Profilbeschreibung nicht ersichtlich, ob es sich um einen Einheimischen oder einen Touristen handelt.

Mittlerweile sind es oft auch ganze Gruppen, die sich hinter einem Profil verbergen. „Wir sind fünf Mädels auf der Suche nach Party“, ist nicht selten in der Beschreibung zu lesen. Für Einheimische, die langfristige Kontakte aufbauen wollen und Freundschaften oder mehr suchen, ist das ein Problem. „Derzeit ist Tinder voller guiris (leicht abfällige Bezeichnung für Ausländer) die unter dem Vorwand, die Insel gezeigt zu bekommen, auf eine schnelle Nummer aus sind“, zitiert „Ara Balears“ die 26-jährige Sara. „Sie wollen sich noch am selben Tag treffen. Die Einheimischen gehen es viel ruhiger an.“ Um den Urlaubern zu entgehen, hat die junge Frau die App im Sommer nicht benutzt. „Wenn ich Lust habe, schaue ich vielleicht Ende September mal wieder rein.“

Ähnlich sieht es ein 26-Jähriger, der anonym bleiben möchte. „80 Prozent der Nutzer im Sommer sind Touristen. Sie suchen private Feiern, Leute mit Yachten oder Villen.“ Er selbst lässt sich davon aber nicht abschrecken. Zu schwierig sei es eben, in der Pandemie über den traditionellen Weg andere Menschen kennenzulernen. „Man weiß nie, was passiert. Manchmal ist es dann doch die Person, die einen glücklich macht. Und wenn nicht, dann bleibt der Flirt halt als Sommerromanze in Erinnerung.“

Kostenlose Reiseführer

Auch Pablo Díaz, Tourismusprofessor in Barcelona, beobachtet die Tinder-Nutzung der Besucher. „Die Urlauber suchen die Einheimischen, um sich Insidertipps geben zu lassen und weniger bekannte Orte kennenzulernen. Doch die Einheimischen haben wenig Lust, den Reiseführer zu spielen und melden sich ab“, sagt er gegenüber „Ara Balears“. Allerdings gebe es auch noch Mallorquiner gebe, die durchaus ihre Lieblingsorte preisgeben - was dort zu einem erhöhten Besuchaufkommen führen könne. Jüngstes Beispiel sei die Caló des Moro. Um ein Selfie für die sozialen Netzwerke an der hübschen Bucht bei Santanyí zu schießen, stehen Hunderte Personen stundenlang Schlange.

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Dabei können Einheimische mit ein paar Tricks versuchen, die Urlauber zu umgehen. Der einfachste Weg besteht darin, den Suchradius zu verkleinern. Der beim Experiment eingegebene Radius von 50 Kilometern war deutlich zu groß. Wer in Palma wohnt, sucht schließlich auch erst mal keinen Partner in Manacor. Mit einem Radius von fünf Kilometern oder noch weniger sind – von der Hauptstadt aus gesehen – die Touristenorte Playa de Palma und Magaluf ausgeschlossen. Bei der Suche nach neuen Matches kann zudem die Beschreibung vorab gelesen werden – es ist also gar nicht nötig, alle Personen zu liken und sich dann zu ärgern, dass Touristen ins Netz gegangen sind. Viele Tinder-Nutzer geben ohnehin ihren Heimatort an. In der eigenen Beschreibung kann auch klargestellt werden, dass man nicht den Reiseführer spielen will und deswegen Personen sucht, die fest auf der Insel leben. So klappt es dann vielleicht doch noch mit der virtuellen Liebe.