Mallorca Zeitung

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Balkonstürze auf Mallorca: Einfach nur "Unfälle"?

Gleich zwei junge deutsche Urlauber fanden in den vergangenen Tagen an der Playa de Palma auf Mallorca den Tod, weil sie betrunken von den Balkonen ihrer Hotels stürzten. Lässt sich so ein Tod einfach als „Unfall“ abtun?

Ein trister Hinterhof an der Playa de Palma: Hier wurde der tote Körper des 21-Jährigen Deutschen gefunden, der von einem Hotelbalkon stürzte. DM

An einigen Stellen bröckelt der Putz von den Häuserfassaden, in den Ecken steht Unrat. Das türkisfarbene Meer, nur wenige Straßen entfernt, ist von hier aus nicht zu sehen. Es ist ein trister Hinterhof – geradezu symbolträchtig für die ernüchternden Schattenseiten der Playa de Palma auf Mallorca, die sich dieser Tage in aller Deutlichkeit zeigen. 21 Jahre jung war der deutsche Urlauber, den seine Freunde am Montagmorgen (20.5.) gegen 8.20 Uhr in eben jenem Hinterhof auffanden. Leblos, gestürzt vom Balkon im zweiten Stock des Hotels Sol de Mallorca. Unter ähnlichen Umständen wie viele andere Mallorca-Urlauber vor ihm.

Es war eine einfache, aber zweckmäßige Unterkunft auf Höhe des Balenario 1, wie Fotos auf der Internetseite des Sol de Mallorca zeigen. Zweckmäßig für junge Leute, die vor allem nach Mallorca kommen, um das Leben am Strand und in den Feierlokalen zu genießen, Party zu machen, den Alltag zu vergessen. Mehrere Stunden lang hatten seine Freunde den 21-Jährigen an jenem Pfingstmontag nicht mehr gesehen, machten sich Sorgen. Als sie ihn schließlich fanden, kam jede Hilfe bereits zu spät. Wiederbelebungsversuche durch Beamte der Ortspolizei waren vergebens, Sanitäter konnten nur noch den Tod feststellen.

Lange Liste der Todesopfer

Zunächst wusste niemand genau, was geschehen war. Sogar die Mordkommission der Nationalpolizei schaltete sich ein, nahm erste Ermittlungen auf. Doch schnell wurde die Möglichkeit, dass der Deutsche Ziel eines Überfalls geworden sein könnte, ausgeschlossen. Für die Experten steht fest: Der 21-Jährige ist ein weiteres Todesopfer auf der langen Liste jener, die durch Balkonstürze auf Mallorca ums Leben gekommen sind.

Keine zwei Wochen zuvor war es zu einem ähnlichen Unglück gekommen: In der Nacht auf den 7. Mai starb ein deutscher Urlauber, in diesem Fall 23 Jahre jung. Auch ihm wurde ein Sturz vom Hotelbalkon zum Verhängnis, auch er war gemeinsam mit Freunden an der Playa de Palma untergekommen, um unbeschwerte Tage zu verleben. Es war ihm nicht vergönnt – sein Leben endete bereits wenige Stunden nach der Anreise.

Früher ein Briten-Problem

Lange Zeit brachte man das Phänomen der Balkonstürze vor allem mit britischen Partyurlaubern und deren Hochburg Magaluf in Verbindung. Regelmäßig kam es dort in den Jahren vor der Pandemie zu Unfällen, die für die Betroffenen tödlich oder mit schweren Verletzungen ausgingen. Einige von ihnen starben bei waghalsigen Klettereien von einem Balkon zum nächsten, andere bei fehlgeschlagenen Mutproben, in denen sie versuchten, vom Hotelbalkon in den Pool zu springen, dem sogenannten Balconing. Wieder andere verunglückten, weil sie einfach über die Geländer kippten.

So oft kam es in Magaluf zu Stürzen, dass sowohl die britische Regierung als auch die Unfallabteilung von Palmas Landeskrankenhaus Son Espases Kampagnen ins Leben rief, die die Briten zu mehr Vorsicht ermahnen sollten. Der Unfallchirurg Juan Segura stellte sogar mehrjährige Studien auf, die die auffällige Häufung der Balkonstürze in Magaluf näher analysieren sollten. Haupterkenntnis: In 98 Prozent der untersuchten Fälle standen die Opfer unter Alkohol- und/oder Drogeneinfluss. „Die meist jungen Briten zeigen sich unter Alkoholeinfluss besonders risikobereit“, so Juan Segura, der mittlerweile nicht mehr auf den Balearen arbeitet, im Jahr 2018 auf die Frage hin, warum der Schauplatz der Tragödien fast immer Magaluf sei.

Möglicherweise haben die Kampagnen in Magaluf Wirkung gezeigt. Vielleicht ist es auch einfach nur Glück, dass es seit der Pandemie – zumindest in dieser Hinsicht – ruhiger geworden ist um die Partyhochburg im Gemeindegebiet Calvià. Ist das Balconing-Problem nun also an die Playa de Palma weitergezogen?

„Wirte nicht in Verantwortung“

„Es sind Einzelfälle. Sie haben mit dem klassischen Balconing nichts zu tun“, meint Pedro Marin, Präsident des Hotelierverbands an der Playa de Palma. Bei dem Sturz des „armen Kerls“ handele es sich um einen „Unfall“. Und ja: „Natürlich müssen wir den Alkoholkonsum im Blick behalten. Wenn die Urlauber stockbesoffen sind, passieren eben solche Sachen“, so der Hotelier und fordert mehr Polizeikontrollen an der Playa de Palma und eine strenge Umsetzung des neuen Alkoholverbots, das Anfang Mai in Kraft trat, aber noch kaum Beachtung findet oder durchgesetzt wird.

„Als ich vorhin spazieren war, habe ich binnen einer Minute drei Gruppen gesehen, die auf der Straße Bier getrunken haben“, berichtet Beatrice Ciccardini, Wirtin der Kneipe Zur Krone“am Balneario 6 am Dienstag (21.5.). Auf MZ-Nachfrage zu den Balkonstürzen wird sie deutlich: „Scheiß Alkohol. Es ist so traurig. Erst ein 23-Jähriger, nun ein 21-Jähriger. Ein ganzes Leben weg. So viel Leid und Schmerz für die Eltern und die Familie.“

Infrastruktur treibt Alkoholpegel hoch

Doch würden strengere Alkoholbestimmungen etwas an den Unglücken ändern? Sohel Abdoulkhanzadeh, der die Bar Chucca an der Playa betreibt, bezweifelt das. Unvorsichtige Menschen, die sich betrinken und dann im Alkoholrausch in Gefahr begeben, würde es immer geben, sagt er im Gespräch mit der MZ. Die Wirte sieht Abdoulkhanzadeh nicht in der Pflicht, die Betrunkenen zu belehren, nicht auf den Balkonen herumzuklettern. Das läge in der Verantwortung jedes Einzelnen.

Offen bleibt die Frage, bis zu welchem Punkt noch von Eigenverantwortung die Rede sein kann, wenn die Infrastruktur an der Playa vieles dafür tut, den Alkoholpegel der Gäste ins Unermessliche zu treiben. Für die Angehörigen der zwei jungen Deutschen dürften solche Diskussionen müßig sein. Auch sie stürzen jetzt tief.

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