Explosives Chaos auf Mallorca: So stellt die Galerie L 21 das Herrenhaus Can Marquès auf den Kopf

Die Schau „Ca’n Boom!“ spielt mit dem Kontrast zwischen Natur und Kultur und zeigt Krokodile, Vogelwesen und exotische Blumen in alten Mauern

Der letzte Ausstellungsraum behandelt das Thema Transformation.

Der letzte Ausstellungsraum behandelt das Thema Transformation. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Es gibt mallorquinische Redewendungen, die so großartig sind, dass sie Lust darauf machen, die Sprache zu lernen. „Això és Can Bum“ ist eine von ihnen. Sie beschreibt in etwa einen Ort, an dem es aussieht wie bei Hempels unterm Sofa – ohne Ordnung oder Regeln. Dieser Ausdruck floss nun in den Titel eines Ausstellungsprojektes ein, das die Galerie L21 für die Casa Museo Can Marquès in der Altstadt von Palma konzipiert hat: Ca’n Boom!

„Er kombiniert den Ausruf mit der explosiven Komponente, die zeitgenössische Kunst hat“, sagt Esmeralda Gómez von L21 beim MZ-Besuch. „Die Idee war, ein Haus zu betreten, das nicht unseres ist und es etwas auf den Kopf zu stellen – indem wir Impulse mitbringen, die die historischen Ebenen aufbrechen und dem Ort eine neue Bedeutung geben.“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Galerie an der Patina dieses altehrwürdigen Hauses kratzt: 2021 zeigte sie dort die Schau „Once Upon a Place“. Diesmal sollten andere Künstler dabei sein, zudem sei die jetzige Ausstellung viel kompakter: Statt jeweils einem gibt es nun immer zwei Künstler pro Raum, wobei der Dialog der Werke untereinander und mit der Architektur gleichermaßen bedeutsam sei.

Ausstellung "Can Boom" in Palma

Ausstellung "Can Boom" in Palma / Enrique Calvo

Monsterwächter aus Keramik

Der Rundgang beginnt unten am Fuß des Treppenhauses: Eine minimalistische Skulptur von Vera Mota trifft hier auf eine bereits vor Ort vorhandene Figurengruppe von Joana Vasconcelos. Besucher, die die Stufen erklommen haben, werden oben von einer Art monsterhaftem Kreamik-Totem von Mira Makai empfangen. Es trägt eine Krone – passend zu der noblen Umgebung – und ist wie ein Wächter vor dem Eingang postiert.

Im ersten Raum fügen sich vier Gemälde von Edu Carrillo dank ihrer Maße und der gedeckten Farbpalette fast nahtlos in die Komposition aus großformatigen Bildern ein. Der Blickfang im Raum: rätselhafte Metallobjekte des deutschen Bildhauers Thomas Kiesewetter, die ein wenig anmuten wie bunte Regenkannen. Und doch sind es keine Fremdkörper: Wie sie sich hier so selbstverständlich zum Mobiliar gesellen, erinnern sie uns an die Tatsache, dass wir in historischen Gebäuden oftmals Gegenständen begegnen, deren Funktion uns heute nicht mehr geläufig ist.

Ausstellung Can Boom" in Palma

Ausstellung Can Boom" in Palma / Enrique Calvo

Wendet man sich nun nach rechts, betritt man das Schreibzimmer, wo Werke von Gao Hang und Richard Woods an Kuchendiagramme beziehungsweise an digitale Ästhetik denken lassen. „Hier ist die Interpretation am offensten“, sagt Gómez. Im dahinter liegenden Ankleideraum empfand das Team von L21 Werke von Okokume und b.wing als passend: Menschliche Figuren und Porträts harmonieren besonders gut mit der intimen Sphäre.

Krokodile wirken lebendig

Vom ersten Saal aus nach links geht es in einen Raum, wo gekonnt der Blick gelenkt wird: Ein Bild von Hunter Potter mit einer nach oben schauenden Figur veranlasst uns dazu, den Kopf zu heben. Den gleichen Effekt hat die Vertikale einer retrofuturistisch wirkenden Arbeit von Ken Sortais. So bemerkt man, dass dieses Werk in Farbe und Textur zum Teppich wie auch zur Decke passt. In der Mitte verweilt das Auge dann bei leuchtend-farbenfrohen Bildern von Daisy Dodd-Noble, die sich mit Landschaft und Vegetation beschäftigen, wobei sich die Motive dem Ort anpassen. „Mir gefällt hier besonders der Dialog zwischen den gemalten Palmen und den echten Palmen im Innenhof“, sagt Gómez. Das Thema Pflanzen wird von der Kunst von Fátima de Juan erneut aufgegriffen.

Ein Saal, in dem Fauna auf Architektur trifft.

Ein Saal, in dem Fauna auf Architektur trifft. / Nele Bendgens

Von der Flora zur Fauna: Im nächsten Saal hängen Bilder von Marc Badia, der ein Faible für Krokodile hat. Eines der Reptilien scheint den Rahmen verlassen und als Stein-Skulptur von Stefan Rinck Gestalt angenommen zu haben. Auch ein Vogelwesen des Bildhauers hat sich hier niedergelassen. Dank seines wasserspeierhaften Charakters bildet es ein ideales Gespann mit Badias Gemälden, in denen (neben Krokodilen) die Architektur im Fokus ist – und deren Formen und Farben mit der echten Architektur des Raumes kommunizieren.

Ein wenig düster präsentiert sich die Kunst im letzten Raum. Alejandro Leonhardts Werk heißt auf Deutsch „Ihren Willen brechen, damit sie sich deinem Willen unterwerfen“ und zeigt Boote, die – trocken gelegt, auf Gestellen fixiert – ihre ureigene Natur verloren haben. Bei den Bildern von Nat Meade geht es um Verfall, eine posthumane Zeit. Die mit der Natur verwachsenden Köpfe ohne Körper wirken, als hätten sie den Kampf hinter sich. In gewisser Weise genau so friedlich wie die benachbarten Blumenstillleben, die schon vor Jahrhunderten an unsere Vergänglichkeit erinnerten.

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