"Boomers": Ein Comic beleuchtet die Sinnkrise von Menschen um die 60 auf Mallorca

Der neue Buch von Bartolomé Seguí ist eine nuancierte Studie, für die der Zeichner Inspirationen in seinem eigenen Leben fand

Ausschnitt aus dem Comic "Boomers".

Ausschnitt aus dem Comic "Boomers". / Bartolomé Seguí

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

In seinem wiederkehrenden Albtraum ist Ernesto ein Frosch. Er planscht zufrieden in einem Topf mit Wasser – unbekümmert, auch wenn die Flamme des Gasherds sein Habitat langsam erhitzt. Als es kocht, ist es zu spät: Der in Panik geratene Frosch schafft es nicht mehr zu entkommen. Genauso fühlt sich der schweißgebadet erwachende Protagonist aus dem Comicband „Boomers“: Wenn man 60 Jahre alt wird, stellt man fest, dass die sorglose Zeit zu schnell verging; nun gibt es kein Entrinnen mehr vor dem eigenen Schicksal.

Der von einer Sinnkrise geplagte Mann ist eine Schöpfung des mallorquinischen Zeichners Bartolomé Seguí (Palma, 1962), einem der besten seiner Zunft in Spanien: 2009 gewann er den Premio Nacional del Cómic, das Casal Solleric widmete ihm 2016 eine große Retrospektive.

Beziehungsdynamik im fortgeschrittenen Alter

Für seine neue Geschichte griff er auf alte Figuren zurück: Lola und Ernesto bevölkerten Ende der 1980er die Seiten des spanischen Comicmagazins El Víbora. Seguí fragte sich, was aus dem jungen Paar von damals wohl inzwischen geworden sein mochte.

Und so nimmt die Beziehungsdynamik der beiden einen großen Raum der Erzählung ein – eine Beziehung, in der die Leidenschaft auf der Strecke blieb, aber in der man sich nachts aneinander wärmen kann. Die Halt gibt in einer Welt, die sich zu schnell weiterdreht. Alle im Freundeskreis in Barcelona hadern mit denselben Themen: Sie beklagen den Verlust der Jugend und überlegen, gemeinsam ein abuelarium aufzuziehen – als hoffentlich spaßigere Perspektive zum Ende im Altersheim.

Eine Doppelseite aus dem Comic "Boomers".

Eine Doppelseite aus dem Comic "Boomers". / Bartolomé Seguí

Flucht auf die Heimatinsel Mallorca

Doch Ernesto reicht das nicht. Er muss Abstand gewinnen, zu sich selbst finden, und flüchtet dazu auf seine Heimatinsel Mallorca, wo er bei kurvenreichen Fahrten mit dem Smart tiefgründigen Gedanken nachhängt. Eine Episode führt ihn auch durch das detailreich porträtierte Zentrum von Palma, wo er über die Veränderungen staunt und beobachtet, wie die Stadt heute unter den Massen an Urlaubern ächzt. Doch meistens geht sein Blick nach innen – und führt ihn am Ende tatsächlich zu einer wichtigen Erkenntnis.

Bartolomé Seguí betont im Vorwort, dass die Geschichte zwar viele persönliche Referenzen enthalte, aber keine Autobiografie sei. Er schreibt: „In ‚Boomers‘ entdecke ich, dass ich mich, wie schon in meinen ersten Comics, immer noch zu Alltagsgeschichten hingezogen fühle, in denen alles ohne viel Aufhebens passiert. Ausschnitte aus dem Leben, die sich oft um einen Tisch herum abspielen oder aus angenehmen Gesprächen herausgegriffen sind.“

Dementsprechend lebt der Comic nicht von aufregenden Wendungen, sondern von der treffenden Skizzierung eines Lebensgefühls zwischen Morgenrasur, geselligen Abendrunden mit Wein, Einschlafen vor dem gestreamten Film und dem Besuch der 30-jährigen Tochter, die diese Gendersache noch einmal erklären muss. Trotz aller Schwermut bleiben die Figuren dabei stets lebensnah und liebenswert.

"Boomers", Bartolomé Seguí, Salamandra Graphic. Erschienen am 2. Februar, 104 Seiten, 19 Euro.

Geplante Buchpräsentationen: 9. Februar, 19 Uhr, Rata Corner (mit Catalina Mejía) und 10. Februar, 19.30 Uhr, Univers del Cómic (mit Pere Joan).

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