Abel Martínez zeigt ein zahn­loses, aber zufriedenes Lächeln. Der 86-Jährige sitzt wie jeden Vormittag mit drei Bekannten seines Alters auf einer der Bänke im s´Escorxador. Dieser Tage hat er viel zu gucken: Geschäftige Bauarbeiter verwandeln derzeit eines der sieben Gebäude des Komplexes in den Mercado Gastronómico San Juan. Was genau sich dahinter verbirgt, weiß Abel nicht. Aber es hat was mit Essen zu tun, „und Essen ist doch das Einzige, was mir im Leben noch bleibt." Ob er sich das Angebot des neu entstehenden Gastro-Marktes leisten kann, da ist er sich nicht sicher. „Aber wenigstens ist hier dann was los."

Auf eine zusätzliche Belebung des ehemaligen Schlachthof­geländes setzen auch die Verantwortlichen hinter dem Mercado Gastronómico. Die Idee zum Projekt hatte Fernando Castellanos schon vor zwei Jahren. Der gebürtige Baske lebt seit 16 Jahren auf der Insel und ist in Sachen Gastronomie kein unbeschriebenes Blatt - doch die Suche nach einer geeigneten Location zog sich hin. Als er bei einem Spaziergang zufällig am s´Escorxador vorbeikam, habe er einfach mal gefragt, ob hier nicht noch etwas frei sei - und prompt die seit vier Jahren leerstehende Halle der ehemaligen deutschen Brauerei angeboten bekommen. „Die Geschichte und Architektur des Komplexes dürfte dabei helfen, den Besuch auch für Urlauber interessant zu machen."

Tatsächlich ist der ehemalige Schlachthof schön anzusehen - nicht umsonst gewann Stadt­architekt Gaspar Bennàssar für seinen modernistischen Entwurf 1906 nur ein Jahr nach der Fertigstellung der Anlage den spanischen Preis der Schönen Künste für Architektur. Der Komplex, in dem bis Mitte der 70er Jahre Kühe und Schweine geschlachtet wurden, steht heute unter Denkmalschutz - wie auch die neuen Mieter feststellen mussten. Ihr Versuch, einen der Räume im Obergeschoss durch ein Dachfenster mit natürlichem Tageslicht zu erhellen, rief umgehend den Denkmalschutz­verein Arca auf den Plan - denn um Licht einzulassen, hatten die Arbeiter einige der Dachziegel entfernt. Die waren von Bennàssar damals eigens so angeordnet worden, dass aus der Luft „Matadero municipal" zu lesen ist. Auch wenn Mar Rubí, künftige Direktorin des Gastro-Marktes, versichert, dass der Schriftzug gar nicht betroffen war - der Lichtschacht wurde eilig wieder zurückgebaut.

Voraussichtlich am 19. Juni, so die Verantwortlichen, soll der Gastro-­Markt im Gebäude gegenüber dem Programmkino Cine­Ciutat seine Pforten öffnen. Castellanos und Rubí zufolge steckt eine Investition von mehr als 2 Millionen Euro in dem Projekt. Insgesamt werden auf 1.300 Quadratmetern 18 verschiedene Stände mit Spezialitäten um Kunden werben, darunter ein Schinkenstand der Marke Casalba. Für die baskischen pintxos ist das Restaurant Sa Ronda zuständig, japanische Küche steuert das Daruma bei, und auch Xino´s Koch Jaume Comas wird einen eigenen Stand haben. Zudem gibt es Kroketten, Pizza, Pasta und Burger sowie mallorquinische Spezialitäten. Die Anbieter mieten ihre mit kleinen Küchen ausgerüsteten Stände von der Investorengruppe, zu der neben Castellanos auch der einheimische Unternehmer Gabriel Català gehört.

Im Inneren bieten lange Bistro-Tische Platz für rund hundert Personen, auf insgesamt drei Terrassen finden weitere 300 Besucher Platz. Zudem können die an den Ständen angebotenen Gerichte auch zum Mitnehmen bestellt werden. Im Nebengebäude rechts des Haupteingangs entsteht neben einer Cocktailbar auch eine Bühne für Showcookings und andere, kulturelle Events. Linkerhand wird ein Ableger der bekannten, am Markt von Santa Catalina gelegenen Bäckerei „La Madeleine de Proust" Back- und Konditorwaren anbieten.

Angst vor Konkurrenz hat man in der bereits bestehenden Bäckerei in der nordöstlichen Ecke des Schlachthofgrundstücks zumindest offiziell nicht: „Wir machen hier personalisierte Torten, unsere Kunden bleiben uns sicher treu", sagt die Verkäuferin hinter der Theke fast ein wenig trotzig. Die Frau selbst, die ihren Namen nicht nennen will, stammt aus Madrid, wo 2009 der erste große und bis heute sehr erfolgreiche Gastro-Markt Spaniens namens San Miguel eröffnete. Ob das Konzept auch in Palma aufgeht, bezweifelt sie: „In Madrid sind die Leute gewohnt, auf den Märkten ein paar Tapas essen zu gehen. Hier hingegen €", zuckt sie bedeutungsschwer die Schultern.

Mit den von Anwohnern geteilten Bedenken, ob die Insulaner tatsächlich in Massen auf das - im Gegensatz zu den Märkten von Santa Catalina, de l´Olivar und Pere Garau - doch etwas abseits des Stadtzentrums gelegene Gelände eilen werden, haben sich auch Rubí und Castellanos beschäftigt. Und sind überein gekommen, dass gerade die Einheimischen gelockt werden wollen. „Dem Mallorquiner muss man erst einen Grund geben, aus dem Haus zu gehen. Dem Madrilenen muss man im Gegenteil dazu eine Grund geben, endlich nach Hause zu gehen", lacht Rubí in Anspielung auf San Miguel. Im Mercado San Juan soll es deshalb nicht nur Essensstände geben. Man plane etwa eine Zusammenarbeit mit dem CineCiutat: „Wir bieten dann das passende Menü oder Gericht zum Film, der nebenan gezeigt wird."

Pedro Barbadillo, der das Cine­Ciutat mit weiteren Kino-Enthusiasten und der Hilfe von Mitgliedsbeiträgen ins Leben gerufen hat, ist dem nicht abgeneigt. Prinzipiell glaubt auch er, dass s´Escorxador Publikum anziehen kann. Zur Eröffnung des neuen Café Cinema vor zwei Wochen seien 300 Gäste da gewesen. „Als wir im Januar beschlossen, das Café zum Kino zu eröffnen, wussten wir noch nichts von dem Gastro-Markt", sagt er allerdings mit einem Anflug leichter Kritik - und zwar an der Betreibergesellschaft Mercasa.

Das staatliche Unternehmen hatte den verfallenen Schlachthof 1990 übernommen, um es in ein Einkaufszentrum zu verwandeln. Mit mäßigem Erfolg: Die kleinen Geschäfte, die dort einzogen, schlossen eines nach dem anderen wieder. Was Mercasa-Direktorin Ana Leciñena mit den Worten umschreibt, s´Escorxador habe sich mit der Zeit „den echten Bedürfnissen des Viertels angepasst", lässt sich auch anders deuten: Erst die Ansiedlung zweier öffentlicher Gesundheits- und eines Kulturzentrums sowie einer städtischen Bibliothek brachte langsam Leben in die Anlage - den meisten Publikumsverkehr hat ein Eroski-Supermarkt, in dem ein Baguette 45 Cent kostet. Doch ob die Mütter und Rentner, die tagsüber die Anlage füllen, auch Kunden für einen Austern- und Meeresfrüchtestand sind?

„Wir achten schon auf vernünftige Preise", sagt Castellanos. Allerdings gäbe es selbst intern Diskussionen, welches Verhältnis von einheimischen und ausländischen Besuchern wohl erreicht wird. 60 bis 80 Prozent der Gäste sollten Urlauber sein, so die Kalkulation. Damit die den Weg in das Arbeiterviertel finden, wolle man den Besuch des kulinarischen Häppchenmarktes direkt in Hotels anpreisen, auch bei Fahrradvermietern oder Kreuzfahrtanbietern. Und Individualtouristen könnten mit dem Mietauto kommen - schließlich gäbe es ja eine eigene Tiefgarage unter dem Gelände mit 350 Stellplätzen.

Von deren Existenz wissen bislang nur wenige. Selbst Kino-Gründer Barbadillo nennt, wie viele Anwohner auch, als eines der ersten Probleme der Anlage die Parkplatzsituation. Zudem sei die Leistung der Betreibergesellschaft Mercasa ausbaufähig: „Für die Mietpreise, die sie hier verlangen, dürfte man durchaus eine bessere Infrastruktur erwarten", so Barbadillo. Die öffentlichen Toiletten seien ungepflegt, der Fokus der Anlage eher auf Kommerz als auf im umliegenden Viertel viel eher benötigte kulturelle Angebote ausgerichtet. „Aber vielleicht bringt ja das nun anvisierte Publikum Mercasa dazu, sich etwas mehr Mühe zu geben." Den Plan der Gastro-Markt-Verantwortlichen, an 365 Tagen im Jahr von mittags bis nachts öffnen zu wollen, hält er ob der Saisonabhängigkeit der Insel für ambitioniert.

José Alcalde, der seit zwei Stunden vor dem selben Bier in der Sonne sitzt, wird deutlicher: „Urlauber kommen hier doch niemals her, die bleiben doch in der Altstadt." Der gepflegte 85-Jährige wird energisch: „Wir sind hier in einem Arbeiter­viertel, die Leute halten sich so eben über Wasser. Die können sich das - wenn überhaupt - höchstens einmal im Monat leisten." Aber er wolle wirklich kein Schwarzmaler sein, sagt er zum Abschied. Und lüpft freundlich seinen Hut.