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Rückkehr an den Ort der Tragödie von Cala Mandia: "Mallorca gehört ja jetzt zu uns"

Vor gut einem Jahr ertranken zwei deutsche Schwestern in der Bucht nahe Porto Cristo. Jetzt sind ihre Mutter, ihr Stiefvater und eine Freundin, die damals mit dabei war, nach Mallorca gekommen. Um Lücken zu füllen und zu trauern

Rückkehr an den Ort der Tragödie von Cala Mandia: "Mallorca gehört ja jetzt zu uns"Nele Bendgens

Freitagabend, kurz nach 20 Uhr am Strand der Cala Mandia an der Ostküste. Die Dämmerung bricht über die Insel herein, es weht eine steife Brise, das Meer tost. Im Sand sitzt Anja Paeschke und schaut ausdruckslos auf die bewegte See. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, ein Zeichen der Trauer. Am 2. September 2021 verlor die 53-Jährige aus Ostwestfalen in dieser Bucht zwei ihrer vier Kinder. Vanessa (25) und Hannah (23) ertranken in einer stürmischen Nacht nur Stunden nach ihrer Ankunft auf der Insel.

Anja Paeschke hat es geschafft, kurz nach dem ersten Todestag ihrer Töchter auf die Insel zu kommen. Zum ersten Mal seit dem Unglück. Begleitet hat sie dabei ihr Mann Matthias Paeschke, Stiefvater der beiden jungen Frauen, die nicht mehr aus ihrem Urlaub heimgekehrt sind. Und Tatjana Frielingsdorf, eine Freundin der beiden, die damals mit zu der Gruppe gehörte.

Das Unglück in der Nacht auf den 2. September 2021

Vanessa und Hannah Arndt kamen in der Nacht vom 1. auf den 2. September 2021 zu Tode, als sie bei hohem Wellengang in der Bucht von Cala Mandia ins Wasser gingen. Die beiden Schwestern waren mit einer Freundesgruppe in den Urlaub nach Mallorca geflogen und gerade erst angekommen. Sie hatten sich gegen 2 Uhr morgens an den Strand begeben. Vanessa und Hannah wurden von den Wellen erfasst und gegen die Felsen am Rand der Bucht geschleudert. Hannah starb noch in der Bucht, Vanessa konnte wiederbelebt werden, starb aber später im Krankenhaus von Son Espases in Palma.

Noch halten sich einige Badegäste in der Bucht auf, darunter ein paar junge Männer, die sich mit Bierdosen in die Wellen stürzen. „Es ist doch pervers. Alle machen hier ganz normal weiter, als wäre nichts gewesen“, sagt Anja Paeschke leise und weiß selbst nur zu gut, dass sie nichts anderes verlangen kann. Auch sie musste nach dem Unglück irgendwie weitermachen, musste für ihre anderen beiden Kinder da sein. Vor allem für den Jüngsten, Paul, der damals erst 13 war. „Er redet noch heute nicht über das Unglück“, sagt sie.

Die abgesperrte Cala Mandia wenige Stunden nach dem tödlichen Unglück.

Sie selbst hat sich für die offene Trauer entschieden, dafür, über jene Nacht zu sprechen. In den ersten Wochen seien sie beide immer in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gegen 2.15 Uhr aufgewacht – der Zeitpunkt des Unglücks, erzählt Matthias Paeschke. Anja Paeschke holte sich schnell psychologische Unterstützung. „Ich habe Einzel- und Gruppentherapie gemacht, habe eine Reha hinter mir und bin jetzt in der psychosomatischen Reha-Nachsorge“, erzählt sie. Die Trauerbewältigung falle ihr nun etwas leichter.

„Damit ich Fragen stellen kann, die mir beantwortet werden können: Wo genau lag Hannah, als sie aus dem Meer geholt wurde? Wo Vanessa?“

Und es bildete sich der Wunsch aus, nach Mallorca zu fahren, je näher der Todestag rückte. „Es war mein Bauchgefühl, ich musste dahin“, erzählt Anja Paeschke. Ihr war wichtig, eine der Freundinnen mitzunehmen, die in der Unglücksnacht dabei war. „Damit ich Fragen stellen kann, die mir beantwortet werden können: Wo genau lag Hannah, als sie aus dem Meer geholt wurde? Wo Vanessa?“

Vieles ging in der Unglücksnacht von Cala Mandia schief

Dafür ist Tatjana Frielingsdorf mitgekommen. Der 30-Jährigen aus Köln war es ein Herzensanliegen. Sie holte in jener Nacht Hilfe in einem Hotel in der Cala Mandia. Nachdem ihre Anrufe bei der Rettungsleitstelle nichts einbrachten. „Dort wurde immer wieder aufgelegt, weil ich kein Spanisch sprach“, erinnert sie sich und ist immer noch fassungslos über die vielen Dinge, die in der Nacht schiefgelaufen waren.

„Der Ort kann ja nichts dafür, aber ich wollte diese Insel nie wieder betreten“

Auch über die Reaktion des deutschen Konsulats. Dort hatte Tatjana Frielingsdorf gegen 5.15 Uhr angerufen. Weil die diensthabende Mitarbeiterin aber den Ernst der Lage nicht erkannte, kam es zu verhängnisvollen Lücken in der Informationskette, die schließlich dazu führten, dass Anja Paeschke und ihr Mann erst am Mittag kurz nach 12 Uhr von dem Unglück erfuhren – als es schon seit Stunden in der spanischen Presse war. Der deutsche Konsul Wolfgang Engstler hatte sich danach gegenüber der MZ für die Reaktion des Konsulats entschuldigt, persönlichen Kontakt gab es aber nicht.

Berichte über den Tod der beiden Schwestern riefen in den sozialen Netzwerken grausame Reaktionen hervor

Zur unendlichen Trauer kam die Grausamkeit der sozialen Netzwerke. Die jungen Frauen seien selbst schuld, wer gehe denn nachts bei Sturm ins Meer, wohl auch noch betrunken. Es gab kaum eine Mutmaßung über den Unfallhergang, die nicht aufgestellt wurde. Dabei hätte der Unfall beinahe jedem passieren können, das konstatierte damals auch die Polizei vor Ort. Die roten Flaggen werden schließlich nachts abmontiert. Anja Paeschke würde sich wünschen, dass in Sturmnächten in Buchten eine rote Leuchte zum Einsatz kommt, um vor einem Bad im Meer zu warnen. „Das Bewusstsein für Gefahren muss sich ändern“, sagt sie.

„Der Ort kann ja nichts dafür, aber ich wollte diese Insel nie wieder betreten“, sagt Anja Paeschke. Nun ist sie froh, dass sie es geschafft hat. „Es würde sonst immer ein Puzzleteil fehlen.“

Ein Bild erinnert im Haus der Paeschkes an die beiden Schwestern Hannah und Vanessa.

Ein handgroßer Stein und eine Flaschenpost in der Bucht von Cala Mandia

Anja Paeschke und ihr Mann haben einen kleinen Granitstein mitgebracht. Den haben sie am Sonntag vor ihrer Rückreise an einem Felsen in der Bucht angeklebt. Auf dem Stein stehen die beiden Namen Vanessa und Hannah und der Todestag. Ein schlichter, etwas mehr als handgroßer Stein, der farblich in die Umgebung passt, zu den Felsen in der Bucht. Dazu haben sie eine Flaschenpost ins Meer geworfen mit einem Brief an Vanessa und Hannah.

Die drei zeigen ihre Trauer auf vielfältige Weise. Am Strand fließen Tränen, es wird aber auch gelacht. Sie erinnern sich an die beiden unzertrennlichen Schwestern: „Die eine wollte ohne die andere nicht sein. Es war nur konsequent, dass sie beide gegangen sind“, sagt Anja Paeschke, die als Palliativpflegerin arbeitet und täglich mit dem Tod zu tun hat. Und die einschätzen kann, was ihr erspart geblieben ist, dadurch dass auch Vanessa nach der Wiederbelebung schließlich im Krankenhaus von Son Espases gestorben ist. „Sie wäre ein Pflegefall gewesen, den ich bis ans Ende meiner Tage umsorgt hätte. Das hätte sie nicht gewollt, ich aber auch nicht“, sagt Anja Paeschke.

Große Anteilnahme in der Heimat der verunglückten Schwestern

In all ihrem Leid hat die Familie anderen noch etwas Gutes getan. Die Überführung der Leichen, die Bestattung und weitere Ausgaben hatten rund 42.000 Euro gekostet. Ein Spendenaufruf, der aus dem Wohnort der Familie kam, brachte so viel Geld ein, dass Anja Paeschke einem Kinderhospiz noch eine Spende in Höhe von 11.111,11 Euro zukommen lassen konnte. „Ich hatte nicht die Möglichkeit, mich von meinen Töchtern zu verabschieden, andere Eltern sollen sie haben“, sagt sie.

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Die Familie schaut inzwischen nach vorne. Anja Paeschke wird am 17. Oktober wieder mit dem Arbeiten beginnen. Und sie will ab sofort mit ihrem Mann jedes Jahr im September nach Mallorca kommen – um zu trauern und nachzusehen, ob der Gedenkstein noch da ist. „Mallorca gehört ja jetzt zu uns. Ein Stück von uns ist hiergeblieben.“

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