Das Handyvideo, das Hannah (23) und Vanessa (25) kurz nach der Landung auf Mallorca an ihre Mutter schickten, zeigte das Ferienhaus, das die Schwestern zusammen mit vier Freundinnen für eine Woche gemietet hatten - eine Villa mit Pool im Osten der Insel. "Wir haben uns mit den beiden gefreut, dass sie es so schön angetroffen hatten", sagt Anja Paeschke (52). Das Video - es sollte das letzte Lebenszeichen der beiden jungen Frauen sein, das die Familie in Schieder-Schwalenberg erreichte. Einige Stunden später waren Hannah und Vanessa tot - ertrunken im Mittelmeer.

In einem silbernen Bilderrahmen, der auf einer Anrichte im Wohnzimmer der Paesch­kes steht, steckt ein Schwarz-Weiß-Foto. Es zeigt die Schwestern, wie sie eng zusammenstehen und einen Kussmund machen. "Sie waren wie Zwillinge. Immer füreinander da", sagt die Mutter. Zur Familie gehören noch Paul (13), Laura (27) und Stiefvater Matthias (56). Sie alle können den Verlust nicht begreifen. "Ich träume nachts, dass ich in einen tiefen Brunnen falle und unten hart aufschlage", erzählt Anja Paeschke unter Tränen.

Hannah arbeitete als Krankenschwester im Klinikum Lippe, Vanessa als Altenpflegerin im Elisenstift Blomberg. Gerade hatte sie ihre Prüfung zur Pflegedienstleitung bestanden. "Das Corona-Jahr hat die beiden fertiggemacht", sagt Anja Paeschke, selbst Altenpflegerin und Palliativfachkraft. "Hannah hat auf der Krebsstation miterlebt, wie Menschen ohne Angehörige sterben mussten, und Vanessa hat die Einsamkeit der Alten zu schaffen gemacht." Trotzdem hätten sich beide reingehängt, zum Teil auch Doppelschichten gearbeitet. "Zum Schluss waren sie einfach gar. Deshalb war diese Woche Mallorca so wichtig für sie. Sie hatten sich wahnsinnig gefreut, endlich mal rauszukommen und mit ihren Freundinnen etwas zu erleben."

Das Unglück geschah am 2. September frühmorgens, etwa zwölf Stunden nach Ankunft der Frauen auf der Insel. Die Schwestern waren gegen 2 Uhr mit ihren vier Freundinnen aus Lügde, Schieder-Schwalenberg und Köln am Strand der Bucht von Mandia, begleitet von einem deutschen Bekannten (30). "Hannah, Vanessa und ihr Freundin Sina liefen ins Meer, aber nicht mal bis zum Bauchnabel", sagt die Mutter. Die überlebende Freundin habe ihr später erzählt, wie ihr die Unterströmung die Beine weggerissen habe. "Sie ist untergegangen und hat Wasser geschluckt, aber der junge Mann konnte sie retten." Danach zog er Vanessa aus dem Meer, die aber schon nicht mehr bei Bewusstsein war. Von Hannah war in der dunklen Nacht nichts mehr zu sehen.

Notruf legt auf, weil die Frauen kein Spanisch sprachen

"Die Freundinnen wählten den Notruf, aber die Polizei hat immer wieder aufgelegt, weil die Mädchen kein Spanisch konnten. Wie arrogant!", sagt die Mutter. Eine Freundin sei dann ins Hotel Cala Mendia gelaufen und habe dort Alarm geschlagen.

Aber die Hilfe kam zu spät. Hannah wurde schließlich von einer Hubschrauberbesatzung entdeckt und von Helfern aus dem Meer gezogen. Sie wurde noch am Strand für tot erklärt. Ihre jüngere Schwester, bei der die Freundinnen mit Wiederbelebungsversuchen begonnen hatten, kam noch ins 60 Kilometer entfernte Krankenhaus nach Palma. Dort wurde später ihr Hirntod festgestellt.

Nicht die spanische Polizei, nicht das Konsulat, nicht das Auswärtige Amt - keine Behörde informierte die Eltern über den Tod ihrer Kinder. Das musste eine der Freundinnen tun. Matthias Paeschke: "Es war mittags um 12.05 Uhr, als mein Handy klingelte. Melanie war dran und sagte, die spanische Polizei habe sie zu diesem Anruf gezwungen. Sie habe eine sehr schlimme Nachricht für uns."

Seit diesem Telefongespräch sei nichts mehr wie früher, sagt Anja Paeschke. Alles sei ihr egal, und am liebsten würde sie ihren Töchtern folgen. "Aber die anderen beiden Kinder sind ja auch noch da. Und wenn Hannah und Vanessa mich hören könnten, würden sie sagen: Mama, geht's noch?"

Die Familie ist verbittert und enttäuscht, weil sie in ihrer Trauer, in ihrer Ausnahmesituation von keiner offiziellen Stelle Unterstützung erfahren hat. Matthias Paeschke: "Das fing damit an, dass sich die Freundinnen unserer Töchter in Palma hilfesuchend ans deutsche Konsulat gewandt hatten, aber weggeschickt wurden." Die Überlegung, selbst nach Mallorca zu fliegen, verwarfen die Eltern, weil ihnen gesagt wurde, ihre Töchter lägen in der Rechtsmedizin, und dort gebe es keinen Zutritt. "Andererseits sollten wir aber sofort 9.500 Euro überweisen, um eine Einäscherung in Spanien zu verhindern und das Verfahren zur Überführung in Gang zu setzen", sagt die Mutter.

Freigabe der Leichen zieht sich hin

Die Freigabe ihrer Töchter durch die spanischen Behörden habe sich hingezogen, ein Tag nach dem anderen sei vergangen. "Mal lag die Akte beim falschen Richter, mal war das Aktenzeichen verkehrt."

Zu dieser belastenden Ungewissheit seien Anfeindungen in Deutschland gekommen. "Auf Facebook schrieben Leute, wie blöd man eigentlich sein kann. Die beiden seien selbst schuld, sie hätten die rote Fahne am Strand sehen müssen. Dabei hing die da in der Nacht gar nicht. Und die beiden sind ja auch nicht schwimmen gewesen. Es war ein Unfall, da hatte niemand Schuld."

Doch es gab auch Menschen, die mit der Familie fühlten. Matthias Paeschke zeigt auf zwei dicke Stapel mit Beileidsbekundungen - Trauerkarten, aber auch lange Briefe. "Dafür sind wir sehr dankbar. Viele sind von Menschen, die wir überhaupt nicht kennen. Eine Mutter schrieb, sie habe kürzlich ihr Kind bei einem Unfall auf einem Parkplatz verloren und fühle mit uns."

Auch Spenden gingen ein. Anja Paeschke: "Als die Freundinnen unserer Töchter hörten, dass Überführungen und Bestattungen bis zu 50.000 Euro kosten könnten, haben sie einen Aufruf gestartet, und viele, viele Menschen haben gespendet. Das war überwältigend." Wenn zum Schluss Geld übrig bleibe, wolle sie das einem Kinderhospiz geben, sagt die Mutter. "Ich hoffe, das ist im Sinne der Spender. Im Hospiz können sich Eltern von ihren sterbenden Kindern verabschieden. Wir konnten das nicht."

Zehn Tage nach dem Unglück wurden Hannah und Vanessa schließlich nach Deutschland überführt. Ohne das Bestattungshaus Drabek aus Horn-Bad Meinberg hätten sie vor der spanischen Bürokratie kapituliert, sagt die Mutter. "Drabeks waren eine unglaubliche Hilfe und haben sich toll um alles gekümmert."

Nun konnte die Familie endlich einen letzten Blick auf die Schwestern werfen und sie noch einmal berühren. "Das war irgendwie auch befreiend", sagt Matthias Paeschke. "Als wir die beiden sahen, herrschte Klarheit. Hätten die Spanier Vanessa und Hannah verbrannt und uns die Urnen übergeben - wir hätten niemals unseren Frieden gefunden."

Niemand fragt nach dem letzten Willen

Und doch sind noch Fragen offen. "Vanessa wollte ihre Organe spenden", sagt ihre ältere Schwester Laura. "Wir wissen bis heute nicht, ob sie von selbst im Krankenhaus gestorben ist, oder ob die Maschinen abgeschaltet wurden, weil Vanessa hirntot war. In diesem Fall hätte sie ihre Organe ja noch spenden können. Aber uns hat niemand nach ihrem letzten Willen gefragt."

Fast eine Woche ist es jetzt her, dass hunderte Menschen in einem Trauergottesdienst Abschied von den Frauen genommen haben. Für die beiden ließen die Hinterbliebenen "Love Tonight" spielen, und für Anja Paeschke erklang Udo Jürgens? "Immer wieder geht die Sonne auf". Das Lied mache ihr Hoffnung, sagt die Mutter. "Es muss ja irgendwie weitergehen."

Die Familie hätte Vanessa und Hannah eigentlich in Särgen zu Grabe getragen. Doch dann erfuhr sie von den Freundinnen der beiden, dass die mal über Ur­nenbestattung gesprochen hatten. Laura Paeschke muss schmunzeln: "Meine Schwestern meinten, sie seien zu schön, um Wurmfutter zu werden, und wollten lieber eingeäschert werden." So geschah es dann auch.

Das könnte Sie interessieren:

Die Familie hat die beiden Urnen in einem gemeinsamen Grab beigesetzt. Für Vanessa, die "Cinderella" liebte, hat die Familie eine goldverzierte rosa Urne mit "Cinderella"-Motiv ausgesucht. Und die dunkelgrüne Urne von Hannah, die leidenschaftlich Suzuki fuhr und Mitglied der Motorradgruppe "Die Knieschleifer" war, ziert ein Motorrad-Emblem und die Aufschrift "Letzte Tour".

Konsul Engstler nimmt Stellung zu den Vorwürfen

Der deutsche Konsul auf Mallorca, Wolfgang Engstler, zeigte sich in einer Stellungnahme der MZ gegenüber ein Stück weit verwundert über die Vorwürfe der Familie der beiden verunglückten Schwestern. Dass die Freundinnen von Vanessa und Hannah am Konsulat weggeschickt worden seien, stimme nicht, sagt Engstler. “Persönlich sind sie gar nicht beim Konsulat vorstellig geworden.” Vielmehr habe es mehrfachen telefonischen Kontakt gegeben.

Dass das erste Telefonat dabei unglücklich verlaufen sein könnte, räumt Engstler ein. Eine der Freundinnen habe um 5.15 Uhr in der Nacht auf den 2. September, also nicht einmal drei Stunden nach dem Unglück, angerufen. Die Kollegin, die Bereitschaft hatte, habe im Tiefschlaf gelegen und den Ernst der Lage am Telefon nicht erfasst. „Wir bekommen nachts häufig Anrufe von Betrunkenen“, sagt Engstler. Er habe selbst an einem einzigen Wochenende einmal rund 100 Anrufe auf dem Bereitschaftshandy bekommen.

In dem ersten Telefongespräch in der Nacht zwischen der Konsulatsmitarbeiterin und der Freundin der Verunglückten sei zu keinem Moment zur Sprache gekommen, dass es Verletzte oder gar Tote gegeben habe. Es sei lediglich um den Wunsch nach einer sofortigen Flugumbuchung gegangen. Die Anruferin habe ruhig und gefasst gesprochen. Die bearbeitende Mitarbeiterin verfüge über viel Erfahrung mit Todesfällen auf der Insel. Dennoch tut Engstler der Vorfall leid.

Auch habe die Kollegin eine der Freundinnen bei einem zweiten Telefonat mehrfach gefragt, ob sie sich zutraue, die Todesnachricht den Eltern zu überbringen. Und mehrfach hätten die Freundinnen die Frage bejaht. „Sind keine Angehörigen vor Ort, benachrichtigen wir in derartigen Fällen das Bundeskriminalamt, das dann die zuständige örtliche Polizeidienststelle informiert. Und von dort machen sich dann Beamte auf den Weg zu den Angehörigen“, erklärt Engstler.

Ein deutschsprachiges Bestattungsunternehmen auf Mallorca sei von der Familie der verunglückten Schwestern mit der Rückführung beauftragt worden und habe diese gewohnt zuverlässig organisiert. Der Stiefvater der beiden Schwestern habe sich danach sogar bei der Bestatterin bedankt. Dass die Rückführung von Mallorca so lange gedauert habe, liege nicht in der Hand des Konsulats und des Bestattungsunternehmens, so Engstler.

Zu dem Vorwurf der Mutter, die Familie hätte sofort 9.500 Euro an das Bestattungsunternehmen überweisen sollen, um eine Einäscherung in Spanien zu verhindern und das Verfahren zur Überführung in Gang zu setzen, kann sich Engstler nicht konkret äußern, weil diese Modalitäten zwischen Angehörigen und Bestattungsunternehmen geklärt werden. Johannes Krayer