Studie belegt extrem hohen Porno-Konsum unter Jugendlichen auf Mallorca

Neun von zehn Jugendlichen schauen Sex-Filme– je härter und brutaler die Inhalte, desto beliebter. Die Eltern sind meist ahnungslos

Mit ihren Smartphones gelangen Jugendliche mit wenigen Klicks auf Porno-Portale.

Mit ihren Smartphones gelangen Jugendliche mit wenigen Klicks auf Porno-Portale. / L.O.

Sophie Mono

Sophie Mono

Es sind beunruhigende Zahlen: Neun von zehn Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren sehen sich auf den Balearen pornografisches Material im Internet an – knapp ein Drittel von ihnen täglich, vier bis fünf Stunden in der Woche. Material, das eigentlich gar nicht für die Augen von Minderjährigen bestimmt ist. Oft zeigt es moralisch fragwürdige, manchmal sogar schlichtweg illegale Praktiken. Von Erniedrigungen der Frau über Gewaltszenen bis hin zu Missbrauch von Jugendlichen und Gruppenvergewaltigungen.

„76 Prozent der Befragten bevorzugen Pornografie mit gewalttätigen Komponenten. Es ist wie eine Sucht. Sie beginnen mit weniger drastischen Videos, aber wie bei einer Droge brauchen sie mit der Zeit immer mehr und härtere Inhalte. Sie gewöhnen sich an die Gewalt, normalisieren sie. Das ist für ihre Entwicklung und auch die der Gesellschaft fatal“, sagt Lluís Ballester.

Der Soziologe und Professor an der Balearen-Uni forscht bereits seit sechs Jahren intensiv zum Thema Porno-Konsum von Jugendlichen auf den Balearen. Seitdem, so beobachtet er, habe sich neben der Nachfrage nach harten Inhalten auch das Angebot deutlich ausgebreitet. „Früher waren die Gewaltvideos fast überwiegend im Darknet zu finden, heute bietet die Pornoindustrie immer mehr davon auf einfach zugänglichen Plattformen an, die jeder mit ein paar Klicks aufrufen kann.“

Und nicht nur das: Auch die Anzahl der Konsumenten steige kontinuierlich. Als die MZ Ballester im Sommer 2019 zu seiner damals erschienenen Studie befragte, waren es noch drei von vier Jugendlichen, die im Internet Pornografie anschauten, die meisten von ihnen Jungen. „Mittlerweile ist kaum noch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern festzustellen. Auch knapp 90 Prozent der Mädchen konsumieren Pornografie, wenn auch meist nicht so häufig und nicht so lange wie die Jungen.“

Wie man sich beim Sex "richtig" verhält

Als Grundlage für die neuesten Beobachtungen diente eine schriftliche Befragung von 3.629 Schülerinnen und Schülern, die Ballester zusammen mit seiner Kollegin Valentina Milano an 76 verschiedenen Bildungseinrichtungen auf den Balearen durchgeführt hat. Die Teilnehmer beantworteten die Fragebögen schriftlich und anonym – eine Methode, um möglichst ehrliche Antworten zu erlangen.

„Es geht nicht immer um Selbstbefriedigung, die Gründe für den Konsum sind unterschiedlich“, sagt Ballester. Oft sei es vor allem die Neugier der Heranwachsenden – und das Gefühl, wissen zu müssen, was angesagt ist und wie man sich beim Sex vermeintlich „richtig“ verhält. Zwar schauten sich die Jugend- lichen die Inhalte meist alleine auf ihren Smartphones an, es sei jedoch immer üblicher, dass gerade männliche Jugendliche die Pornos an ihre Freunde weiterleiteten und auch viele Mädchen anstifteten, sie sich anzusehen.

Der Soziologe Lluís Ballester.

Der Soziologe Lluís Ballester. / Guillem Bosch

Nur ein Viertel del Eltern wussten Bescheid

„Sie reden untereinander viel darüber, es ist alles andere als ein Tabuthema“, sagt Ballester. Nur gegenüber den Eltern herrscht meist Schweigen. „Wir befragten auch rund 2.600 Familien, und nur etwa 25 Prozent der Eltern wussten überhaupt, dass ihr Nachwuchs schon einmal Pornos gesehen hat“, berichtet der Soziologe.

Und genau das sei häufig der Knackpunkt. „Die Neugierde der Jugendlichen zum Thema Sexualität wird durch die Eltern und Lehrkräfte nicht ausreichend gesättigt, häufig wird gar nicht darüber geredet oder auf einer Ebene, die die Jugendlichen nicht erreicht.“ Dabei könne man mit der richtigen Herangehensweise als Erwachsener viel bewegen.

Zu den wenigen Jugendlichen, die sich dem Pornokonsum entzögen, gehörten jene, deren persönliche Werte stark ausgeprägt seien, egal ob feministischer oder religiöser Art. „Es ist überaus wichtig, die Jugendlichen zum kritischen und hinterfragenden Denken zu bewegen“, sagt Ballester. Aber das gehe eben nur, wenn die Eltern nicht die Augen verschlössen. „Viele denken: ‚Mein Kind macht so etwas nicht.‘ Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie sich irren.“

Besorgniserregende Auswirkungen

Die Auswirkungen, die die Pornografie – vor allem wenn sie Gewalt enthält – auf die Heranwachsenden hat, sind weitreichend: Elf Prozent der Jugendlichen auf den Balearen wollen der Studie zufolge keine Kondome nutzen, da die Protagonisten in den Videos in der Regel auch keine tragen. Auch herabwürdigendes Verhalten gegenüber Frauen beim Sex werde immer mehr verinnerlicht. Nicht nur die männlichen Jugendlichen übernähmen viele Handlungsmuster, die sie auf dem Bildschirm sähen, auch die heranwachsenden Frauen, die oft versuchten, das Gesehene nachzuahmen.

Ein Polizist prüft pornografische Aufnahmen auf einem Handy.

Ein Polizist prüft pornografische Aufnahmen auf einem Handy. / Guardia Civil

Zudem nehme der Sex mit Unbekannten oder das Filmen und Verbreiten sexueller Handlungen zu. „Teilweise leiten die Jugendlichen selbst gefilmte Videos untereinander weiter“, sagt Lluís Ballester. Gleichzeitig seien sich viele der Befragten durchaus darüber bewusst, dass der Pornokonsum sich letztlich negativ auf die sexuellen Kontakte im wahren Leben auswirke. „Erstaunlicherweise vor allem die Jungen. Vier von zehn sind sich der Folgen bewusst. Sie langweilen sich mit ihren Geschlechtspartnerinnen, merken, dass ihre Ansprüche nicht der Realität entsprechen oder fühlen sich selbst unter Druck, bestimmte Praktiken ausüben zu müssen, die sie im Internet gesehen haben, obwohl sie es eigentlich selbst gar nicht wollen“, sagt Ballester.

Kontrollen und echte Umarmungen helfen

Neben stabiler Wertevermittlung seien auch bessere Kontrollen vonnöten. „Im Fernsehen und im Kino ist es unmöglich, dass Minderjährige bestimmte Inhalte sehen, aber wenn sie über das Handy Zugang dazu haben, ist es ganz normal. Das ist absurd.“ Letztlich müsse die Gesellschaft und speziell das Rechtssystem mehr Schutz bieten. Immerhin: Auf

den Balearen ist man sich der Brisanz des Themas an öffentlicher Stelle bewusst. Die aktuelle Studie war von der balearischen Landes- regierung in Auftrag gegeben worden. Man sei „sehr besorgt“ über die Ergebnisse, so Präsidialamtsministerin Mercedes Garrido. Über eine wie auch immer geartete Verschärfung der Rechtslage werde bereits angedacht.

Aber auch etwas anderes helfe, den Pornokonsum junger Leute deutlich zu reduzieren, sagt Lluís Ballester: Wenn sie beginnen, ernsthafte emotionale Beziehungen zum anderen Geschlecht aufzubauen. „Pornografisches Material wirkt wie ein Dopamin-Produzent. Aber ein anderes Glückshormon, das Oxytocin, das eine beruhigende und bindende Wirkung hat, wird nur durch den persönlichen Kontakt erzeugt, durch Umarmungen und Nähe. So etwas können Pornos nicht leisten.“ Diese Erfahrung rücke das verzerrte Weltbild der Jugendlichen oft ein Stück weit wieder gerade.

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