Rechenspiele und Halbwahrheiten: So läuft der Wahlkampf für die Spanien-Wahl am 23. Juli

Wahlkampf auf der Zielgeraden: Premier Sánchez versäumt seine Chance zur Aufholjagd

Zwei Stunden sich ins Wort fallen und sich gegenseitig der Lüge bezichtigen: das TV-Duell von Sánchez (li.) und Núñez Feijóo.

Zwei Stunden sich ins Wort fallen und sich gegenseitig der Lüge bezichtigen: das TV-Duell von Sánchez (li.) und Núñez Feijóo. / Paul Hanna/Bloomberg

Aus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Wenn man den Umfragen glaubt, hat der Wahlkampf für den vorgezogenen Urnengang der spanischen Parlamentswahlen am 23. Juli bislang keine größeren Bewegungen ausgelöst. Die konservative Volkspartei (PP) mit ihrem Spitzenkandidaten Alberto Núñez Feijóo liegt in allen Befragungen weiterhin deutlich vorne, und es scheint eher darum zu gehen, ob es für eine ausreichende Mehrheit im Parlament reichen wird – alleine oder mit der rechtsextremen Vox.

Auch das zuvor von den Medien als Schlüsselmoment hochgejazzte TV-Duell zwischen Núñez Feijóo und Ministerpräsident Pedro Sánchez von den Sozialisten (PSOE) am Montag (10.7.) hat offenbar keine Trendwende beschert. Nach Ansicht von Kommentatoren rechts und links des politischen Spektrums vergab der Premier eine Chance, den Abstand auf die PP zu verkürzen. Sánchez wirkte unsicher und erratisch. Er ließ sich von einem angriffslustigen Núñez Feijóo in die Ecke drängen, oft mit Halbwahrheiten oder Lügen, etwa dass die PP für die Anhebung der Renten gestimmt hätte – das Gegenteil stimmt.

Konservative Spitzenkandidat unterbreitet ein "vergiftetes" Angebot

Konkrete Vorschläge oder Zukunftsvisionen waren Fehlanzeige in der einzigen TV-Debatte, auf die sich Núñez Feijóo eingelassen hatte. Ein Vorschlag des Konservativen zeigte, worum es am 23. Juli geht. Núñez Feijóo zog ein Papier hervor, das er sofort selbst unterschrieb. Darin verpflichtet er sich, Sánchez zum Ministerpräsidenten zu machen, sollte die PSOE am Ende die Nase vorne haben. Im Gegenzug sollten sich die Sozialisten ebenso verpflichten, Núñez Feijóo zu wählen, falls die PP die meisten Stimmen erhält. Sánchez lehnte ab und hielt seinem Herausforderer vor, dass die PP sich selbst nicht an diese Regel hält. Bei den kommunalen und regionalen Wahlen am 28. Mai lag die PSOE etwa in der Extremadura leicht vorne, aber die PP schmiedete eine Koalition mit Vox. Ähnlich ist es auf den Kanaren und in mehreren Rathäusern.

Experten versichern, dass Núñez Feijóo mit seinem vergifteten Angebot an Sánchez die Tatsache übertünchen will, dass eine PP-Regierung wahrscheinlich nur mit Vox möglich sein wird. Berührungsängste zu den Rechtspopulisten, wie in anderen Ländern, haben die spanischen Konservativen schon längst abgelegt. Nach dem 28. Mai gingen sie in einigen Regionen wie den Balearen und in mehr als hundert Rathäusern Pakte mit Vox ein. Núñez Feijóo hofft jedoch darauf, dass die PP so stark wird, um auf die Rechtspartei als Koalitionspartner verzichten zu können. Daher geht er in der Endphase des Wahlkampfes vor allem rechts auf Stimmenfang. „Wir bitten die Wähler von Vox, uns ihre Stimme zu geben, damit Sánchez nicht in der Moncloa bleibt“, so der konservative Spitzenkandidat mit Verweis auf den Sitz des Premiers.

Bei der Fernsehdebatte zwischen Alberto Nuñez Feijoo (re.) und Pedro Sánchez.

Bei der Fernsehdebatte zwischen Alberto Nuñez Feijoo (re.) und Pedro Sánchez. / Juan Medina/Reuters

Das spanische Wahlsystem ist weit weniger proportional als das deutsche

Eine solche pragmatische Stimmabgabe ("voto útil") ist nicht unwichtig in einem Wahlsystem, das weit weniger proportional wirkt als das deutsche System. Die 350 Abgeordneten des Unterhauses werden über die 50 Provinzen und die beiden Exklaven Ceuta und Melilla verteilt. In vielen Provinzen stehen nur drei oder vier Sitze zur Disposition, die sich die beiden meistgewählten Parteien aufteilen. Der Rest geht leer aus. Das schadet Vox genauso wie dem Linksbündnis Sumar. Das eilig geschmiedete Wahlbündnis von 15 Parteien links der PSOE ringt laut Umfragen mit Vox um den dritten Platz, bei jeweils 13 bis 15 Prozent Zuspruch.

Das Projekt der populären Arbeitsministerin Yolanda Díaz kommt nicht richtig in Schwung, trotz einiger Vorschläge, die für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Sumar schlägt eine „universelle Erbschaft“ von 20.000 Euro für junge Leute vor, um sich fortzubilden oder ein Projekt zu starten. Arbeitsministerin Díaz verspricht außerdem eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.

Vox mit dem Spitzenkandidaten Santiago Abascal sorgt ebenfalls für Schlagzeilen. So wurden an vielen Rathäusern, in denen die Partei nach dem 28. Mai mit der PP regiert, die Regenbogenflaggen der LGTBI-Bewegung abgehangen und bereits angekündigte Filme wie Theaterstücke für den Sommer abgesetzt, darunter Werke von Virginia Woolf oder Lope de Vega, die den Rechten missfallen. Núñez Feijóo und die Konservativen lassen sich nicht auf Kommentare über diese Kontroverse ein.

Und wenn es nicht für eine rechte Mehrheit reicht?

Zehn Tage vor der Wahl scheint eine absolute Mehrheit der PP unwahrscheinlich. Aber auch zusammen mit Vox könnte es eventuell nicht für eine Mehrheit reichen. Sollten beide Parteien unter der Marke von 176 Sitzen bleiben, fände sich im Unterhaus kaum ein Partner, der eine Minderheitsregierung der Rechten stützen würde. Umgekehrt könnten PSOE und Sumar bei einem guten gemeinsamen Ergebnis wie auch bislang mit den Stimmen von nationalistischen Parteien in Katalonien und dem Baskenland rechnen. Aber auch eine Wahlwiederholung ist nicht auszuschließen, sollte für keines der beiden Lager die Rechnung aufgehen.

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