Viele "Gespenster": Spanien sucht nach Neuwahl das kleinere Übel

Vor der Parlaments-Neuwahl wurde Spanien vom Gespenst des Rechtspopulismus heimgesucht. Nach der Abstimmung gibt es plötzlich ganz andere Spukgestalten: Es droht eine monatelange politische Hängepartie - aber auch eine Renaissance der Separatisten.

Alberto Feijoo, Vorsitzender der konservativen Volkspartei (PP), wendet sich nach den Parlamentswahlen an seine Anhänger vor der Parteizentrale. Die konservative oppositionelle Volkspartei (PP) hat die Parlamentswahl in Spanien am Sonntag gewonnen, aber die absolute Mehrheit klar verfehlt. Der bisherige Regierungschef Sánchez landete mit seiner sozialistischen PSOE auf Platz zwei.

Alberto Feijoo, Vorsitzender der konservativen Volkspartei (PP), wendet sich nach den Parlamentswahlen an seine Anhänger vor der Parteizentrale. Die konservative oppositionelle Volkspartei (PP) hat die Parlamentswahl in Spanien am Sonntag gewonnen, aber die absolute Mehrheit klar verfehlt. Der bisherige Regierungschef Sánchez landete mit seiner sozialistischen PSOE auf Platz zwei. / Foto: Manu Fernandez/AP

Von Emilio Rappold und Jan-Uwe Ronneburger, dpa

«Bloqueo», «Bloqueo», «Bloqueo» - das Wort war am Tag nach der vorgezogenen Parlamentswahl in Spanien in aller Munde. Nach dem zwar klaren, für eine Regierungsbildung aber nicht ausreichenden Sieg der oppositionellen konservativen Volkspartei PP geht in der viertgrößten Volkswirtschaft der EU die Angst vor einer monatelangen politischen Hängepartie um. Einer Blockade, wie sie das Land bereits nach den Wahlen 2015 und 2019 zweimal in Serie erlebte. Und die beide Male eine Wiederholung der Abstimmung nötig machte.

Nur dass das (noch) vom sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez regierte Land jetzt und bis Jahresende im kriegserschütterten und von Inflation und Migrationsdebatten zerwühlten Europa den EU-Ratsvorsitz innehat. Erschwerend kommt hinzu, dass Spanien politisch und gesellschaftlich zerstrittener und polarisierter denn je ist.

Ein teuer erkaufter Triumph

Eine der meistgelesenen Blätter des Landes, «El Periódico», sprach am Montag von einem «vergifteten Szenario». «El País»-Kolumnist Javier Casqueiro bezeichnete den Erfolg der PP von Spitzenkandidat Alberto Núñez Feijóo als «Pyrrhussieg», als (zu) teuer erkauften Triumph. In die gleiche Kerbe schlugen Medienbeobachter aller Couleur: «Comeback des Bloqueo», titelte die linksliberale «La Vanguardia», und die konservative «El Mundo» sieht Spanien vor einer «ungewissen» Zukunft.

Die PP verbesserte sich am Sonntag immerhin um 47 auf 136 Sitze, sie verpasste aber die absolute Mehrheit deutlich. Auch mit den 33 Sitzen der europaskeptischen Rechtspopulisten von Vox, mit denen die PP zu verhandeln bereit ist, langt es bei weitem nicht. Umfragen hatten den Rechten Hoffnung auf einen Erdrutschsieg gemacht. Aber «es hat doch keinen Tsunami von rechts gegeben», wie «El País» feststellte.

Der sicher geglaubte starke Rechtsruck wurde jäh gestoppt. Vox wird künftig sogar 19 Abgeordnete weniger als bisher haben. Sánchez jubelte über das «Scheitern des Blocks des Rückschritts». Freude auch in Brüssel. Der Sprecher von Bündnis 90 die Grünen im Europäischen Parlament Rasmus Andresen teilte mit: «Wir Grüne freuen uns, dass es gelungen ist, den Rechtsruck in Spanien zu stoppen. Noch vor Wochen galt ein Wahlerfolg der Konservativen als ausgemachte Sache.»

Feijóo reklamiert das Amt des Regierungschefs

Núñez Feijóo, ein wenig charismatischer, aber erfahrener 61-Jähriger, reklamierte vor Tausenden jubelnden Anhängern in Madrid trotzdem das Amt des Regierungschefs für sich. «Niemand soll der Versuchung des Bloqueo erliegen», warnte er. Er werde mit mehreren Parteien sprechen. Doch es war kaum absehbar, dass andere Gruppierungen ihm im Verbund mit Vox zur Regierungsmehrheit verhelfen würden. Die meisten Parteien lehnen eine Zusammenarbeit mit Vox kategorisch ab.

Gibt es eine Alternative? Jein. Sánchez machte zwar seinem Ruf als politisches Stehaufmännchen, das Widerstände innerhalb und außerhalb der eigenen Partei überwand, alle Ehre. Nach dem Fiasko um das neue Sexualstrafrecht, das völlig unerwartet Dutzenden Sexualverbrechern vorzeitig die Zellentüren öffnete und im Schnellverfahren reformiert werden musste, und nach der Pleite der Linken bei den Regionalwahlen Ende Mai konnte die PSOE immerhin zwei Sitze hinzugewinnen.

Puigdemont als Zünglein an der Waage

Aber selbst mit der Unterstützung der 31 Abgeordneten des linken Wahlbündnisses Sumar und der Vertreter kleinerer Parteien hat Sánchez nur geringe Aussichten, mit einer Kandidatur im Parlament Erfolg zu haben. Nach übereinstimmender Analysten-Meinung steht nun deshalb anstelle von Rechtspopulisten-Boss Santiago Abascal als «Schiedsrichter» oder «Zünglein an der Waage» kein Geringerer als Carles Puigdemont im Mittelpunkt. Die Partei Junts des in Brüssel im Exil lebenden katalanischen Separatisten-Führers könnte mit der Enthaltung ihrer sieben Abgeordneten eine neue Sánchez-Regierung ermöglichen.

Ginge das? Mit seiner Besänftigungspolitik hat Sánchez ja eine Entspannung des Katalonien-Konflikts erreicht. Er arbeitete vor allem mit der linken separatistischen Partei ERC relativ eng zusammen, machte sich in der Region viele Freunde und erzielte dort am Sonntag mit seinen Sozialisten entsprechend gute Ergebnisse. Puigdemont hatte zwar eine Unterstützung sowohl der PP als auch der PSOE abgelehnt. Doch Junts-Chefin Miriam Nogueras ließ am Wahlabend ein Hintertürchen offen. Eine Unterstützung werde nicht umsonst sein, meinte sie.

Cristina Narbona (l-r), erste Vizepräsidentin des Senats und Präsidentin der PSOE, Pedro Sanchez, bisheriger sozialistische Regierungschef und Generalsekretär der Partei, und Maria Jesus Montero, Finanzministerin von Spanien, nehmen an der Sitzung des Bundesvorstandes der PSOE nach den Parlamentswahlen teil. Nach der Wahl in Spanien gibt es keinen klaren Sieger. Die oppositionellen Konservativen scheitern mit ihrer angedachten Allianz mit den Rechtspopulisten. Und auch die bislang regierenden Sozialisten haben nur rechnerisch eine Mehrheit in Aussicht.

Cristina Narbona (l-r), erste Vizepräsidentin des Senats und Präsidentin der PSOE, Pedro Sanchez, bisheriger sozialistische Regierungschef und Generalsekretär der Partei, und Maria Jesus Montero, Finanzministerin von Spanien, nehmen an der Sitzung des Bundesvorstandes der PSOE nach den Parlamentswahlen teil. Nach der Wahl in Spanien gibt es keinen klaren Sieger. Die oppositionellen Konservativen scheitern mit ihrer angedachten Allianz mit den Rechtspopulisten. Und auch die bislang regierenden Sozialisten haben nur rechnerisch eine Mehrheit in Aussicht. / Foto: Carlos Luján/EUROPA PRESS/dpa

Das Problem: Die eher rechts der Mitte positionierten Puigdemont und Junts sind auch für viele PSOE-Wähler ein «rotes Tuch», eine vielleicht noch schlimmere Spukgestalt als Vox oder «Bloqueo». Anders als die gesprächsbereite ERC setzt sich Junts nämlich für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum notfalls auch gegen den Willen des Zentralstaates ein. «Die rechtliche Situation des Justizflüchtlings Puigdemont und dessen auf Konfrontation ausgerichtete Strategie könnten zu einer Blockade führen, die eine Wiederholung der Wahl erzwingen würde», analysierte zum Beispiel «El País».

Keine große Koalition möglich

Da mag man sich fragen, warum bei so vielen «Gespenstern» und Gefahren nicht eine «große Koalition» zwischen PP und PSOE versucht wird? Die Antwort: Eine solche Lösung hat es in Spanien nie gegeben und ist auch heute immer noch undenkbar - und das hat mehrere Gründe.

Zum einen sind PP und PSOE ideologisch viel, viel weiter voneinander entfernt als zum Beispiel ihre deutschen Schwesterparteien CDU und SPD. Feijóo sagte im Wahlkampf immer wieder, er wolle den «Sanchismo» beenden. Und auch mehrere Gesetze im Bereich von Umwelt-, Frauen- und Minderheitenschutz sowie Aufarbeitung der Diktatur, die die PSOE als soziale Errungenschaften feiert, will er abgeschafft sehen.

Die Fronten zwischen den Traditionsparteien sind in Spanien derart verhärtet, dass sogar eine Tolerierung einer Regierung des jeweiligen Erzrivalen als extrem unwahrscheinlich gilt. Und es ist auch nicht so, dass die Spanier generell politisch sehr vereinigungsfähig sind. Im Gegenteil: Der derzeitige Linken-Zusammenschluss ist die erste Koalitionsregierung überhaupt der spanischen Demokratie.