Es ist eine Win-win-Situation. Der Rugbyverein El Toro aus Calvià sucht händeringend nach neuen Spielern. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Jugendliche, die ihre Zeit vertrödeln und im schlimmsten Fall auf die schiefe Bahn geraten. Eduard Moyà, Lehrer an einer Sekundarschule und selbst Spieler im Club, ist deswegen aktiv geworden und hat 2016 ein Projekt angestoßen, das sozial benachteiligte Kinder ins Vereinsleben integriert. Das Rathaus von Calvià finanziert das Projekt und hat Ende November die Zusammenarbeit nun um ein weiteres Jahr verlängert.

„Als Lehrer bekomme ich mit, wenn Kinder Außenseiter sind und keinen Freundeskreis haben. In ihrer Freizeit spielen sie allein Playstation. Falls überhaupt, denn manche fangen auch an zu kiffen oder nehmen andere Drogen“, sagt Moyà, der mit dem Thema beim Rathaus offene Türen einrannte. „Der Bürgermeister hat signalisiert, dass die Kosten übernommen werden können, wenn Schule und Verein sich um die Organisation kümmern.“ Dabei handelt es ohnehin um eher kleine Beträge. Calvià hat nun ein Budget von 2.940 Euro vorgesehen, um vier für das Projekt ausgewählte Kinder die Mitgliedschaft im Verein zu bezahlen.

Laut Moyà lassen sich die sozial benachteiligten Schüler, die für das Projekt infrage kommen, in drei Gruppen unterteilen. „Zum einen sind es Kinder aus armen Verhältnissen, deren Eltern nicht das Geld für den Sport aufbringen. Dann gibt es die Migranten, die die Sprache nicht sprechen und auf der Insel keine Bekanntschaften haben. Und es sind Kinder, die sich wegen ihres Körpers schämen, beispielsweise übergewichtige Mädchen.“

Dabei ist die Hürde groß, ausgerechnet mit Rugby anzufangen. In den Jugendkategorien spielen Jungs und Mädchen gemeinsam. Das könnte schüchterne Jugendliche abschrecken. „Unser Sport hat zudem einen schlechten Ruf. Es heißt, wir würden uns auf dem Platz prügeln, und man könne Zähne verlieren“, so Moyà. Dem sei aber nicht so. „Die Kinder verlieren schnell die Angst, weil sie im Verein Freunde finden. Sie fühlen sich zu Hause.“

Dabei hilft es auch, dass Rugby verschiedene Ansprüche an die Sportler stellt. „Wir brauchen keine durchtrainierten Triathleten. Im Rugby findet jeder seinen Platz. Kleine, clevere Spieler können als schnelle Außen spielen. Auch große und kräftige Sportler werden gebraucht. Im Prinzip ist es das Abbild der perfekten Gesellschaft. Du kannst so sein, wie du bist. Ein Vergleich mit etwaigen Vorbildern ist unangebracht. Im normalen Leben wollen die Menschen Popstars oder Influencer werden. Im Rugby ist das anders.“

26 Spieler haben in den fünf Jahren bislang Aufnahme im Projekt gefunden. „Sieben von ihnen sind weiter Mitglieder im Verein und zahlen die Beiträge teilweise selbst. Als ‚Botschafter‘ erzählen sie auch in den Schulen davon.“ Neun Kinder verschiedener Altersgruppen nehmen derzeit das Projekt in Anspruch. „Wir brauchen 15 Spieler für ein Team. Jeder neuer Sportler ist ein Geschenk. Uns fehlen ständig Leute. Nach vier Wochen Training treten die meisten Kinder schon in offiziellen Partien an. Disziplin, Teamgeist und Solidarität – mehr verlangen wir nicht.“ Das Können sei sekundär. „Wir sind keine Auswahl der Besten. Wer trainiert, spielt auch.“

Selbst für das vom Rathaus gesponsorte Training – bezahlt werden neben dem Spielerpass, der ficha, auch der Mitgliedsbeitrag im Verein, die Reisen zu den Auswärtsspielen auf das Festland und die Kleidung – ist es schwierig, begeisterte Kinder zu finden. „Seit zwei Jahren arbeiten wir mit dem Sozialamt zusammen, die uns Kandidaten vorschlagen. In meiner Schule spreche ich immer wieder Kinder an“, sagt der 48-Jährige. „Von fünf Jugendlichen sagt vielleicht einer zu. Wir kümmern uns um sie, holen sie von zu Hause ab und fahren sie nach dem Training wieder heim. Die Motivation ist am Anfang eher gering. Bei vielleicht 60 bis 70 Prozent schaffen wir es, dass die Kinder aus der Komfortzone herauskommen und Lust auf den Sport spüren.“

Einmal im Verein angekommen, sorgt die Gruppendynamik dafür, dass die Neuankömmlinge ihren Platz finden. „Der Club ist die neue Familie. Wir schauen darauf, dass jeder dabei hilft, die Umkleide aufzuräumen, nach dem Training geduscht wird und ein gegenseitiger Respekt herrscht“, sagt Moyà.

Dass El Toro schon immer ein besonderer Verein war, zeigt auch der Fall der transsexuellen Spielerin Lu Fornés. Die Mallorquinerin wurde als Junge geboren, fühlte sich aber als Mädchen. „Dass sie bei uns im gleichen Team bleiben konnte, hat ihr dabei geholfen, sich zu öffnen und zu sich selbst zu finden.“

Falls Sie Kinder kennen, die für das Projekt geeignet sind oder selbst Rugby spielen möchten, können Sie sich an Sportdirektor Victor Dengra wenden (Tel.: 645-93 36 64). El Toro hat Jugendteams in den Altersklassen bis 18 Jahre. Die Herren und Frauen spielen in einer balearenweiten Liga.