Große Träume: Der WM-Titel motiviert Fußballerinnen – das sagen Frauen aus der Weltmeisterschmiede

Der Frauenfußball in Spanien hat einen Schub bekommen. Clubs verzeichnen Zulauf. Nun gibt es Zoff im Verband

Carmen Bajesteros, Paulina Molina, Inez Osto und Amai Santis (v. li. n. re.) beim Training des UD Collerense.  | FOTO: NELE BENDGENS

Carmen Bajesteros, Paulina Molina, Inez Osto und Amai Santis (v. li. n. re.) beim Training des UD Collerense. | FOTO: NELE BENDGENS / Isa Hoffinger

Isa Hoffinger

Isa Hoffinger

Paulina läuft mit kraftvollen Schritten diagonal auf das Tor zu und visiert den linken Pfosten an. Mit der Innenseite ihres rechten Fußes donnert sie den Ball ins lange Eck; der angeschnittene Schuss fliegt eine zwanzig Meter lange Kurve durch die Luft, dann prallt er mit einem Knall vom Pfosten ab und rollt zurück auf das Spielfeld. Paulina Molina, 22 Jahre, etwa 1,70 groß, zierlich, brauner Pferdeschwanz, schüttelt den Kopf, sie ärgert sich kurz, ballt die rechte Faust, dann lacht sie über die verpatzte Chance und klatscht die 19-jährige Carmen Bajesteros ab, die das runde Leder mit dem Rist annimmt und einen Flachschuss probiert. Danach ist Antonia Chaparro dran, mit 16 Jahren gehört sie zu den Jüngsten im Team. Antonia versenkt einen Elfer in der Mitte des Netzes, allerdings ohne Gegnerin, die Torhüterin des Teams fehlt an diesem Donnerstag Mitte September.

Es ist hinreißend, mit welchem Elan, welcher Begeisterung die jungen Frauen dribbeln, Freistöße schießen, sich den Ball abjagen, wie sie in den Spielpausen feixen und sich gegenseitig umarmen, während ein vanillefarbener Himmel sich über Palma spannt und die untergehende Sonne die Häuserwände im Viertel Coll d’en Rabassa in einem warmen Orangeton leuchten lässt.

Auf dem Rasen vor der blau getünchten Tribüne im Stadion Ca Na Paulina, auf der ein paar Familienmitglieder und Freunde sitzen, stehen 16 Frauen mit blauen Shorts und Trikots in derselben Farbe wie der, die ihre Vorbilder tragen, die Frauen der „Furija Roja“, der roten Furie, wie die Fußballnationalmannschaften in Spanien heißen.

Die Weltmeisterschmiede auf Mallorca

Dreimal in der Woche, jeweils 90 Minuten, trainieren die jungen Spielerinnen vom UD Collerense, die etwa zwischen 16 und 24 Jahre alt sind, auf einem Platz, der von hohen Mauern und einem hässlichen Zaun umgeben ist. Einige sind hier, weil sie bei den Spielen an den Wochenenden gewinnen wollen, andere arbeiten hart für einen großen persönliche Traum: So gut zu werden wie Catalina Coll und Mariona Caldentey, die in diesem Club trainierten und Weltmeisterinnen wurden.

„Ich bin sehr stolz auf unsere Nationalspielerinnen, wir möchten in ihre Fußstapfen treten“, sagt Paulina Molina, die erst seit zwei Jahren professionell spielt. Zum Fußball ist Paulina durch ihre Brüder gekommen, die schon auf dem Bolzplatz standen, als sie noch im Kindergarten waren. Carmen Bajesteros spielt, seit sie acht Jahre alt ist. „Viele Mädchen sind jetzt enorm motiviert, dank des Titelgewinns. Wir wollen es bis nach oben schaffen. Das sehe ich auch bei Mädchen in meiner Familie, die sich nun einem Verein anschließen oder die in der Freizeit im Freien spielen.“

Es geht nicht ums Geld

Amai Santis ist 17 Jahre alt, sie geht noch zur Schule. Ihr großer Wunsch ist, Profifußballerin zu werden. Ums Geldverdienen gehe es ihr nicht, sagt sie. „Eine Profikarriere ist sehr hart, man muss auf vieles verzichten, auf andere Hobbys beispielsweise, aber ich bin einfach glücklich, wenn ich mit meinem Team zusammen sein darf. Gemeinsam zu gewinnen ist das Größte.“

Auch außerhalb vom Platz sind die Nationalspielerinnen Vorbilder für die jungen Frauen. Dass sie sich gegen Sexismus wehren, finden fast alle Spielerinnen, die an diesem Abend trainieren, wichtig. „Es geht nicht nur um einen Kuss oder darum, was Rubiales getan hat, ob er dafür bestraft wird oder nicht“, sagt Paulina Molina, „es geht um das schlechte Bild, das der Präsident vermittelt hat, das ist weder gut für das Image Spaniens noch des Sports.“ Nach wie vor nutzen mehr Männer als Frauen ihre Macht aus, glauben die Frauen, den momentanen Streik finden sie gut.

Klebebildchen ihrer Vorbilder

Der Begeisterung vieler Mädchen schadet das im Moment nicht. Zum ersten Mal gab es zur WM ein Panini-Heft mit Klebebildern der Nationalspielerinnen, die auch viele Mädchen auf Mallorca sammelten. Mehr als eine Million Frauen und Mädchen spielen heute in Vereinen weltweit Fußball. Das war lange undenkbar. Die erste Nationalmannschaft der Frauen wurde 1971 ins Leben gerufen und lief gegen Portugal auf. Den ersten deutschen Fußballverein gründete Lotte Specht 1930. In der Öffentlichkeit wurden viele Spielerinnen damals als „Mannweiber“ verunglimpft. Auf dem Platz bekamen sie sogar Steine an den Kopf geworfen. Unter Hitler und Franco war es fast ein rebellischer Akt, wenn Frauenteams heimlich in Hinterhöfen spielten, Vereine durften sie nicht gründen. 1982 fand das erste Länderspiel einer Frauenelf in Europa statt, Deutschland gewann gegen die Schweiz, Anerkennung gab es kaum, die Siegerprämie war ein Bügelbrett.

Pili Espadas, die Trainerin der Frauen bei UD Collerense, lenkt den Blick auf den Sport, weg vom aktuellen Streit. „Als ich vor 25 Jahren anfing, hätte ich nie gewagt, vom Weltmeistertitel zu träumen. Jetzt hat es Spanien geschafft, das ist trotz allem wunderbar.“

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