Tennis-WM auf Mallorca: Wenn Senioren bis zum letzten Herzschlag spielen

Nach einer Art Grand Slam veranstaltet ein Deutscher nun die Weltmeisterschaft in Sa Font de Sa Cala. Für die Teilnehmer ist es ein Mix aus Urlaub, Kaffeeklatsch und Sport auf höchstem Niveau. Das birgt auch Risiken

Die Spieler zählen die Punkte selbst. Bei Streitigkeiten wird ein Schiedsrichter gerufen.  | FOTOS: NELE BENDGENS

Die Spieler zählen die Punkte selbst. Bei Streitigkeiten wird ein Schiedsrichter gerufen. | FOTOS: NELE BENDGENS / Ralf Petzold

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Sportliche Rentner und jugendliche Sportler sind gar nicht mal so unterschiedlich. Im Vordergrund steht der Spaßfaktor, wie in Sa Font de Sa Cala zu begutachten ist. Dort laufen derzeit die ITF Masters. Tennis spielen, Urlaub machen, Märkte besuchen und eine Runde Doppelkopf kloppen, so beschreibt die 71-Jährige Susanne Schweda das Programm. „Und nicht zu vergessen: die Party bei der Happy Hour“, sagt sie. Doch geht das überhaupt? Darf man am Abend vor einem wichtigen Spiel Alkohol trinken? „Selbst wenn ich nur am Wasserglas nippe, heißt das in meinem Alter nicht, dass ich am nächsten Tag fit bin“, sagt Schweda und lacht. Früher zählte sie zu den Weltbesten. Nach einer Verletzung samt hälbjahriger Pause kämpft sie nun ein wenig vergeblich um den Anschluss und fehlt deshalb auch bei der WM, die danach ansteht.

Seit 27 Jahren veranstaltet Helge Albrecht das Inselturnier. Der frühere Tennisspieler und -trainer organisierte in seiner Heimat Lüchow in Niedersachen 1995 die Team-WM für Senioren, den Fred Perry Cup. „Das war ein derartiger Erfolg, dass die Teilnehmer mich gebeten haben, ein normales ITF-Masters-Turnier zu veranstalten“, sagt der 77-Jährige und fügt augenzwinkernd hinzu: „Als Lehrer hat man bekanntermaßen viel Freizeit.“

Vom Trainingslager zum Turnier

Da er mit seinen Tennisschülern in den Ferien seit langer Zeit zum Trainingslager in den Beach Club nach Sa Font de Sa Cala kam, entschied er sich für Mallorca als neuen Austragungsort. Los ging es mit 75 Leuten. Jahr für Jahr kamen mehr. „Erst waren es 400, später 800 Teilnehmer. Unsere Organisation ist wegen des großen Ansturms regelrecht zusammengebrochen.

Mittlerweile spielen wir auf 42 Plätzen von vier Tennisanlagen in der Umgebung“, sagt Albrecht. 35 Ehrenamtliche sind damit beschäftigt, die 820 Spieler aus 32 Ländern – die meisten kommen aus Deutschland – unter einen Hut zu bringen. Acht von ihnen sind ehemalige Schüler des Gymnasiallehrers. „Zu meiner Zeit gab es noch keinen professionellen Tennissport. Ich war in der Top 30 Deutschlands. Mehr als ein paar D-Mark Preisgeld waren nicht drin.“

Der Tennisverband honorierte den Erfolg des Turniers und stufte es immer weiter hinauf. Heute bekommen die Sieger 1.000 Punkte für die Rangliste. Da es bei den Senioren keine Grand Slams gibt, ist das das Maximum. „Das funktioniert wie bei Nadal und Co.“, erklärt Peter Diebenbusch, der sich auf einer Bank gerade von einer Niederlage gegen einen Libanesen erholt.

Vor ein paar Jahren war der 78-Jährige selbst deutscher Meister und Führender der Rangliste. Wie bei den Profis werden die besten Spieler im Turnierbaum gesetzt und müssen kein Startgeld zahlen. Die Stars der Szene kauft Veranstalter Albrecht gewissermaßen ein. „Wir haben ein Kontingent an Hotelzimmern, die wir kostenlos vergeben können“, sagt der 77-Jährige.

„Spiele nie mit der eigenen Frau“

Das Geld ist ein wichtiger Faktor. Denn die bis zu 600 Euro Preisgeld dürften wohl kaum die Kosten der Mallorca-Reise decken. Zumal die nur der Sieger bekommt. Und allein kommen die Spieler auch nicht auf die Insel. Da neben dem Turnier Urlaub ansteht, sind Partner, Kinder und Enkel dabei. Es geht darum, vor dem Winter noch ein paar Sonnenstrahlen einzufangen. Peter Diebenbusch kommt seit zwölf Jahren zum Turnier. „Es ist ein großes Wiedersehen. Ich schaue auf die Teilnehmerliste und finde immer Namen, die ich kenne.“

Seine Frau spielt ebenfalls mit. Gemeinsam auf dem Platz will der 78-Jährige aber nicht stehen. „Es ist ein altes Tennissprichwort: Spiele nie mit der eigenen Frau – oder du bist nächste Woche geschieden“, sagt der Rentner. Das enge Verhältnis sei beim Spiel eher hinderlich. Es fehle die nötige emotionale Distanz. „Dann kommen so Beschwerden wie: Komm doch auch mal vor ans Netz.“

Nach dem Turnier ist vor der WM

Albrecht hat die ITF Masters in zwei Wochen aufgeteilt. In der ersten waren die 30- bis 65-Jährigen dran, in der zweiten alle älteren. Die Altersklassen sind in Fünf-Jahres-Schritten aufgeteilt. So spielen beispielsweise alle 70- bis 75-Jährigen in einer Gruppe. „Eine Teilnahme in einer niedrigeren Altersklasse ist immer möglich, wenn die anderen Spieler einen dann nicht auslachen“, sagt der Veranstalter. Neben den Einzeln der Herren und Damen wird ein gemischtes Doppel gespielt.

Pro Anlage gibt es einen Schiedsrichter, auf den Plätzen zählen die Spieler ihre Punkte selbst. „Gibt es bei einem Ballwechsel einen Streit, wird der Schiri gerufen. Der schaut sich dann den Ballabdruck an und entscheidet. Bleiben dann noch Zweifel, bekommt der Spieler Recht, auf dessen Hälfte der Ballabdruck zu sehen ist“, sagt Albrecht.

Zwei Ärzte stehen für den Notfall parat. Jede Anlage verfügt über einen Defibrillator. Schließlich ist es nicht ganz ungefährlich, im hohen Alter bei Temperaturen um die 30 Grad dem Ball hinterherzujagen. „In 27 Jahren sind zwei Spieler beim Turnier gestorben“, sagt der Veranstalter. „Einer war ein Ungar, der immer von seinen fünf Stents geprahlt hat.“ Er habe sogar betont, dass es das Beste wäre, wenn er eines Tages auf dem Platz umfällt. „So kam es dann auch“, sagt Albrecht.

Mit Rafael Nadal Bälle übers Netz schlagen

Hochbetagte Teilnehmer sind keine Seltenheit. „Wir hatten vor ein paar Jahren einen 96-jährigen Ukrainer, der mitspielte. Ich habe einen guten Draht zur Familie Nadal und Rafa gefragt, ob er mit ihm ein paar Bälle übers Netz schlagen möchte. Er hat zugesagt. Der Ukrainer hat danach vor Freude geweint.

Bei der am Sonntag (8.10.) startenden zweiwöchigen Team-WM ist sogar ein 100-jähriger Australier dabei. Wie beim Davis Cup spielen Nationalmannschaften zusammen zwei Einzel und ein Doppel. „Ohne die Verletzung hätte ich mitgespielt“, ist Susanne Schweda ein wenig traurig. 34 Nationen gehen an den Start, darunter Länder wie Kolumbien oder Simbabwe, deren Spieler eine weite Reise auf sich nehmen. „Ich bin extra aus Neuseeland eingereist und war vorher nie auf Mallorca“, sagt Cathie Clarkson. „Sonst reise ich nicht so viel, aber für die Weltmeisterschaft ist kein Weg zu weit.“ Zumal das Wetter auf der anderen Seite der Erde gerade eh nicht so toll sei.

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