Die besten Athleten der Welt trainieren versteckt in einem Gewerbegebiet auf Mallorca

Alina Weidlich ist Crossfit-Weltmeisterin. Dabei fand die Flötistin erst nach einer Leukämie-Erkankung zum Profisport

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Die Spinnenweben an der Decke der riesigen Halle in Palmas Gewerbegebiet sind so groß, dass es aussieht, als wäre Spider-Man hier gerade vorbeigeschwungen. Die Sportler, die im „C23“ trainieren, haben zwar keine Superkräfte, können in Sachen Athletik aber durchaus mit dem Comic-Helden mithalten. „Es ist eine der bekanntesten Boxen Europas“, sagt Alina Weidlich. Box, so nennen die Crossfit-Athleten ihre Fitnessstudios. Die Berlinerin, die seit einem Jahr auf Mallorca lebt, kürte sich Anfang Oktober in Kanada zur Weltmeisterin.

Was ist Crossfit eigentlich?

Crossfit, das ist eine vergleichsweise junge Trendsportart, in der man „von allem etwas, aber nichts wirklich kann“, wie es Alina Weidlich ausdrückt. „Viele Leute verwechseln es vom Namen her mit Querfeldeinläufen.“ Es ist funktionale Fitness, eine Art Zirkeltraining. „Wir suchen nicht den stärksten, schnellsten oder besten Turner. Wir suchen den fittesten Menschen“, sagt Alina Weidlich. Wie der Triathlon Ironman, so ist auch Crossfit eine Eigenmarke. Der US-Amerikaner Greg Glassman entwickelte das Work-out und gründete die Firma im Jahr 2000. Heute gibt es die Boxen weltweit, und in fast allen Fitnessstudios werden Klassen angeboten.

Der Trend erwischte Alina Weidlich eher zufällig. „Als Kind war ich sportlich. Seit dem Abistress habe ich mich aber gar nicht mehr bewegt“, sagt die 34-Jährige. Sie machte sich als Flötistin einen Namen, zog nach Kiel und spielte dort im Philharmonischen Orchester. Als sie den Sport als Neujahrsvorsatz auf die To-do-Liste setzte, war die junge Frau über ihren körperlichen Zustand entsetzt. „Ich schaffte nicht einmal, eine Runde um den Block zu laufen.“

Leistungskontrolle zum Start

Zwei ihrer vier Geschwister studierten Sportwissenschaften und schlugen ihr 2018 vor, doch mal Crossfit zu probieren, das in Deutschland gerade in Mode kam. Praktischerweise eröffnete just zu dem Zeitpunkt eine Box in ihrem Viertel. „Als ich das erste Mal da war, stand gerade eine Leistungskontrolle auf dem Programm“, erinnert sich Weidlich. Die Übung hieß Cindy und besteht aus möglichst vielen Klimmzügen, Liegestützen und Kniebeugen, die in 20 Minuten gemacht werden müssen. „Klimmzüge und Liegestütze konnte ich gar nicht. Die Kniebeuge habe ich nur zur Hälfte gemacht. Das war aber in Ordnung. Das Crossfit-Motto lautet: Du musst nicht gut sein – du wirst gut.“

Schwere Krankheit

Doch ehe sich ihr Fitnesslevel erhöhte, erkrankte die Deutsche schwer. „Ich hatte ständig Infekte und am ganzen Körper nach kleinen Berührungen riesige blaue Flecke“, erzählt Weidlich. Nach einer Blutanalyse kam die Diagnose zügig: Leukämie. „Meine Welt ist zusammengebrochen“, sagt Alina Weidlich, der anzumerken ist, wie schwer es ihr noch heute fällt, darüber zu sprechen. „Anfangs sind mir trotz der Chemo die Haar nicht ausgefallen und ich erzählte nur wenigen Leuten von meiner Erkrankung“, sagt sie. Doch dann fielen die Haare doch aus. „Von da an wussten alle Leute mit einem Blick, was mit mir los war. Die Passanten auf der Straße haben mich mitleidig angeguckt. Dabei war ich dieselbe Person wie früher.“ Erst mit Ausbruch der Corona-Pandemie war sie nicht mehr der einzige Mensch mit Atemmaske auf der Straße, der an jeder Ecke das Desinfektionsmittel zücken musste.

Die Chemotherapie allein brachte anfangs keine Besserung. Erst nach einer Stammzellentransplantation gewann Alina Weidlich den dreijährigen Kampf gegen den Blutkrebs. Während dieser Zeit ging die junge Frau in sich und überlegte, was ihr wichtig im Leben ist. Welche Freunde stehen ihr wirklich nahe? Was will sie mit ihrer wertvollen Zeit anstellen? Eine der Antworten lautete: „Crossfit“. Gemeinsam mit ihrem behandelnden Arzt, einem Trainingspartner von ihr, meldete sie sich zu ihrem ersten Wettkampf an. Die beiden wurden Letzte.

Eine der ersten Profisportlerinnen

Das sollte sich aber schnell ändern. „Im Endeffekt habe ich im Crossfit meine Bestimmung gefunden. Ich bin in kurzer Zeit richtig gut geworden“, sagt Alina Weidlich. Nach ihrer Erkrankung kehrte sie nicht mehr in das Orchester zurück. Die Berlinerin wurde Profisportlerin, dabei gab gab es das im deutschen Crossfit zu diesem Zeitpunkt noch kaum. Weidlich ging auf Sponsorensuche und klapperte alle möglichen Unternehmen ab. Während die Athleten von Randsportarten meist am Hungertuch nagen, rannte Weidlich offene Türen ein. Ihre Geschichte mit dem überstandenen Krebs faszinierte die Leute. „Immer wieder schreiben mich krebskranke Menschen an und bedanken sich bei mir. Sie meinen, ich gebe ihnen Hoffnung.“ Heute ist sie das Gesicht von Werbekampagnen bekannter deutscher Internetanbieter, Finanzdienstleister und Energydrinks.

Der WM-Titel war ihr erster großer Titel, ist aber noch nicht das Maß aller Dinge. Ein internationaler Verband, der sich auch darum bemüht, das funktionale Fitness olympisch zu machen, veranstaltet die Weltmeisterschaft. „Der Verband hat aber nichts mit der Eigenmarke Crossfit am Hut“, sagt Weidlich. Die US-Firma bietet ihre eigenen Wettbewerbe an, wo es die Deutsche bislang aber lediglich ins Viertelfinale geschafft hat. „In diesem Jahr bin ich beim Seilklettern abgestürzt und habe mich verletzt. Das wird mir nicht noch einmal passieren“, sagt Alina Weidlich.

So funktionieren die Wettkämpfe

Dabei ist unklar, ob das Seilklettern überhaupt erneut auf dem Programm stehen wird. Es gibt bei Crossfit bekannte Standards wie den Burpee, einen Mix aus Kniebeuge, Liegestütz und Hockstrecksprung. Die Wettkämpfe aber sind Wundertüten. Die Crossfit-Athleten müssen sich auf die verschiedensten Übungen vorbereiten. „Die Veranstalter machen sich meist einen Spaß daraus, neue Herausforderungen zu suchen, die noch keiner kennt.“ Dabei kommen Aufgaben heraus, wie im Handstand zu laufen oder mit Holzstäben in der Hand eine Wand hochzuklettern, in die Löcher für die Stäbe eingestanzt sind. Es kann aber auch sein, dass die Athleten zum Schwimmen ins Meer geschickt werden.

„Die Wettkämpfe werden immer an drei Tagen ausgetragen. Pro Tag gibt es zwei der sechs Kategorien: Kraft, Ausdauer, Fertigkeiten, Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, Schnellkraft und eine Sonderkategorie mit völligen Überraschungen“, sagt die Sportlerin. Die Herausforderungen in der jeweiligen Kategorie sind dabei meist aneinandergekoppelt: „Zum Beispiel ein Sprint, danach im Handstand laufen und noch Gewichte stemmen.“ Je nach Platzierungen gibt es Punkte. Wie im Segelsport gewinnt derjenige mit den wenigsten Zählern.

Weltbekannte Halle im Gewerbegebiet

Vor einem Jahr zog Alina Weidlich, die schon zuvor öfter auf der Insel Urlaub gemacht hatte, nach Mallorca. Als Crossfit-Touristin. „Das C23 ist in der Szene weltbekannt. Es gibt viele Sportler, die nach Palma kommen, um mal mit den Profis zu trainieren“, sagt die Deutsche. Die Elite darf für den Werbeeffekt kostenlos in der Halle trainieren, Amateure zahlen einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 90 Euro. „Regelmäßig kommen Leute vorbei und fragen nach Fotos oder Autogrammen“, erzählt Weidlich. Beim MZ-Besuch sitzt gerade Adrian Mundwiler auf einem Trimmrad. Das Magazin „Men’s Health“ bezeichnete den Schweizer unlängst als stärksten Mann der Welt. Sein muskulöser Rücken erinnert an eine Buckelpiste. „Die meisten Crossfit-Athleten trainieren oberkörperfrei. Wir schwitzen so viel, dass die T-Shirts sonst nach kurzer Zeit so sehr stinken, dass man sie wegwerfen muss“, sagt Alina Weidlich.

Sechs Stunden täglich trainiert die 34-Jährige in der Halle. Hinter ihr steht ein kompletter Trainerstab, den man sonst eher bei einer Fußballmannschaft erwartet: ein Ernährungsberater, Mentaltrainer, Physiotherapeuten. An der Wand des C23 hängen Schilder mit den Erfolgen der Profis. Der WM-Titel der Deutschen fehlt. „Wir treten für unsere Box an. Bislang bin ich bei meinem Berliner Verein geblieben, da ich anfangs dachte, dass ich nur für ein Jahr nach Mallorca komme.“ Wie so viele Auswanderer bleibt sie nun aber nach und nach auf der Insel stecken. „Es gefällt mir hier einfach zu sehr.“

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