Wie kommt der Thunfisch in die Dose? Expertinnen spielen auf Mallorca "Sendung mit der Maus"

Wie leben die großen Raubfische? Das Projekt "Planet Tuna" macht Butter bei die Fische und vermittelt wissenschaftliche Erkenntnisse auf originelle Weise – Illustrationen sind ebenso wichtig wie die Fakten

Roter Thun.

Roter Thun. / dpa

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Kaum etwas ist einfacher und schneller, als in der Mittagspause eine Dose Thunfisch zu öffnen und den Inhalt auf dem Salat verteilen. Wenn es aber darum geht, verständliche und verlässliche Informationen über diesen allgegenwärtigen Fisch zu finden, etwa um verantwortungsvolle Kaufentscheidungen zu treffen, wird es schon schwieriger. Ein Umstand, der dazu geführt hat, dass im Jahr 2017 die Initiative „Planet Tuna“ startete – und seit 2019 mundgerechte und leicht verdauliche Wissenshappen zu dem Thema im Internet verbreitet.

Käpt’n der mehrköpfigen Crew, die das Projekt stemmt, ist Patricia Reglero, Wissenschaftlerin am Instituto Español de Oceanografía (IEO) auf den Balearen. Ihr Fachgebiet sind Thunfische und die Ökosysteme der Hochsee. Bei einem zwanglosen Abendessen ist die Idee entstanden, Ergebnisse aus der Welt der Forschung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Die Menschen haben so viele Fragen, insbesondere zum Thunfischkonsum. Auch sind sie oft überrascht zu hören, dass die Balearen für die Reproduktion der Tiere eine so wichtige Rolle spielen – sie wussten schlicht nichts davon“, sagt Reglero im Telefongespräch.

Gegen den Strom schwimmen

Wissenschaftliche Publikationen haben mehrere Haken: Die Resultate zirkulieren zwar in einem kleinen Kreis von Fachleuten, kommen aber kaum in der Gesellschaft an. Für Laien ist es zudem schwierig, die Bedeutung neuer Erkenntnisse einzuordnen. Ihre Zunft habe oft schlecht nach außen kommuniziert, räumt die Ozeanografin ein. Planet Tuna sollte gegen den Strom schwimmen und es besser machen: „Wir wollen die Verbindung von Kunst und Wissenschaft als Hilfsmittel nutzen“, so Reglero.

Denn was schon bei der Sendung mit der Maus funktioniert hat, klappt auch bei Erwachsenen hervorragend: Inhalte sind besser verdaulich und weniger ernst und trocken, wenn sie ansprechend bebildert werden. „Etwas kann künstlerisch und fantasievoll sein und zugleich Wissen vermitteln“, sagt Reglero. Wer sich etwas Zeit nimmt, erlebt das Navigieren durch die liebevoll gestaltete Website wie einen Tauchgang, bei dem man sich von einem Thema zum nächsten treiben lässt, einen versunkenen Schatz nach dem anderen hebt: Videos, Infografiken, Artikel und noch vieles mehr. Dabei merkt man schnell, dass Bilder hier weit mehr als nur Hilfsmittel sind.

So ist ein Video mit dem Titel „Die Reise der Thunfischdose“ nicht nur lehrreich, sondern verblüfft auch durch die virtuosen Zeichnungen im Zeitraffer, die das Gesagte parallel zum Zuhören nach und nach illustrieren. Und in der Sparte „Illustratuna“ finden sich Anleitungsclips wie man selbst Thunfische anatomisch korrekt zeichnet oder ein PDF mit einem Mini-Malbuch zum Ausdrucken.

Mehr als Sandwich und Sushi

„Der Thunfisch ist eigentlich unser Vorwand, um viele andere Themen zu streifen“, sagt die Wissenschaftlerin. „Vor allem geht es darum, diesen Fisch nicht nur als Ressource zu betrachten. Denn die Mehrheit der Menschen denkt nun einmal zuerst an ein Thunfischsandwich und an Sushi. Es hat immer mit Essen zu tun.“ Natürlich seien diese Themen auf dem Portal präsent, aber das Angebot geht weit darüber hinaus und berührt Bereiche wie Meeresbiologie, Nachhaltigkeit, Gesundheit und sogar historische Aspekte wie die Rolle der Phönizier als Pioniere der Thunfischkonservierung. „Unsere Informationen zu den Thunfischen in balearischen Gewässern, dem Lebenszyklus oder der Erholung des Roten Thuns stoßen auch auf großes Interesse“, sagt Reglero.

Wer so viele verschiedene Themenfelder bearbeitet, braucht eine fähige Crew hinter sich. Reglero holte sich die Illustratorinnen Flavia Gargiulo und Hannah Bonner, die Journalistin María López, die Meeresbiologin Ana Morillas und die Kulturvermittlerin Anna Aguiló mit ins Planet-Tuna-Boot.

Patricia Reglero, „Käpt’n“ der Crew, flankiert von den Illustratorinnen Flavia Gargiulo (li.) und Hannah Bonner (re.).

Patricia Reglero, „Käpt’n“ der Crew, flankiert von den Illustratorinnen Flavia Gargiulo (li.) und Hannah Bonner (re.). / G. Bosch

Der fruchtbare kreative Austausch dieser so unterschiedlichen Blicke auf ein Thema ist das große Plus des Projekts. „Das ist unser erster und wichtigster Filter. Wir können uns im Team alles sagen – auch, wenn etwas unverständlich oder vielleicht doch nicht ganz so spannend ist, wie eine von uns denkt.“

Zu komplex für einfache Tipps

Zu den wohl größten Herausforderungen gehört es, schwierige Sachverhalte übersichtlich darzustellen: „Manchmal stecken fünf Jahre Forschungsarbeit in einer einzigen Infografik. Vereinfachen und Überflüssiges streichen, ist ziemlich zäh“, sagt die Ozeanografin. Allzu simpel darf es jedoch manchmal gar nicht werden: „Wenn uns jemand fragt: ‚Und welchen Thunfisch soll ich nun kaufen?‘, können wir darauf nicht eindeutig antworten. Wir können nur die Komplexität dahinter aufzeigen.“

Im Falle des zuvor erwähnten Videos zur globalen Dimension des Dosenthunfischs erfährt man zunächst, dass vor allem drei Arten in der Konserve landen: der Echte Bonito (Katsuwonus pelamis) oder Skipjack, der Gelbflossenthun (Thunnus albacares) und der Großaugenthunfisch (Thunnus obesus). Manchmal ist die Art, die Fangmethode und das Fanggebiet (nach einer Einteilung der Welternährungsorganisation FAO) auf dem Etikett angeben.

Problem eins: Diese Angabe ist nicht verpflichtend. Problem zwei: Sie ist nur bedingt nützlich. Denn eine Fischart kann in einem bestimmten Fanggebiet überfischt sein und in einem anderen Ozean nicht. Diese Daten, die zudem jedes Jahr aktualisiert werden müssten, sucht man aber auf der Dose vergebens. Problem drei: In der Konservenfabrik landet meist nicht nur Fisch eines einzigen Exemplars in ein und derselben Dose. Fazit des Videos: Wir brauchen viel mehr Information auf der Verpackung, um eine sinnvolle Kaufentscheidung zu treffen.

Roter Thun nur mit Ausweis

Wissen sei die Basis dafür, um zu verstehen, warum etwas schützenswert ist und um konkrete Änderungen wie mehr Transparenz einzufordern, sagt Reglero. „Momentan legen wir daher den Fokus darauf, zu erklären, warum die großen Räuber wie Wale, Haie und Thunfische für die Ökosysteme der Meere so wichtig sind.“

Es gehe darum, ein kritisches Bewusstsein zu fördern, um die öffentliche Debatte am Leben zu erhalten. Dass sich die Dinge durchaus zum Positiven entwickeln können, zeigt das Beispiel des Roten Thuns, den Reglero als „das Flaggschiff unter den Thunfischen“ bezeichnet, weil er so groß und schwer werden kann – bis zu 684 Kilo.

Schutzmaßnahmen tun ihre Wirkung

Er war massiv überfischt und stand lange Zeit auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. „Aber dann haben die Gesellschaft, Wissenschaftler und NGOs gemeinsam Druck gemacht“, sagt Reglero. Daraufhin seien das Vorgehen gegen illegale Fischerei verschärft und Schutzmaßnahmen eingeführt worden, die neben Umweltfaktoren dazu beitrugen, dass sich die Bestände berappelten.

Planet Tuna hat diese Entwicklung auf der Infografik „Roter Thun: der Schlüssel zu einer erstaunlichen Erholung“ dargestellt. „Das ist eine Erfolgsgeschichte, aber nun geht es darum, die Kontrolle zu behalten, damit es so bleibt.“ Hierzulande kommt Roter Thun ohnehin selten auf den Tisch. Falls doch, verweist ein Ratgeber zum Kauf von frischem Thunfisch auf die Option, bei Rotem Thun nach dessen „Ausweis“ zu fragen. Die „declaración de captura de atún rojo“ (DCA) belegt, dass es sich um echten Roten Thun handelt und dass er nicht illegal gefangen wurde. „Man kann diesen Nachweis auch im Restaurant verlangen“, sagt Reglero.

Fragen Sie die Wissenschaftler

Wenn beim Besuch der Website eine Frage offenbleibt, sollte man das Team direkt kontaktieren und eine Frage stellen, die dann in der Rubrik „Pregunta al científico“ beantwortet wird. Auf diese Weise gingen etwa bis zu zwei oder drei Fragen pro Monat ein, sagt Reglero. „Die schwierigsten sind die sehr speziellen, zum Beispiel, ob eine bestimmte Thunfischart in Kolumbien gefischt wird. Manchmal ziehen wir externe Experten zu Rate“, erklärt die Ozeanografin.

Eine Schülergruppe des Liceo Francés auf Mallorca stellte eine Frage, die dem Team besonders viel Spaß machte: „Schlafen Thunfische? Und wenn ja, wie?“ Die Antwort – wahrscheinlich treten sie in einen ähnlichen Zustand ein, in dem sie ruhen und Energie sparen – ist herzallerliebst illustriert: mit einem Fisch, der in seinem Unterwasserbett schlummert und vergessen hat, die Leselampe auszuschalten.

Ins Netz gehen: Die Website planettuna.com bietet Infos auf Spanisch, Katalanisch und Englisch. Finanziert wurde das Projekt anfangs vom IEO, heute speist es sich aus projekt-bezogenen Hilfen, etwa von der Balearen-Regierung.

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