Abwicklung des Mallorca-Shuttle: „Mit Air Berlin ein Stück weit Rechtsgeschichte geschrieben“

Lucas Flöther wickelt die Airline mit seinem Team ab. Er ordnet für die MZ die Bedeutung des Namensverkaufs ein und erklärt, warum Passagiere sich keine Hoffnung mehr auf Rückerstattung machen sollten

Charakteristisch für Air Berlin: Jeder Passagier bekam ein Schokoherz.

Charakteristisch für Air Berlin: Jeder Passagier bekam ein Schokoherz. / Paul Zinken/dpa

Sechs Jahre ist es nun her, dass die deutsche Fluggesellschaft Air Berlin Insolvenz anmelden musste, die aufgrund der zahlreichen Insel-Verbindungen auch als Mallorca-Shuttle bezeichnet wurde. Über 6.200 Mitarbeiter verloren ihren Job, die Airline durfte nur noch ein paar Wochen weiterfliegen.

Nun ist der Markenname an den Sundair-Gründer Marcos Rossello verkauft worden. Der Insolvenzverwalter von Air Berlin, Lucas Flöther, erklärt im Interview, was das bedeutet und wie der Stand in Sachen Insolvenzverfahren der Fluglinie heute ist.

Die Pleite von Air Berlin ist eine der komplexesten Insolvenzen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sehen Sie langsam ein Licht am Ende des Tunnels?

Nach so vielen Jahren haben wir inzwischen das Vermögen von Air Berlin weitgehend veräußert. Man muss dazu sagen, dass es sich nicht nur um eine Gesellschaft gehandelt hat, die Insolvenz angemeldet hat. In der Air-Berlin-Gruppe gab es etwa die Air Berlin PLC, die Air Berlin KG, die Air Berlin Technik, Niki und weitere. Insolvenzrechtlich muss man jede Gesellschaft einzeln abwickeln. Vermögenswerte, die in der Insolvenzmasse waren, aber gar nicht Air Berlin gehörten, wie zum Beispiel geleaste Flugzeuge, haben wir zurückgegeben. Trotzdem wird mich das Verfahren wohl noch einige Jahre begleiten.

Insolvenzverwalter Lucas Flöther.

Insolvenzverwalter Lucas Flöther. / Sebastian Willnow/dpa

Was gibt es jetzt noch zu tun?

Übrig geblieben sind vor allem Rechtsstreitigkeiten, die wir noch führen. Ich kann das Verfahren erst beenden, wenn die Verwertung des letzten Vermögenswertes notfalls im Rahmen eines Rechtsstreits abgeschlossen ist.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Das beginnt mit Kautionsrückzahlungsansprüchen gegen entlegene Flughäfen, die Air Berlin angeflogen hat. Reykjavík etwa. Wenn eine Kaution nicht freiwillig zurückgegeben wird, müssen wir die einklagen. Und das endet mit Haftungsansprüchen gegen das Management.

"Ich würde ungern eine konkrete Zahl nennen, aber es geht da für beide beteiligten Gesellschaften um dreistellige Millionenbeträge, die noch offen sind."

Wie sieht das konkret aus?

Nachdem die Klage gegen Etihad nicht erfolgreich war, müssen wir jetzt Ansprüche gegen den letzten CEO Herrn Winkelmann geltend machen. Denn wenn die sogenannte Patronatserklärung durch Etihad nicht rechtsgültig war, hätte das Management gegebenenfalls wesentlich früher Insolvenzantrag stellen müssen. Die Klage betrifft im Ergebnis nicht nur ihn persönlich, sondern auch die dahinterstehenden Managerversicherungen. Da geht es um sehr viel Geld, und da zahlt niemand freiwillig. Deshalb wird sich das Verfahren noch ein wenig hinziehen.

Können Sie die Summe beziffern, um die es in den anhängigen Rechtsstreitigkeiten geht?

Ich würde ungern eine konkrete Zahl nennen, aber es geht da für beide beteiligten Gesellschaften um dreistellige Millionenbeträge, die noch offen sind.

Das Insolvenzverfahren zieht sich seit sechs Jahren hin. In welche unterschiedlichen Abschnitte würden Sie es aufteilen?

Zunächst einmal haben wir mit Air Berlin ein Stück weit Rechtsgeschichte geschrieben. Denn direkt in der ersten Phase, das war auch die größte Herausforderung des gesamten Verfahrens, gab es eine Premiere im Luftverkehr. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man nachlesen, dass die Maschinen einer Fluggesellschaft, die in die Insolvenz geht, vom ersten Tag an am Boden bleiben. Das Luftfahrtbundesamt hat bis dahin jeder Fluggesellschaft, die Insolvenz angemeldet hat, die Luftbetriebserlaubnis entzogen.

Bei Air Berlin hat es nach dem Insolvenzantrag über zwei Monate gedauert, bis der letzte Flieger auf dem Boden blieb.

Wir mussten unbedingt versuchen, den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten. Es war Sommer, und Zigtausende, wenn nicht Hunderttausende Passagiere wären überall in Europa und der Welt verteilt gestrandet, wenn Air Berlin von einem Tag auf den anderen den Flugverkehr eingestellt hätte. Dabei kam uns eine Änderung im Insolvenzrecht zugute, die nach US-amerikanischem Vorbild dem Unternehmen eine sogenannte Eigenverwaltung ermöglicht. Dabei darf das Management an Bord bleiben und – unter Aufsicht eines Sachwalters, der ich zunächst war – die Insolvenz selbst abwickeln.

"Allerdings wurden wir von der EU-Kommission dahingehend überrumpelt, weil uns der Verkauf von Niki in der vorgesehenen Form untersagt wurde."

Die Insolvenz mitten in der Urlaubszeit war ja schon so chaotisch genug.

Wenn wir das bis dahin gültige Standardvorgehen, also den sofortigen Entzug der Flugbetriebserlaubnis und das sofortige Grounding, akzeptiert hätten, wäre das nicht nur eine Katastrophe für die einzelnen Passagiere, sondern es hätte auch ein volkswirtschaftliches Desaster ausgelöst. Denn für die Gläubiger wäre es die allerschlechteste Lösung gewesen, weil dadurch gigantische Schäden entstanden wären. So aber konnten wir zumindest eine geordnete Abwicklung vornehmen.

Welches war die nächste Phase?

Anschließend haben wir versucht, die einzelnen Bestandteile von Air Berlin zu verkaufen. Allerdings wurden wir von der EU-Kommission dahingehend überrumpelt, weil uns der Verkauf von Niki in der vorgesehenen Form untersagt wurde. Selbst eine Insolvenz von Niki sei aus Wettbewerbsgründen besser als ein Verkauf der Niki an die Lufthansa, hieß es damals. Wir hatten eigentlich vorgehabt, diese Tochtergesellschaft aus der Insolvenz herauszuhalten, was dann aber nicht mehr möglich war. Danach ging es nach und nach in die klassische Abwicklungsphase.

Versteigerung von Air-Berlin-Inventar, darunter Sitzreihen aus den Fliegern, im Auktionshaus Dechow in Essen.  | FOTO: MARCEL KUSCH/DPA

Versteigerung von Air-Berlin-Inventar, darunter Sitzreihen aus den Fliegern, im Auktionshaus Dechow in Essen. / Marcel Kusch/dpa

Worin bestand die?

Wir mussten erst einmal alle Forderungen der Gläubiger sammeln und teilweise manuell in Listen in unterschiedlichen Systemen eintragen. Es waren insgesamt 1,3 Millionen Gläubiger, darunter etwa eine Million Kunden, die ihre gebuchten Flüge nicht antreten konnten oder auch einen beschädigten oder nicht angekommenen Koffer gemeldet haben.

Die Kunden dürften sich kaum Hoffnung auf eine Rückerstattung machen …

Definitiv. Bei Insolvenzverfahren mit Unternehmen einer solchen Größenordnung und mit sehr vielen gekündigten Arbeitnehmern kann der gewöhnliche Gläubiger normalerweise nicht mit einer Quote rechnen. Ohnehin liegt die Durchschnittsquote bei Insolvenzverfahren im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Bei Unternehmen mit vielen Angestellten tendiert die Quote sogar gegen null, weil die Arbeitnehmer sogenannte bevorrechtigte Forderungen haben. Das sind Verbindlichkeiten, die bezahlt werden müssen, bevor der normale Insolvenzgläubiger Geld bekommt. Im Fall von Air Berlin mussten wir ja zudem ein großes Darlehen der Bundesregierung über 150 Millionen Euro plus Zinsen zurückzahlen. Ohne dieses Darlehen wäre das Weiterfliegen der Airline nicht möglich gewesen.

"Die Airline hatte Tausende Arbeitnehmer, aber relativ wenig Vermögen."

Das ist inzwischen zurückgezahlt. Haben Sie noch mehr Geld auftreiben können?

Es war nicht einfach. Man muss es so sagen: Die Airline hatte Tausende Arbeitnehmer, aber relativ wenig Vermögen. Es gab natürlich zig Flugzeuge und Bürogebäude, aber kein einziger Flieger gehörte Air Berlin. Die Flugzeuge waren alle geleast, und die Büroflächen und Geschäftsräume waren gemietet. Man hatte bereits in den Jahren zuvor viel versilbert. Aber wir haben einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag aufgetrieben, was angesichts der Umstände nicht schlecht war.

Was bedeutet nun der Verkauf der Marke an den Luftfahrtunternehmer und Sundair-Geschäftsführer Marcos Rossello?

Es ist einer von verschiedenen Vermögenswerten, nicht mehr und nicht weniger. Es ist bei Weitem noch kein Schlusspunkt im Prozess der Verwertung. Und es ist ja noch nicht einmal ein Vermögenswert, der bei einem Verfahren dieser Größenordnung besonders beeindruckend ist.

Rossello bezahlte gut 120.000 Euro für den Namen. Hat Sie das Ergebnis des Bieterverfahrens enttäuscht?

Es hat mich nicht überrascht. Denn obwohl Air Berlin Emotionen hervorruft, ist diese Marke durch die Insolvenz stark beschädigt. Und die Insolvenz ist ja noch nicht einmal abgeschlossen; wir müssen die Marke im Rahmen der Abwicklung weiter nutzen. Es bräuchte jetzt sehr viel Marketing, um den Menschen zu erklären, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Selbst eine Luftfahrt-Kultmarke wie Pan Am wurde nicht wiederbelebt.

Könnte Herr Rossello die Airline theoretisch wieder in die Luft bringen?

Das könnte er. Ich weiß aber nicht, welche konkreten Pläne er nun hat.

"Konkrete Hoffnungen möchte ich den Arbeitnehmern aber nicht machen."

Was könnte für die ehemaligen Arbeitnehmer herausspringen?

Das können wir noch nicht sagen, wir müssen erst sammeln und schauen, was wir überhaupt bezahlen können. Konkrete Hoffnungen möchte ich den Arbeitnehmern aber nicht machen. Es wäre jetzt unseriös, wenn ich sagen würde, die haben jetzt fünf oder zehn Prozent ihrer Forderungen zu erwarten.

Wie sind die Perspektiven für die Mitarbeiter auf Mallorca?

Die spanischen Arbeitnehmer versuchen, über ein sekundäres Insolvenzverfahren in Spanien besser befriedigt zu werden als die deutschen Arbeitnehmer. Allerdings ist es nach deutschem Insolvenzrecht – und dem alleine bin ich verpflichtet – nun einmal so, dass alle Gläubiger gleich behandelt werden müssen. Dazu bin ich natürlich bereit. Nun muss der Europäische Gerichtshof entscheiden.

Ist aus Ihrer Sicht eine solche Insolvenz wie die von Air Berlin heutzutage jederzeit wieder möglich?

Ja. Man hat in den vergangenen Jahren gesehen, dass auch große und systemrelevante Unternehmen Insolvenzantrag stellen. Für uns Deutsche ist das immer noch ein eigenartiges Gefühl. Früher konnte man sicher sein, dass große Unternehmen so gut wie nicht in die Insolvenz rutschen; das Insolvenzrecht war eher für kleinere und mittlere Unternehmen konzipiert. Grundsätzlich ist kein Unternehmen davor gefeit, erst recht heute nicht angesichts Corona, Energiekrise und anderen Krisen. Mit diesen Veränderungen müssen wir leben. Es geht ja immer irgendwie weiter.

Gilt das auch für die Arbeitnehmer?

Nahezu alle haben einen anderen Job gefunden. Das muss man einfach sehen, bei aller Emotion für die Marke. Egal, welchen deutschen Flieger ich nutze, ich treffe überall Air Berliner. In fast jedem Flug kenne ich mindestens ein Crewmitglied. Meine Kinder lachen immer schon. Aber ich werde stets freundlich begrüßt.

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