Estrella Rodríguez hat ein Universitätsdiplom in Biologie, einen Master in Arbeitssicherheit, 14 Jahre Arbeitserfahrung im öffentlichen Dienst, in der Privatwirtschaft und sogar in einem multinationalen Konzern - und keinen Job. Die 40-jährige Mallorquinerin ist eine von 5.409 Menschen mit Hochschulabschluss, die im August beim Arbeitsamt der Balearen arbeitslos gemeldet waren. Denn in der Krise sind Diplome, Zeugnisse und Zusatzqualifikationen längst kein Garant mehr für einen Arbeitsplatz - schon gar nicht im ursprünglichen Traumberuf.

„Ich nehme, was ich kriegen kann", sagt Estrella, die im vergangenen Jahr als Aushilfslehrerin gearbeitet hat. Sie unterrichtete in der Sekundarstufe Biologie, aber auch Fächer, die mit ihrer eigentlichen Ausbildung nichts zu tun haben. „Es gibt sicher Jobs, die mehr Spaß machen", sagt sie. „Aber besser als nichts." Jetzt, wo die Regierung balearenweit rund 500 Lehrerstellen gestrichen hat, bleibt ihr allerdings nicht einmal mehr diese Option. Nach fünf Monaten Arbeitslosigkeit 2011 hat sie das Schicksal des paro erneut ereilt. Die junge Frau übersetzt ihren Lebenslauf deshalb gerade ins Englische, um sich bei einem internationalen Unternehmen in Madrid zu bewerben. „Mir gefällt es sehr auf Mallorca, meine Familie und meine Freunde leben hier. Doch wenn ich arbeiten will, muss ich wohl gehen", sagt Estrella, die sich zudem eine Eigentumswohnung gekauft hat, deren Hypothek sie noch abbezahlen muss.

2005 lag die Zahl der arbeitslosen Akademiker auf den Balearen bei nicht einmal 1.700. Allerdings hat sich seitdem die Zahl der registrierten Arbeitslosen insgesamt mehr als verdoppelt - von knapp 30.000 auf 75.000. Der Anteil der sehr gut qualifizierten Arbeitslosen stieg deshalb - betrachtet man allein die Statistiken - nur von gut fünf auf sieben Prozent.

Doch viele von ihnen tauchen in der Statistik gar nicht auf. Etwa Ana Xaudiera, die Grundschullehramt studiert und bereits ein Jahr als Lehrerin gearbeitet hat. Allerdings mit einem Stipendium - weshalb ihr auch kein Arbeitslosengeld zusteht. Eine Anstellung an einer öffentlichen Schule zu finden, sei momentan aber fast unmöglich, erzählt Ana. „Ich stehe auf der Liste viel zu weit unten, weil ich zu wenig Punkte habe." Und Punkte bekommt nur, wer Berufserfahrung sammelt. Ein Teufelskreis. Die 23-Jährige hat zudem zahlreiche Bewerbungen an Privatschulen geschickt - ebenfalls ohne Erfolg. „Ich hab langsam keine Lust mehr, in der momentanen Lage ist es echt schwierig", sagt die junge Frau, der nichts anderes übrig bleibt, als bei ihren Eltern zu wohnen und denen auf der Tasche zu liegen. Nun erwägt Ana, als Au-pair nach Irland zu gehen oder einen Freiwilligendienst im Ausland zu machen. „So kann ich die Zeit nutzen, um andere, wichtige Erfahrungen zu sammeln." Und nebenbei werde sie schon mal für die Beamtenprüfung lernen, die sie nach ihrer Rückkehr im nächsten Sommer ablegen will. Besteht sie, steht einer unbefristeten Lehrerlaufbahn nichts mehr im Weg. „Das ist meine große Hoffnung, dafür habe ich schließlich studiert."

Auch Fernando hat sein Fach aus Überzeugung studiert, auch er schlägt sich jenseits der offiziellen Zahlen irgendwie durch. Als Philosophie-Absolvent war ihm von vornherein bewusst, dass Job­angebot und Verdienstmöglichkeiten begrenzt sind - mit oder ohne Krise. „Aber die wirtschaftliche Lage hat alles noch einmal verschärft", sagt der 26-Jährige, der ebenfalls auf eine Lehrerstelle an einem Gymnasium hofft. Oder einen Job an der Uni. Doch das sei derzeit, wo die Gelder für die Forschung immer mehr gekürzt werden, noch unrealistischer. Ihm bleibt deshalb - wie den meisten seiner ehemaligen Kommilitonen - nur eine Tätigkeit, für die er vollkommen überqualifiziert ist. Den Sommer über hat Fernando als Kellner an der Playa de Palma gejobbt. „Das ist zwar wenig befriedigend, aber irgendwie muss ja Geld reinkommen." Im Winter versucht er sich nun mit Nachhilfestunden über Wasser zu halten. Doch auch das wird immer schwieriger. „Viele Familien können es sich nicht mehr leisten." An der Bildung wird überall gespart.

Das bekommt auch Lluis Pons zu spüren. Der Mallorquiner hat an der Universität der Balearen (UIB) Biochemie studiert, dann in Barcelona seinen Master in Biomedizin abgeschlossen und sich nun für ein Doktoranden-Stipendium beworben. Theoretisch hat der 27-Jährige gute Chancen. „Aber in Spanien ist momentan nichts sicher." Weil eine ganze Reihe anderer Stipendiaten noch immer auf ihr Geld wartet, wurde das Auswahlverfahren auf November verschoben. „Und selbst wenn ich dann genommen werde, werde ich vor Januar kein Geld sehen", sagt Lluis. Die Krux an der Sache: Die Zeit bis dahin kann der junge Mann nicht einmal mit einem Job in einem Labor überbrücken, denn solange er keinen Stipendiaten­vertrag unterschrieben hat, ist er nicht krankenversichert. „Wenn da was passiert, eine Verätzung oder ein Säureunfall, habe ich ein Problem."

Dass die Arbeitssuche selbst für Akademiker kein Zuckerschlecken ist, bestätigt Maria del Mar Socias, Leiterin des Instituts fürs Berufsorientierung an der UIB. Knapp 5.000 Absolventen haben sich 2011 an die Einrichtung gewandt - fast doppelt so viele wie 2006. Die Zahl der von Unternehmen gemeldeten Stellen und Praktikumsplätze, sank im selben Zeitraum von 1.142 auf 627. Am gefragtesten seien nach wie vor Absolventen aus den Bereichen Wirtschaft und Tourismus. Oder Informatiker und Ingenieure. „Doch selbst die tun sich heutzutage schwer, obwohl sie früher zu 100 Prozent einen Job gefunden haben", sagt Socias. Die Folge: Viele suchen ihr Glück im Ausland. Zudem sei die Zahl derer, die sich selbstständig machen, stark gestiegen. Denn bevor sie sich von einer Firma mit einem auf einige Monate oder ein Projekt befristeten Vertrag abspeisen lassen, böten sie ihre Dienste lieber mehreren Unternehmen an. Und nicht zuletzt, sagt Socias, werden die Master- und Aufbaustudiengänge immer beliebter.

Estrella Rodríguez beispielsweise überlegt, noch einen Master in Hygiene und Lebensmittelüberwachung draufzusatteln. Oder Spanisch als Fremdsprache zu unterrichten. Dafür fehlt ihr aber noch ein Diplom.

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