Sich im Inneren einer Insel von der Welt zurückzuziehen und fast 30 Jahre lang ohne nennenswerten Kontakt zur Außenwelt zu leben, das klingt konsequent. Ritch ­Miller, US-amerikanischer Maler, war so ein Mensch. Er nahm sich 1991 das Leben, im Alter von 66 Jahren, schwer herzkrank und depressiv. Sein Nachlass ging an drei Familien, die regelmäßig Kontakt zu ihm hatten und deren Namen am Tor von Millers Haus geschrieben standen. Wer sich anders nannte, brauchte nicht zu klingeln – der Einzelgänger wollte keinen Besuch.

Ganz so spurlos, wie er es gerne gehabt hätte, durfte der Künstler indes nicht verschwinden. Ritch Miller hatte Fans, viele Fans, obwohl er sich um niemanden bemühte, und sich einzig und allein seiner Malerei und den Hunden und Katzen widmete, die mit ihm das Leben in der Nähe von Santa Maria del Camí teilten. Zu den Fans gehören Miquel Frontera, Martha Zein und Antoni Font. Die drei sind um die fünfzig und haben dem Mann kürzlich einen Film gewidmet, den man derzeit im Internet und im Kulturhaus des Dorfes sehen kann. Er dauert 20 Minuten und ist einer der ersten Versuche, dem Menschen Miller nahezukommen, ihn als jemanden zu präsentieren, der die Insel bereichert hat.

Das Trio hatte das Glück, Briefe zu lesen, die Miller einem der wenigen Menschen schrieb, mit dem er befreundet war: Zehn Jahre lang berichtete er seiner Landsmännin Eliane Koeves etwa einmal im Monat aus seinem Leben, wie es sich um ihn herum und in seinem Inneren abspielte. Die Vertrautheit zwischen den beiden – Koeves hatte selbst bis zum Tod ihres Ehemannes viele Jahre auf Mallorca gelebt, war dann aber in die USA zurückgekehrt – gestattet dem Zuschauer einen Blick in ein Universum, das Miller zeitlebens abgeschirmt hatte. „Wir, die wir alleine leben, laufen innerlich über", schrieb er.

Koeves hatte die Briefe vor kurzem einer anderen Freundin von Miller geschickt, der ­Mallorquinerin Maria Amengual. Sie lebt in Santa Maria und kannte den Eigenbrötler vom täglichen Umgang und dem ein oder anderen Plausch auf der Straße. „Miller war nicht unsympathisch", erzählt auch ­Miquel Frontera, der in Santa Maria aufgewachsen ist und sich an den schlanken Amerikaner erinnert, der stets mit dem Fahrrad durchs Dorf fuhr. „Alle sagten nur Gutes über ihn, er war ein guter Mensch."

Millers Zeilen vermitteln Gedanken und Gefühle, Beobachtungen, Kommentare und Wünsche. Der mallorquinische Schriftsteller Biel Mesquida liest sie im Film aus dem Off, die drei Autoren unterlegen sie mit Fotos aus Millers Leben, Landschafts- und Symbolaufnahmen. Der Film heißt „Pintar l´absència" (Die Abwesenheit malen) und erzählt auch Einiges über die Mallorquiner. „Sie haben einen feinen Sinn für Humor" schrieb Miller zum Beispiel, „dem meinen nicht unähnlich und manchmal etwas böse." Und: „Sie haben eine stille Würde, ein Gefühl dafür, die Widersprüche des Lebens hinzunehmen."

Ritch Miller kam in Texas zur Welt, arbeitete in den USA als Bühnen- und TV-Schauspieler. Zu seinen biographischen Daten sagt der Amerikaner in einer amateurhaften Videoaufzeichnung, aufgenommen zu Lebzeiten von seinem Galeristen Pep Pinya, dass der Zweite Weltkrieg, die Beatniks und seine „materiell sehr erfolgreichen Jahre" im Fernsehen prägend gewesen seien. Doch eines Tags sei im bewusst geworden, nicht am richtigen Ort zu sein. Er packte „nur einen Koffer" und schiffte sich „ostwärts" ein. Städte mit so klingenden Namen wie Casablanca, Cádiz und Haifa zogen ihn an, er wollte in einer Künstlerkolonie leben. „Doch eines Tages in der Dämmerung verließ ich einfach den Frachter. Wir lagen in Palma im Hafen. So begannen meine mallorquinischen Jahre."

Pep Pinya und dessen Frau Niní Quetglas, die Betreiber der bis heute führenden Galerie der Balearen, Centre Cultural de Pelaires, waren vielleicht die wichtigsten Menschen im Leben des Einsiedlers. Sie handeln bis heute mit Millers Bildern und Zeichnungen, waren die einzige Galerie im Leben eines Mannes, der erst auf Mallorca zu seiner Berufung fand – der Malerei. Sie besuchten den Künstler mehrmals die Woche, um die Produktion abzuholen, bevor er sie zerstören konnte. Mehrere hundert Werke sind bis heute erhalten, viele in Privatsammlungen, manche in der Galerie. Die Öffentlichkeit konnte die Arbeiten posthum bislang in zwei Ausstellungen in Santa Maria und im Casal Solleric kennenlernen. Es sind vor allem Porträts, Szenenbilder von der Bühne und aus dem Zirkus. Miller malte Menschen, die in Kleidern stecken, die nicht zu ihnen passen: kahle Männer in Rüschen, dicke Frauen in Bischofs-Soutanen, Kinder mit alten Gesichtern und Puppen­beinen, Indianer mit herabgefallenem ­Federschmuck.

Ritch Miller stammte zum Teil von den Sioux- und den Kiowa-Indianern ab, „kontemplativen, schweigsamen Völkern, die stundenlang die Sonne betrachten oder dem Wasser zusehen können." Diese Worte überliefert Biel ­Mesquida, der zu dem Maler Kontakt hatte. Sein indianisches Erbe war Miller wichtig, es half ihm, das eigene, seltsame Verhalten, den Drang zur Isolation zu verstehen und zu akzeptieren: „Ich spreche nicht mit den Menschen, ich verstehe sie nicht. Ich habe mich nicht einmal mit meinen Eltern verstanden, immer war eine Mauer zwischen uns. Von Klein auf war mein Leben von einem Vorhang des Schweigens umgeben."

Zum Glück gab es die Malerei, Millers „einzigen Weg, mit den Menschen in Kontakt zu treten", wie er zu Mesquida gesagt haben soll. In den 70er Jahren frequentierte Miller die Künstlergruppe „Grup Dimecres", in der auch Jim Bird oder Ellis Jacobson verkehrten. Die Bilder des Amerikaners, der von sich selbst sagte, auf Mallorca glücklicher zu sein als in seiner Heimat, wirken noch immer. Einer Umfrage der Balearen-Uni unter hiesigen Künstlern zufolge haben Millers verwirrende ­Porträts einen großen Einfluss auf die Kunstszene: Die Befragten nannten Miller in einer Rangliste der bedeutendsten Künstler der Insel nach Joan Miró, Miquel Barceló und Anglada Camarasa an vierter Stelle.

Wer in Ritch Millers Universum eintreten will, kann das im Internet, in der Galerie Pelaraires oder nach Anmeldung im Kulturzentrum Ca s´Apotecari am Dorfplatz von Santa Maria del Camí tun. Dort zeigen Frontera, Zein und Font ihr Video sowie Kostüme, die Miller für ein Theaterstück von ­Gabriel Janer Manila entworfen hat.

Das Kulturhaus hat keine geregelten Öffnungszeiten, man kann im Rathaus einen Termin vereinbaren oder ein Dorffest abwarten.Tel.:971-62 01 31.http://vimeo.com/41067825

http://vimeo.com/41067825

http://vimeo.com/36094607