Ballermann-Türsteher klagen über Mallorca-Urlauber: "Sie benehmen sich wie im Kindergarten"

Die Branche ist nach dem Bamboleo-Vorfall in aller Munde. Die Security-Mitarbeiter aber sehen eher die Partygäste in der Pflicht

Der Megapark bei Nacht.  Foto: dpa

Der Megapark bei Nacht. Foto: dpa / Ralf Petzold

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Diego Strauss hat sich die Nase gebrochen. „Ein Kollege hat Mist gebaut“, sagt der Megapark-Türsteher. Die Security wollte gerade einen Urlauber rauswerfen. „Das war ein zwei Meter großer Kerl, bestimmt an die 120 Kilo schwer. Ich hatte ihn schon überredet, die Disco freiwillig zu verlassen, als mein Kollege kommt und ihn zu Boden werfen will.“ Der Kollege packte den Urlauber am Hals. Der Gast warf den Kopf reflexartig nach hinten und traf so Strauss im Gesicht. „Im September muss die Nase operiert werden“, sagt der Schweizer.

Weiter keine Anzeige gegen Bamboleo-Türsteher

Vorfälle wie dieser seien eher die Ausnahme, meint Strauss, doch in den vergangenen Wochen ist es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Türstehern und Urlaubern am Ballermann gekommen. In zwei Fällen wurden deutsche Urlauber bei Streitereien mit Megapark-Angestellten schwer verletzt. Mitte Juni attackierte Personal des Bamboleo Mitglieder eines Fußballclubs, wie Videoaufnahmen belegen. „Einer der Türsteher hat mir erzählt, die Gäste hätten sie mit Gläsern beworfen und geschlagen“, sagt Strauss. Die Deutschen wollen sich dazu auf MZ-Anfrage nicht äußern und verweisen auf die Videokameras, die im Lokal hängen. Eine Anzeige haben sie aber nach wie vor nicht gestellt.

Es ist schlimmer als je zuvor. Niemand hat mehr Respekt, alle benehmen sich asozial. Wenn sich die Leute weiter so verhalten, habe ich bald keine Lust mehr.

„Das ist Krieg“, sagt dazu TV-Auswanderer Andreas Robens, der 2010 selbst als Türsteher im Oberbayern arbeitete und in dessen Fitnessstudio Iron Gym in Arenal viele Mitarbeiter aus der Sicherheitsbranche ihre Muskeln aufbauen. Wie er schimpfen viele Türsteher über die Urlauber. „Es ist schlimmer als je zuvor. Niemand hat mehr Respekt, alle benehmen sich asozial. Wenn sich die Leute weiter so verhalten, habe ich bald keine Lust mehr“, sagt Strauss, der neben dem Megapark-Job die Firma Vaelico Protection (Kontakt unter: Vaelicoprotection@grupovaelico.es) leitet, die Personenschutz anbietet. Zu seinen Stammkunden zählt zum Beispiel Ballermann-Sänger Peter Wackel. „Ich schaue schon, ob ich nächstes Jahr in einer anderen Branche Fuß fassen kann“, sagt Strauss.

Die Ausgehviertel in Palma sind langweilig, ich arbeite lieber am Ballermann. Da ist wenigstens etwas los, und ich kann ab und an jemanden eine aufs Maul hauen.

Dabei haben sicherlich auch einige Türsteher ihren Anteil an der derzeitigen Lage. „Die Ausgehviertel in Palma sind langweilig, ich arbeite lieber am Ballermann. Da ist wenigstens etwas los, und ich kann ab und an jemanden eine aufs Maul hauen“, sagt ein Türsteher der MZ, der seinen Namen nicht nennen will, und in beiden Orten den Einlass kontrolliert.

Der übliche Trubel am Ballermann. Ein Türsteher muss in diesem Wirrwarr einen klaren Kopf bewahren.  | FOTO: CLARA MARGÁIS/DPA

Diego Strauss (re.) mit Peter Wackel. / Privat

Die rechtliche Grundlage

Schwarze Schafe wie ihn gebe es viele, sagt der deutsche Inhaber einer Sicherheitsfirma, der ebenfalls anonym bleiben möchte. „Die Türsteher befördern die Leute durch den Hinterausgang, um ihnen dort einen über die Rübe zu ziehen.“ Wenn ein Lokal keine Hintertür hat, wie das Bamboleo, verteile das Personal die Schläge eben öffentlich am Eingang. „Früher war Schluss, wenn einer am Boden lag. Heutzutage tritt man noch nach oder verfolgt die Urlauber gar“, sagt der Deutsche. Die Befugnisse der Türsteher seien dabei in Spanien und Deutschland unterschiedlich. „Die Deutschen dürfen noch im Umkreis von fünf Metern um das Lokal agieren. Bei den Diskotheken hier ist ab der Türschwelle die Polizei zuständig.“

Auch Ramón Domingo, „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“, wie er betont, ärgert sich über die Türsteher. Und vor allem darüber, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. „Was man umgangssprachlich als Türsteher kennt, sind offiziell Einlasskontrolleure. Sie haben nichts mit der Security zu tun“, sagt er. Ein Türsteher braucht auf Mallorca eine Lizenz, die der Inselrat ausstellt. Dafür müssen die Anwärter 30 Theoriestunden absitzen und einen Test mit 40 Fragen zu Psychologie, Straf- und Ordnungsrecht, Gesundheit und Erste Hilfe beantworten. Fünf Fragen sind auf Katalanisch, um die Sprachkenntnisse zu prüfen. Wer besteht, bekommt einen Ausweis, der im Dienst immer getragen werden muss.

Für die Ausbildung der Sicherheitsleute ist hingegen das Innenministerium zuständig. Dauer und Inhalte sind gar nicht so verschieden, das Einsatzgebiet aber schon. Die vigilantes de seguridad sind eine Art Bindeglied zwischen Türstehern und Polizei. Die meisten Sicherheitsmänner haben einen Waffenschein und dürfen Personen festnehmen. „Wir folgen in erster Linie dem Gesetz. Wenn unser Arbeitgeber uns sagt, Afrikaner dürfen bei ihm nicht in die Disco, sind wir verpflichtet, ihn wegen Rassismus anzuzeigen“, sagt Domingo. Da die Sicherheitskräfte demzufolge nicht unter der Fuchtel der Clubbosse stehen, von denen sie aber bezahlt werden, sind sie nicht sonderlich beliebt. Allerdings sind sie gesetzlich auch nicht vorgeschrieben. „Wir kommen hauptsächlich in öffentlichen Gebäuden zum Einsatz. Zum Beispiel im Flughafen, aber auch bei der Steuerbehörde oder in den Rathäusern“, sagt Ramón Domingo.

Ein durchschnittlicher Türsteher aber verdient nur zwischen zehn und zwölf Euro die Stunde netto auf Mallorca.

In den Diskotheken sind nur die Einlasskontrolleure vorgeschrieben, deren Aufgabe theoretisch von einem Sicherheitsmann übernommen werden darf. Praktisch ist das unwahrscheinlich, da die vigilantes nach Tarifvertrag entlohnt werden und auf ein höheres Gehalt pochen. „Ein durchschnittlicher Türsteher aber verdient nur zwischen zehn und zwölf Euro die Stunde netto auf Mallorca“, so Strauss.

Eine Verordnung von 2013 schreibt vor, dass ab einem Fassungsvermögen von 250 Personen in einem Lokal ein Türsteher arbeiten muss. Ab 400 sind zwei nötig, ab 1.000 je 500 weiterer Gäste noch einer. In der Realität werde mit den Lizenzen aber gemogelt, sagen Strauss und Domingo. Statt dem Türsteher machen Kellner oder Kassenpersonal die Lizenz, damit das Lokal auf die nötige Anzahl kommt. Dabei dürfen „Einlasskontrolleure während ihrer Arbeitszeit keiner anderen Tätigkeit nachgehen“, wie es in der Verordnung heißt.

Anzug keine gute Idee

Eigentlich hatte er die Schnauze voll. Von Deutschland, vom Wetter und vor allem von seinem Job als Türsteher, erzählt Andreas Robens. 2010 kam er mit 3.000 Euro im Gepäck auf die Insel und träumte davon, eine Autowerkstatt zu eröffnen. Daraus wurde nichts. Eher zufällig landete er an der Tür der Diskothek Oberbayern. „Anfangs dachte ich, das sei ein ganz normaler Laden. In meinem Leben hatte ich aber noch nie so viel Ärger wie in dieser Saison.“ In den ersten Wochen kam der Hannoveraner im Anzug zur Arbeit. „Das habe ich schnell sein lassen. Alle zwei, drei Tage musste ich den in die Reinigung bringen. Ich wurde ständig angekotzt und mit Bier überschüttet.

Diego Strauss (re.) passt auf Ballermann-Star Peter Wackel auf.  | FOTO: PRIVAT

Andreas Robens arbeitete eine Saison lang als Türsteher für das Oberbayern. / Ralf Petzold

Der Einlass in die Lokale sei im Vergleich zu Deutschland kein Problem. „Rein kommt eigentlich jeder“, sagt Robens. Besonders das spezielle Kartensystem sorge im Oberbayern noch heute für Scherereien. Beim Eingang bekommen die Gäste eine hausinterne Kreditkarte in die Hand gedrückt, mit der die Getränke bezahlt werden. Die Rechnung wird erst beim Verlassen des Lokals beglichen. Wer den nötigen Mindestbetrag von einem Getränk nicht auf der Karte hat, darf das Kellerlokal nicht verlassen. Das gleiche Schicksal ereilt das Partyvolk, das im Rausch die Karte verschusselt hat. „36 Euro mussten die Gäste damals bezahlen, um rauszukommen. Egal, ob sie nur ein Bier getrunken haben“, sagt Robens. Dass das zu Diskussionen führt, ist verständlich. „Als Türsteher mussten wir hart bleiben. Alles, was in der Kasse gefehlt hat, zahlten wir aus der eigenen Tasche“, so der Auswanderer.

Alle Interviewpartner, die die MZ zum Thema befragt hat, sind sich einig, dass Alkohol und deutsche Party-Trupps auf der Insel eine gefährliche Mischung sind. „Wenn die einen drin haben, werden alle Deutschen mutig und haben eine große Klappe“, sagt Robens. „Als Türsteher ist man das letzte Glied in der Kette. Man kann sich noch so gut benehmen, die Leute behandeln einen dennoch schlecht.“

Warum? Auf Mallorca darf man doch alles machen!

Meist seien es Kleinigkeiten, die für Ärger sorgen, meint Strauss. „Schlägereien gibt es im Megapark so gut wie keine. Die Leute benehmen sich wie im Kindergarten.“ Zuletzt habe ein Deutscher seinem Freund eine Säule mit einem Wodka-Mischgetränk über den Kopf geschüttet. „Wir mussten beide rauswerfen, den einen, weil er den Laden beschmutzt und andere nass gespritzt hat, den anderen, weil er in dem durchnässten Zustand nicht weiterfeiern darf.“ Die Urlauber reagierten mit Unverständnis. „Die Standardantwort ist: Warum? Auf Mallorca darf man doch alles machen!“

Was darf ein Türsteher auf Mallorca?

In erster Linie sind dann Überzeugungskünste gefragt. Im besten Fall lassen sich die Urlauber überreden, das Lokal eigenständig zu verlassen. Wenn nicht, dürfen die Türsteher in einem begrenzten Maß handgreiflich werden. Schlagen ist ein absolutes Tabu. Das wäre nur zur Verteidigung erlaubt. „Wir dürfen die Leute festhalten, sprich, sie mit den Armen umfassen und bewegungsunfähig machen“, sagt Strauss. Ob dann ein Partygast vorne oder hinten rausfliegt, liege am Ort des Geschehens. Dass die Urlauber am Hinterausgang des Megaparks verprügelt werden, sei ein Mythos. „Wir können sie nicht durch die Menge bugsieren. Wir nehmen den nächstgelegenen Ausgang.“ Wenn das der hintere ist, machen die Türsteher ein Foto, um es an den Einlass vorne zu schicken, damit der Gast nicht wieder reinkommt. Drei Mal habe der Schweizer einen Partyurlauber in dieser Saison festhalten und rauswerfen müssen. Zugeschlagen habe er in diesem Jahr noch nicht.

Besonders knifflig wird es, wenn sich Frauen daneben benehmen. „Sie sind die schlimmsten Gäste“, sagt Strauss. Denn in Zeiten von Me-Too müsse man besonders aufpassen, wann man Frauen anfasst. „Selbst bei einer Hand auf der Schulter rasten viele aus.“

Nur wenn die Urlauber angreifen, rufen die Türsteher die Polizei. „Die braucht 20 bis 25 Minuten. In der Zeit kann so einiges passieren“, sagt Strauss. Da versucht man lieber, vorher kleinere Probleme selber zu regeln.

Was die Polizei dazu sagt

Eine „Erziehungsohrfeige“, so bezeichnet es Andreas Robens. Wobei man als muskulöser Typ sein Gegenüber auch einschätzen können muss. „Es kann nicht sein, dass ein Kampfsportler einen Urlauber wie einen ebenbürtigen Gegner wegmäht.“ Das bediene dann das Türsteher-Klischee „groß, breit, blöd“, sagt Robens. Die Bamboleo-Leute zum Beispiel sähen aus „wie Gefängniswärter“.

Auffällig ist, dass die Playa-Lokale eine unterschiedliche Strategie fahren. Während das Bamboleo auf Osteuropäer setzt, sind es im Megapark fast ausschließlich Senegalesen. „Sie sind nett und können mit den Leuten reden. Die meisten können Deutsch, Englisch und Spanisch“, sagt Strauss. Der Bierkönig hingegen setzt auf eine externe Firma, die Spanier beschäftigt. „Den Türstehern dort ist fast alles egal.“ Überraschenderweise kommt es dort aber eher selten zu Streit. „Wobei man ohnehin relativieren muss. Es waren nun drei Vorfälle an der Playa. An den Ballermann kommen täglich zwischen 12.000 und 15.000 Menschen. Dafür ist die Statistik doch ziemlich gut“, sagt Strauss. Von einem „Krieg“ zwischen Türstehern und Urlaubern will auch die Polizei nichts wissen. Man habe die Türsteher-Szene am Ballermann jedoch im Auge, sagt ein Sprecher der Nationalpolizei. „Wir prüfen, ob die Mitarbeiter ausgebildet sind und über die Lizenzen verfügen. Zudem versuchen wir, sie zu überzeugen, zuerst die Polizei zu rufen, ehe sie selbst handgreiflich werden.“

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