Wer sind die Geschworenen auf Mallorca, die über Mord und Totschlag urteilen?

Wie jetzt im Fall des Rentners Pau Rigo gibt es auch auf der Insel Geschworenengerichte

Der Prozess um den Rentner Pau Rigo.

Der Prozess um den Rentner Pau Rigo. / Ramon

Ralf Petzold

Ralf Petzold

Man kennt es aus Hollywoodfilmen wie dem Klassiker „12 Angry Men“: Die Geschworenen versammeln sich und entscheiden bei einem Gerichtsprozess über den Angeklagten. „Auf Mallorca ist das eine eher unübliche Praxis, aber sie existiert“, sagt Strafverteidiger Jaime Campaner, der Büros in Palma, Madrid und auf Ibiza unterhält. Er schätzt, dass es im Jahr auf der Insel um die acht Fälle gibt, bei denen die Geschworenen einberufen werden. Jüngstes Beispiel ist der Prozess gegen Pau Rigo. Der Rentner erschoss 2018 einen Einbrecher. Nun wird zum zweiten Mal ein Geschworenengericht zusammentreten müssen, um über Rigo zu urteilen (MZ berichtete). Campaner hat dessen Verteidigung übernommen.

„Das Tribunal del Jurado wurde 1995 in die Strafprozessordnung aufgenommen und im Jahr darauf eingeführt. Damit ist es noch recht jung“, sagt Campaner. In der Ley Orgánica 5/1995 ist festgeschrieben, in welchen Fällen das Geschworenengericht zusammenkommt. „Meist handelt es sich dabei um Mord oder Totschlag“, sagt Campaner. Auch andere schwere Delikte wie etwa die Veruntreuung öffentlicher Gelder können vor einem Geschworenengericht landen.

Wer sind die Geschworenen?

„Bei ihnen handelt es sich um normale Bürger, die keinen juristischen Hintergrund haben“, sagt Campaner. Die Wahlbehörde erstellt alle zwei Jahre – die auf eine gerade Zahl enden – eine Liste mit Kandidaten aus dem jeweiligen Wahlkreis. Dann wird die Anzahl an Fällen mit Geschworenengericht geschätzt und mit 50 multipliziert. Das Ergebnis ist die Menge an benötigten Geschworenen.

Die Auserwählten müssen die spanische Staatsbürgerschaft haben, volljährig und geistig zurechnungsfähig sein, lesen und schreiben können, in der Gemeinde leben, in der die Straftat begangen wurde, und sowohl physisch als auch psychisch und sensorisch zu diesem Dienst in der Lage sein. Vorbestrafte und Angeklagte dürfen keine Geschworenen werden.

„Für den Geschworenendienst kann man sich nicht selbst bewerben“, sagt Campaner. Die Wahlbehörde interviewt die Kandidaten und darf bis zu vier Personen ohne Angabe von Gründen ablehnen. Den Geschworenendienst verweigern kann nur, wer in den vergangenen vier Jahren schon einmal Geschworener war oder schwerwiegende familiäre Gründe vorbringen kann. Auch wer einen wichtigen Arbeitsplatz hat, bei dem ein Ersatz für den Zeitraum des Geschworenendienstes nicht einfach zu bekommen ist, kann ablehnen. Nicht infrage kommen auch Soldaten im Einsatz, Senioren über 65 Jahre oder Bürger, die ins Ausland verzogen sind.

Der Geschworenendienst ist zwar ein Recht der Bürger, aber auch eine Pflicht. Wer der Einberufung unentschuldigt fernbleibt, bekommt beim ersten Mal ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro. Beim zweiten Mal steigt die Strafe je nach Einkommen auf 600 bis 1.500 Euro. Auf der anderen Seite wird der Dienst entlohnt. Die Geschworenen bekommen eine Aufwandsentschädigung von 67 Euro pro Tag, die Hälfte für die Ersatzleute, die nicht gebraucht werden. Zudem gibt es – falls nötig – 65,97 Euro pro Tag für die Unterkunft samt Frühstück sowie je 18,70 Euro für Mittagessen und Abendbrot. Reisekosten werden mit 19 Cent pro Kilometer beim Auto, 7,8 Cent beim Motorrad entschädigt.

Wie entscheiden die Geschworenen?

Der Richter oder die Richterin beruft neun Geschworene und zwei Ersatzleute. Die jurados sind während der gesamten Verhandlungen anwesend und verlassen gegen Schluss nur kurz den Saal, wenn das Gericht über die an sie gerichtete Fragestellung debattiert. „Die Formulierung an die Geschworenen muss knapp und präzise sein. Das war eines der Probleme im Fall Pau Rigo“, sagt Jaime Campaner. Die Geschworenen entscheiden dann einzeln, ob der Angeklagte schuldig oder nicht ist. „Hier geht es um die nackten Tatsachen. Die Übersetzung in einen juristischen Kontext übernimmt die Richterin, die auch an die Entscheidung der Geschworenen gebunden ist.“

Für eine Schuldsprechung müssen sieben der Geschworenen dafür stimmen (im ersten Prozess gegen Pau Rigo waren es nur fünf, daher die Wiederholung), für einen Freispruch reichen fünf Stimmen. „Das ist anders als im angelsächsischen Rechtssystem, wo die Entscheidung einstimmig sein muss“, sagt Campaner. „Zudem müssen die Geschworenen, anders als in den USA, hier auch eine kurze Begründung liefern. Das ist wichtig, denn das gibt uns die Möglichkeit, ihre Beweggründe zu hinterfragen und Einspruch einzulegen.“

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