Blaue Augen, blonde Haare, groß – rein optisch fällt Claudia Suiter in ihrer Wahlheimat Cala Ratjada auf Mallorca als Zugewanderte auf. Doch innerlich ist sie längst hier verwurzelt. „Ich fühle mich als Teil des Dorfes, und ich liebe die Menschen hier“, sagt sie. Es ist eine Liebe, die erwidert wird: Die Britin ist die erste Ausländerin, die jetzt mit der jährlich verliehenen Bürgerehrung des Kulturvereines Cap Vermell ausgezeichnet worden ist. Für Verdienste ganz besonderer Art: Suiter hat Generationen von Anwohnerinnen zu Selbstbewusstsein, Körpergefühl, Teamgeist und guten Umgangsformen verholfen. Seit mittlerweile mehr als 40 Jahren. Dabei wollte sie eigentlich immer nur eins: tanzen.

Aufrechte Haltung, fließende Bewegungen. Es ist nicht zu übersehen, dass Claudia Suiter Tänzerin ist. „Das war ich immer“, sagt sie schlicht. Als ihre Eltern (er Modedesigner, sie Freizeitorganistin) die kleine Claudia mit sechs Jahren in einer der besten Tanzschulen Nottinghams anmeldeten, sei es für sie schnell eine ganz natürliche Tatsache gewesen, dass Tanzen ihre Welt ist. „Es gab nie diesen einen Moment, in dem ich entschied, auch beruflich zu tanzen. Es war für mich immer klar. Und es fiel mir so leicht“, sagt sie. Vier Mal pro Woche hatte sie damals Unterricht. „Ich war immer besser als die anderen, ich gewann so viele Wettbewerbe, dabei trainierte ich nicht härter als sie“, erzählt die Britin. „Ich hatte einfach Talent.“ Aus ihrem Mund klingt es weder eitel noch überheblich.

Mit 16 am Scheideweg

Claudia Suiter tanzte einst selbst auf großen Bühnen

Claudia Suiter tanzte einst selbst auf großen Bühnen privat

Die Erfolge blieben auch dann nicht aus, als sie mit zwölf Jahren auf ein spezielles Tanzinternat in der Nähe von London ging, die Tring Park School for the Performing Arts. Hier baute sie ihre Kenntnisse in Jazz-Dance, aber vor allem im klassischen und modernen Ballet weiter aus. „Ich war den Mädchen aus meiner Stufe beim Tanzen immer ein Jahr voraus. In meinem letzten Jahr konnten sie mir nichts mehr beibringen“, erinnert sich Suiter.

Doch die Leichtigkeit wich mit fortschreitender Professionalisierung einer gewissen Härte. Dauerhaft blutige Füße, ein vom intensiven Training schmerzender Körper, ständige Disziplinierung. „Mit 16 Jahren stand ich am Scheideweg. Will ich diesen Weg weiter gehen, an großen Ensembles mitwirken, in der europaweiten Elite? Oder will ich den Spaß am Tanzen und die Leichtigkeit behalten – und trotzdem tanzen?“ Sie entschied sich für Letzteres, wurde Tänzerin bei Shows in Karibik-Kreuzfahrtschiffen, dann – durch eine Spanierin, die sie auf dem Schiff kennenlernte – bei Fernsehsendungen, Musicals und Hotels in Barcelona. „Dort hatten wir jeden Tag unsere Auftritte, aber sie haben uns ansonsten unser Leben leben lassen. Und mir meinen Spaß am Tanzen erhalten.“

Auch privat lief es rund: Mit 19 lernte Claudia Suiter in Barcelona ihren zukünftigen Mann Miguel kennen, einen katalanischen Musiker. „Er war schon oft auf Mallorca gewesen, 1982 nahm er mich erstmals mit in den Urlaub nach Cala Ratjada.“ Sie übernachteten im Hotel Bellavista mit den gelben Balkongeländern nahe des Hafens, das es noch immer gibt. „Es war wundervoll. Und da wussten wir sofort: Hier wollen wir uns niederlassen. Obwohl wir gar nicht klar hatten, wie wir auf der Insel unser Geld verdienen sollten.“

Doch schon ein Jahr später schuf das Paar Tatsachen, zog auf die Insel, eröffnete kurzerhand zunächst gemeinsam ein Restaurant – und Claudia Suiter parallel dazu ihre Tanzschule „Stylo“ nahe der Cala Agulla. „Es war für mich ganz klar, dass ich auch auf Mallorca weiter tanzen wollte. Und eine Tanzschule war irgendwie die logische Konsequenz.“

Treue Schülerinnen

Claudia Suiter stand einst selbst auf der Tanzbühne privat

„Stylo“ gibt es bis heute. An Schülerinnen habe es ihr anfangs in den 1980ern nicht gemangelt. „Damals lief im Fernsehen die Serie ‚Fame‘, das war mein Glück, alle wollten tanzen lernen“, sagt Suiter. Lange Zeit unterrichtete die kinderlose Britin jährlich rund 50 Schülerinnen, begleitete Vierjährige bis zum Erwachsenenalter und brachte „ihren Mädchen“ nicht nur Choreografien, sondern auch Haltung, Eleganz und Höflichkeit bei. „Viele Eltern haben sich im Laufe der Jahre bei mir bedankt, weil ihre Kinder bei mir gelernt haben, Bitte und Danke zu sagen und ihre Bedürfnisse respektvoll zu äußern.“ Vor allem aber versuchte die Britin stets, ihren Schützlingen das zu vermitteln, was sie auch selbst mit Ballet in Verbindung bringt: Leidenschaft und Spaß. „Es ist ein Gefühl, das nur schwer zu beschreiben, aber sehr wohl zu vermitteln ist.“ Ob sie eine strenge Lehrerin sei? „Ich bin bestimmt, aber dabei wohlwollend“, sagt sie.

Ihre Mühen lohnen sich bis heute. Die Fluktuation der Schülerinnen ist gering, viele bleiben der Zugezogenen über Jahre treu. „Von manchen der Mädchen, die heute zu mir kommen, habe ich damals schon die Großmütter unterrichtet.“ Für einige ist sie zur engen Freundin geworden, für andere zur Ersatzmutter. Die jährliche große Abschlussaufführung vor den Sommerferien sowie Auftritte beim Hafenfest Sant Roc und auf dem Mittelaltermarkt sorgen dafür, dass die Tanzschule „Stylo“ im Ort präsent bleibt.

Kaum eine Handvoll Jungen in 40 Jahren

Und doch ist es nicht immer leicht. Seit Anfang der 2000er-Jahre haben mehrere neue Tanzschulen im Ort eröffnet, viele Kinder entscheiden sich eher für trendigere Tanzstile wie Hip-Hop und Zumba statt für antiquiert wirkendes Ballet. „Dabei ist es für mich die Grundlage jeglichen Tanzens“, findet Suiter. So modern sich viele Familien im Dorf gäben, so konservativ seien sie auch. „In all den Jahren hatte ich weniger als eine Handvoll männlicher Schüler. Und nur ein einziger von ihnen blieb über Jahre dabei. Er ist heute Profitänzer auf dem Festland“, sagt Suiter. Die anderen Jungs, die sich in ihr Tanzstudio wagten, hätten kurze Zeit später wegen Hänseleien in der Schule kapituliert. „Das ist traurig, man könnte meinen, die Gesellschaft sei mittlerweile weiter. Aber in Dörfern dauert es eben doch länger.“

Bereut hat sie ihren Umzug auf die Insel aber nie – ebenso wenig wie die Tatsache, nicht mehr selbst als Tänzerin aktiv zu sein. „Manchmal überlege ich schon, wie es wäre, wieder auf der großen Bühne zu stehen. Aber dann denke ich: Ich habe doch, was ich will. Ich tanze jeden Tag, habe Spaß daran, und die Mädchen, die mir zuschauen, begeistert es.“

Außerhalb ihres Tanz-Universums fühlt sich Suiter in der Dorfgemeinschaft schon lange aufgenommen. Sie spricht fließend Spanisch und Katalanisch, ihre Freunde sind überwiegend Einheimische. „Ich bin es gewöhnt, dass sie meinen Namen mit spanischem Akzent aussprechen, und es stört mich kein bisschen. 41 Jahre sind eine lange Zeit“, sagt sie.

Und doch will sie ihre Wurzeln nicht missen. Der Kontakt zu ihrer Familie ist weiterhin eng, zwei Mal im Jahr fliegt sie in die Heimat. „Ich könnte problemlos die spanische Staatsbürgerschaft beantragen, was seit dem Brexit vielleicht gar nicht so verkehrt wäre, aber irgendwie will ich das gar nicht.“ Sie bleibe eben trotz allem die Britin, die vor allem tanzen will. Und in Cala Ratjada akzeptiert man sie genau so. „Je mehr man der Gemeinschaft hier gibt, desto mehr bekommt man auch von ihr zurück.“ Und gegeben hat sie immer viel.