Für meinen Vater war es ein morgendliches Ritual. Er nahm eine Scheibe Weißbrot, rieb ein bisschen Tomate drauf, tröpfelte Öl darauf und würzte das Ganze mit Salz. Begleitet wurde alles mit ein paar Oliven oder einer scharfen Paprika. Dazu ein Gläschen Wein, und fertig war das Frühstück. Danach ging er zur Arbeit. (Sagrari, 67)

Es ist wohl eines der bekanntesten Gerichte der Insel. Obwohl – oder vielleicht gerade weil es so ein herrlich unspektakuläres Essen ist: Das pa amb oli ist auf den ersten Blick vielleicht das Äquivalent zur Butterstulle in Mitteleuropa, aber man kann argumentieren, dass das Brot mit Olivenöl eine weitaus größere Bedeutung spielt. Es ist Frühstück, Abendessen, Zwischensnack und Soulfood zugleich. Es vermittelt ein Gefühl von Heimat und Zuhause.

Es ist so essenziell für Mallorca und seine Küche, dass viele Touristenlokale nicht darum herumkommen, es auf ihrer Karte anzubieten – dieses Gericht, das zwar aus drei Wörtern besteht, aber wie eines gesprochen wird: Pamboli, wobei das a eher wie ein aus der Kehle gehustetes ä und das o wie eine Mischung aus a und o auszusprechen ist.

Tomás Graves, Sohn des weitaus berühmteren Autors Robert Graves, erklärt das Olivenölbrot in seinem populärwissenschaftlichem Buch „Volem Pa amb Oli“ (Wir wollen Pa amb Oli) folgendermaßen: „Das Pa amb Oli kann ein einsames Ritual sein, eines, das Hand in Hand mit der Introspektive geht. Aber es kann auch eine Einladung zur Geselligkeit sein, zur Kommunikation und zum Gelage.“

Und in gewisser Weise ist das Pa amb Oli auch in seinem Kern ein Bollwerk gegen die To-go-Kultur der modernen Welt. Denn ein Pa amb Oli muss sofort nach der Zubereitung gegessen werden. Man muss sich an einen Tisch setzen. Es zwingt den Esser quasi zur Pause.

Die richtige Reihenfolge Patrick Schirmer Sastre

In der Bar Ja, im Kochbuch nein

Das Pa amb Oli befindet sich kulinarisch in einem kuriosen Zwischenraum. Beliebt und alltäglich genug, um als eine Art Nationalgericht zu gelten und in vielen Bars auf der Karte zu stehen. Aber nicht kompliziert genug, um – mit wenigen Ausnahmen – in den Kochbüchern für mallorquinische Küche aufzutauchen. Und dennoch wird praktisch jeder Mallorquiner eine unumstößliche Meinung dazu haben, wie das Gericht korrekterweise zubereitet wird.

Der prominenteste Streitpunkt ist dabei die Reihenfolge, in der die Zutaten aufs Brot kommen. Tomate – nahezu zwingend der Sorte ramallet –, Salz, Olivenöl – diese Reihenfolge gilt weithin als Konsens. Der Grund: Die Tomate lässt sich am besten verreiben, wenn das Brot trocken ist. Andere Leute tröpfeln trotzdem lieber zuerst das Öl aufs Brot. Eine Theorie besagt, dass der ersten Zutat am meisten Bedeutung zugesprochen wird. In Familien, die Öl produzieren, ist es also der Olivenextrakt. Und wer eher Tomaten im Garten hat, nimmt eben zuerst diese. Eine andere These geht davon aus, dass die verriebene Tomate das Einsaugen des Öls in das Brot blockiert und deshalb dieses doch zuerst auf die Scheibe gehöre. Theorien, dass zuerst das Salz aufs Brot gehört, gibt es eher wenige.

Als ich klein war, haben wir Pa amb Oli häufig zu Abend gegessen. Jetzt ist es für mich eher ein Frühstück, das ich drei bis vier Mal die Woche zu mir nehme. Abends gibt es das bei uns ein bis zwei Mal die Woche. Ich könnte auch öfter, aber meine Frau sagt, es reicht so. Das Allerwichtigste: Die Tomate kommt zuerst aufs Brot. Ich weiß nicht, wie jemand ernsthaft zuerst Öl nimmt. Das ist doch krank. Ach ja, und mit dem katalanischen Pa amb tomaquet hat das Pa amb Oli nichts zu tun. Wir haben ganz anderes Brot. (Pau, 41)

Die richtige Reihenfolge

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Auf Malta heißt es Hobz biz Zejt

Nun ist diese Kombination aus Brot, Tomate, Oliven und Salz alles andere als eine mallorquinische Erfindung. In leicht abgewandelter Form ist es in weiten Teilen des Mittelmeerraumes vertreten. So gibt es in Italien die verwandte Bruschetta, in Katalonien nennt man es Pa amb tomaquet und auf Malta gibt es das Hobz biz Zejt – was übersetzt nichts anderes als Brot mit Öl bedeutet.

In seinem Ursprung war Pa amb Oli auch nicht mehr als genau das: Brot mit Öl, auf das ein wenig Salz oder – so behaupten es einige Quellen – alternativ auch Zucker gestreut wurde. Ein einfaches, schnelles, billiges Essen für die unterprivilegierte Landbevölkerung.

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Man muss schließlich bedenken, dass die Ära der Tomate vergleichsweise jung in Europa ist. Sie kam erst im 16. Jahrhundert nach Spanien, ein festes Element der Küche wurde sie erst über 200 Jahre später. Im 18. Jahrhundert sei es genauso extravagant gewesen, eine Tomate zum Pa amb Oli zu servieren, wie es Mitte des 20. Jahrhunderts eine Scheibe Schinken war, wird der Koch und Autor Antoni Pinya in „Volem Pa amb Oli“ zitiert. Heutzutage ist eine Scheibe Schinken eine normale, aber vergleichsweise mickrige Beilage zum Olivenölbrot.

Die Beilagen

Ursprünglich wurden vor allem Oliven oder scharfe Paprikas zum Pa amb Oli serviert. Ebenfalls beliebt ist der in Essig eingelegte Meeresfenchel. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde mehr experimentiert. Schinken und Käse, später auch Würste wie Camaiot oder Butifarró fanden ihren Platz auf der Stulle. In Sóller wurde gern getrockneter Bacalao aufs Brot gelegt. Oder auch getrocknete Feigen und Aprikosen, wenn man es lieber süß mag. „Irgendwann ging es so weit, dass wir sogar Sobrassada auf das Pa amb Oli gemacht haben, ohne dass uns klar war, was für eine Schweinerei es ist, diese zwei Arten von Fetten zu vermischen“, wird Antoni Pinya zitiert. Denn ja, das gilt es zu wissen: Sobrassada auf Pa amb Oli ist ein no-go.

Eine andere beliebte Grundzutat ist der Knoblauch. Zuvor sollte das Brot getoastet werden. Die Zehe wird zuerst über die krosse Kruste verrieben, dann kommen die anderen Zutaten.

Ich liebe Pa amb Oli und esse es sowohl zum Frühstück als auch zum Abendessen. Natürlich nicht jeden Tag. Manchmal bereiten es mein Papa oder meine Mama zu, aber ich mache es am liebsten selbst. Das Brot muss getoastet sein. Dann mache ich Tomaten, Salz und Öl dran. Meine liebsten Beilagen sind Käse und Schinken. Oliven esse ich aber auch gern dazu. (Sergi, 8)

Heutzutage wird wie wild experimentiert: Als vor zwei Jahren auf Mallorca ein Wettbewerb ausgerufen wurde, bei dem das beste Pa amb Oli gesucht wurde, gewann ein Argentinier. Er belegte das Brot neben den Grundzutaten mit Schweine-Leberwurst aus Felanitx, Mahonés-Käse und cabell d’àngel (Kürbiskonfekt), serviert mit einem herbes dolces (mallorquinischer Kräuterlikör). Platz zwei ging an eine Kreation mit Hering, Käse und frischer Frühlingszwiebel.

Diese Experimente bleiben aber die Ausnahme. In dem für seine Pa amb Olis inselweit bekannten Lokal „S’Hostal“ in Montuïri bekommt man etwa riesige Portionen, die Zutaten sind aber auch nach mehreren   Jahrzehnten bodenständig geblieben.

Heute erinnern sich nur noch wenige Leute daran, aber als ich klein war, gab es noch eine andere Methode, um dem Pa amb Oli Geschmack zu geben: Man machte ein paar Tropfen Essig darauf. Dazu wurden Oliven gereicht. Das mit dem Schinken und dem Käse kam viel später. (Miquel, 73)

Die Kultur

Im Laufe der Jahre hat sich auch die Kultur des Pa amb Oli angenommen. Tomás Graves,  der Autor des Pa-amb-Oli-Buchs, gründete gar eine Band, die nach dem   Gericht benannt ist. Verschiedene Musiker widmeten dem Brot ihre Lieder. Zu den schönsten gehört sicherlich der Song „Pa amb oli“ der Gruppe Tiu, der sich auf äußerst poetische Weise mit den verschiedenen Zutaten auseinandersetzt.

Und doch gibt es einen Aspekt, der bei der überbordenden Liebe der Mallorquiner für das Pa amb Oli verwundert. Eine Sache, die regelrecht snobistisch wirkt angesichts der Tatsache, dass es sich ehemals um ein Arme-Leute-Essen handelte (vor den Preisen für Olivenöl heutzutage). Und zwar der Umstand, dass „Pa amb Oli“ im Sprachgebrauch verwendet wird, um etwas als billig, unfähig oder schlecht gemacht zu bezeichnen. Wenn Sie also den Satz hören: „Aquests polítics són de pa amb oli“ (Das sind Pa-amb-Oli-Politiker), dann ist er alles andere als freundlich gemeint. So lecker das Pa amb Oli auch schmeckt.

Dieser Artikel ist erstmals im Juli 2022 in der MZ erschienen.