Es ist ein bisschen wie in der Dunkelkammer: Mit dem Eintauchen des Fotopapiers in die Entwicklerschale gewinnt das Motiv nach und nach an Konturen. Ähnlich ergeht es einem mit dem Leben von Leo Frischer. Auch das Schicksal des deutschen Juden, der auf der Flucht vor dem Nazi-Regime in Esporles landete, dort ein Fotoatelier betrieb und ins Visier des Franco-Regimes geriet, schält sich nach und nach aus dem Dunkel der Geschichte. Und dass am Ende ein gestochen scharfes Bild herauskommt, ist ein Verdienst der Dokumentation, die jetzt am 11. Februar um 22.15 Uhr im Regionalsender IB3 läuft: „L’alemany de la botiga de fotos“ (Der Deutsche mit dem Fotogeschäft).

„Zu kaum einem anderem Fall eines Exilanten auf Mallorca gibt es vergleichbar viele Dokumente“, sagt Regisseur Luis Pérez: In Mallorcas Archiven fanden sich mehr als 200 Seiten, auf denen die Überwachung von fünf jüdischen Flüchtlingen in Esporles durch das Franco-Regime dokumentiert ist. Die Unterlagen waren im Gegensatz zu vielen anderen Akten nicht vernichtet worden. Der Film tut zudem Zeitzeugen auf, die Leo Frischer kannten: zum einen die zum Zeitpunkt des Interviews 98-jährige, mittlerweile verstorbene Mallorquinerin Francisca Mir, zum anderen die Britin Ann Roberts, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Wales Frischers Laden übernahm.

Dreharbeiten (hier mit Historiker José Miguel Romero). | Foto: Quindrop

Die 70-minütige Koproduktion von IB3 und der Produktionsfirma Quindrop wechselt zwischen zwei Ebenen – einer historischen und einer aktuellen, die die Lokalhistoriker Pere Bueno und Juan Pérez bei der Recherche zeigt. Dass die Geschichte überhaupt bekannt wurde, ist der Initiative Memòria Històrica d’Esporles zu verdanken. Sie fand im Rathausarchiv den Abschiebebescheid von 1940 für die damals im Ort ansässigen Juden.

Visitenkarte, mit der Frischer für seinen Laden in Esporles warb. FOTO: QUINDROP Frank Feldmeier

Flucht nach Esporles über Algerien

Leo und Elsa Frischer lebten in den 1930er- Jahren in Hamburg und harrten zunächst trotz der nationalsozialistischen Rassengesetze dort aus. Erst im November 1938 flüchteten sie, zunächst nach Tanger (Algerien). Die Nichtjüdin Elsa reiste weiter nach Wales, Leo zusammen mit zwei weiteren, gemischt jüdischen Paaren nach Mallorca. Warum ins Bergdorf Esporles? Wohl um den auch auf der Insel vertretenen Nazis rund um Konsul Johannes Dede nicht ins Blickfeld zu geraten. Radebrechend fand Frischer 1939 Anschluss im Dorf und eröffnete im Carrer Nou de Sant Pere Nummer 11 seinen Laden „Foto Esporlas“, um vor allem Aufnahmen von Hochzeiten zu machen. Trotz der zeitlichen Distanz erinnert sich die damalige Nachbarstochter Francisca Mir „Roseta“ auch an Details. „Leber“ sagte Frischer etwa spontan auf Deutsch beim Anblick eines Tellers, als er zu den matances der Metzgersfamilie eingeladen war. „Das Wort ist bei mir hängen geblieben“, so die Seniorin in der Dokumentation. Sie hätten sich gegenseitig Vokabeln beigebracht.

Nach nur neun Monaten, im Juni 1940, erging der Abschiebebescheid des Franco-Regimes, eines Verbündeten Hitlers. Die Nürnberger Gesetze seien in der Praxis auch auf Mallorca angewandt worden, so Pérez – die Dossiers der Überwachungspolizei waren mit einem roten „J“ markiert. Dass sich das Franco-Regime später, als sich die Niederlage Hitlers abzeichnete, mit einzelnen Aktionen als Retter von Juden inszenierte, sei ein Propaganda-Erfolg, der auch heute noch nachwirke.

Festnahme und Konzentrationslager

Als „Staatenloser“ reiste Frischer nach Barcelona. Dort wurde er festgenommen und im Konzentrationslager Miranda del Ebro in der Provinz Burgos interniert. Die Doku zeigt Fotos, die der Deutsche vom Lager-Alltag machte. Seine Frau Elsa, jahrelang ohne Lebenszeichen von ihm, sah ihren Mann erst 1944 nach seiner Freilassung wieder. Das Paar eröffnete in Wales einen neuen Fotoladen, am Platz Saint Peter in Ruthin – ganz ähnlich dem Straßennamen in Esporles. Als Frischer 1972 starb, erbte die Angestellte Ann Roberts den Laden. Sie behielt den Geschäftsnamen bei – den Mallorquinern ermöglichte das, sie überhaupt zu finden. „Leo war nicht verbittert, er ließ die Vergangenheit ruhen“, erzählt die Britin im Film. „Wenn er mit einem sprach, konnte man nicht ahnen, was er durchgemacht hatte.“