Eine Frau führt ihren Hund aus, ein Jogger läuft vorbei. Ansonsten wirken die Straßen im südlichen Teil von Cala Millor wie ausgestorben. Ebenso die riesigen Bettenburgen, die hier überall verlassen dastehen. Der Küstenort im Osten von Mallorca, in dem in der Hochsaison das Leben pulsiert, ist Ende November längst im Winterschlaf versunken. Nicht gerade der ideale Moment, um hier ein Restaurant zu eröffnen, könnte man meinen. „Das stimmt“, sagt Horacio Jesús Martínez. Und doch hat er genau das getan. Seit wenigen Wochen führt er in direkter Nachbarschaft zur verwaisten Touristen-Info und dem brachliegenden Kultlokal Café del Sol ein eigenes Restaurant, zum ersten Mal in seinem mittlerweile 68 Jahre langen Leben. Ein Himmelfahrtskommando?

„Vielleicht“, sagt Martínez gelassen und wiegt den Kopf. „Aber ich glaube daran, dass es funktioniert.“ Er ist kein Mann der großen Worte, der Argentinier, der jahrzehntelang in Grillrestaurants in Deutschland arbeitete und seit 2002 auf Mallorca lebt, wo er sich in Cala Millor und Umgebung als Koch einen Namen gemacht hat. Eigentlich hält er sich lieber im Hintergrund, das merkt man schnell. Konzentriert sich auf das, was er am besten kann: an Herd und Grill stehen. Doch all die Zurückhaltung passt so gar nicht zu der Tatsache, dass das neue Restaurant nicht nur nach Martínez’ Vornamen – Horacio – benannt ist, sondern dass als Logo auch noch das Konterfei des Chefs auf sämtlichen Speisekarten und auf dem Dach des Lokals prangt.

Martínez scheint jedenfalls erleichtert, als er sich wieder in die Küche zurückziehen kann, statt weiter über sich zu reden. Stolz tischt er wenig später das Essen auf: Kartoffelpüree mit angenehm würziger Note, Rindfleisch, so zart, dass es auf der Zunge fast zergeht, knackiges Gemüse aus der Pfanne. Falls jedes Gericht aus der langen Speisekarte so schmeckt wie der Probeteller für die Presse, dürfte es tatsächlich etwas werden mit dem neuen Restaurant im verschlafenen Urlaubsort. Doch Qualität ist bekanntlich nicht alles. Was es braucht, sind vor allem erst einmal Kunden und einen guten Ruf.

Gutes Essen in gemütlicher Atmosphäre – fehlen nur noch die Stammkunden. | Nele Bendgens

Eröffnung voller Pleiten

Die große Eröffnung am 5. November dürfte jedenfalls nicht dazu beigetragen haben, die Menschen vom Horacio zu überzeugen. „Da ist praktisch alles schiefgelaufen, was schieflaufen kann. Kassensystem ausgefallen, Chaos in der Küche, Kunden, die eine Stunde warten mussten und dann kaltes Essen serviert bekamen“, erzählt Yvonne Claude freimütig. Gemeinsam mit ihrem Mann Enno Klapper ist die Rheinländerin die Initiatorin dieses Gastro-Projekts.

„Was Gastro angeht haben wir keine Ahnung, aber davon ganz viel“, scherzt der Kölner Enno Klapper. Nur drei Wochen vergingen vom Abschluss des Pachtvertrags bis zur Eröffnung. „Wir arbeiten unter Druck am besten, aber wir hatten es definitiv unterschätzt“, sagt Klapper. Immerhin: Nach dem Chaos am Anfang ging es schnell bergauf. „Das Team beginnt sich einzuspielen, und wir haben schon viele gute Bewertungen und Lob von Kunden bekommen.“

Yvonne Claude und Enno Klapper besitzen seit Jahren ein Haus bei Sant Llorenç de Cardassar, sind aber weiter in Deutschland in Führungspositionen im Baugewerbe tätig. „Wir wissen, wie man ein Unternehmen führt. Dieses Know-how bringen wir mit“, sagt Enno Klapper nun ernster. Genau wie das Geld. Genug Geld, um ein neues Restaurant über einen kundenarmen Winter zu bringen. „Wir sind nicht auf Gedeih und Verderb auf große Einnahmen in den kommenden Monaten angewiesen und müssen keine Gewinnoptimierung auf Kosten der Kunden, der Qualität oder des Personals betreiben“, sagt Klapper.

Das kinderlose Paar, das jetzt als Gesellschafter im Horacio agiert, knausert nicht und liebt gutes Essen. Genau so sind die beiden auch vor einigen Jahren mit Horacio Jesús Martínez bekannt geworden – als Kunden in einem Restaurant, in dem er angestellt war. „Er ist einfach ein klasse Koch und er hat es verdient, einmal selbst etwas aufzubauen und unter fairen Bedingungen zu arbeiten“, sagt Enno Klapper. Ihm zur Seite stehen zwei Beiköche, ein Servicemitarbeiter, eine Reinigungskraft. Alle seien unbefristet eingestellt worden, sagen die beiden Deutschen – im Winter in der Gastro in Cala Millor fast wie ein Sechser im Lotto. Im Sommer sind in der Urlauberhochburg weit mehr als 100 Cafés und Restaurants geöffnet, außerhalb der Saison halten nur weniger als ein Dutzend die Stellung.

Auch deutsche Gerichte

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„Weniger Konkurrenz für uns“, sagt Horacio Jesús Martínez schlicht. Bei der Deko seines Restaurants lässt er Yvonne Claude freie Hand. Aktuell ist das Ambiente weihnachtlich-anheimelnd, spricht vermutlich vor allem deutsche Residenten an. „Von denen gibt es ja einige hier in der Gegend“, sagt Yvonne Claude. Auch Martínez, der für die Speisekarte verantwortlich ist, berücksichtigt diesen Geschmack. Neben zahlreichen Pasta-, Fisch- und natürlich Fleischgerichten sind auch Rinderrouladen mit Kartoffelstampf und Apfel-Rotkohl im Repertoire. Ausdrücklich wünscht man sich aber auch einheimisches Publikum. Mallorquiner, Leute aus dem Ort. Annähern will man sich ihnen mit Tapas-Gerichten – und durch die finanzielle Unterstützung des Fußballclubs von Cala Millor und des örtlichen Kindergartens in Sant Llorenç.

Ob es gut geht, wird sich herausstellen. Die drei gehen auf jeden Fall optimistisch an das Unterfangen heran. Jeden Abend habe man bisher zumindest ein paar Kunden empfangen können, an keinem einzigen Abend sei das Horacio in den vergangenen Wochen leer geblieben. „Das ist ein Anfang“, findet Horacio Jesús Martínez. Und man müsse es ja auch positiv sehen: Die ruhigen Wintermonate böten genügend Möglichkeit, sich einzuspielen. „Wenn es dann im März richtig losgeht, haben wir keine Anlaufschwierigkeiten. Und dann wird es ohnehin einfacher.“