Mallorca Zeitung

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Abstieg in den arabischen Wassertunnel von Mallorca

Quellen, unterirdische Stollen, Leitungen: In Inca ist eine Anlage gerettet worden, die über viele Jahrhunderte zur Versorgung der städtischen Bevölkerung beitrug. Ein Besuch in den „qanats“ mit der beauftragten Restauratorin

Maria Antònia Cladera zeigt im Licht der Stirnlampe die Decke aus arabischer Zeit und die später eingezogenen Decken- bögen des „quanat“. Frank Feldmeier

Wasser fließt hier schon lange nicht mehr, aber etwas Regen ist von oben durch das Erdreich gesickert. Im Schein der Stirnlampe geht es durch den gut schulterbreiten Tunnel, der sich gleich am Eingang im 90-Grad-Winkel in zwei Gänge teilt. Am Boden eine Wasserrinne und an der Stelle, an der sich die beiden Gänge vereinen, eine Vertiefung, wo sich das Quellwasser sammelte. „Von hier floss es in einem Kanal bis zur Plaça del Bestiar“, sagt Maria Antònia Cladera. „Der Platz hieß früher Plaça de la Font.“

So wie der Name des „Quellen-Platzes“ in Inca verschwunden ist, so verlor sich auch der Nutzen der qanats, wie die unterirdischen Gänge der Anlage im Gebiet des heutigen Gesundheitszentrums So Na Monda heißen. Sie gehen zurück bis in die Zeit der islamischen Besiedlung Mallorcas (10.–13. Jahrhundert), wurden Mitte des 19. Jahrhunderts stark verändert, schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Bau eines modernen Leitungsnetzes aufgegeben und sich selbst überlassen – und jetzt, Ende vergangenen Jahres, erstmals restauriert.

Verantwortlich für das von der Stadtverwaltung Inca finanzierte Projekt ist die freiberufliche Restauratorin Cladera. Zusammen mit dem Steinmetz Gabriel Ferragut hat sie die qanats nach wissenschaftlichen Kriterien dokumentiert, von Gestrüpp und Schutt befreit, stabilisiert und zum großen Teil begehbar gemacht. Eine zweite Phase der Restaurierung soll in diesem Jahr folgen. Geplant ist, dass die Anlage in Zukunft im Rahmen von Führungen, beispielsweise für Schulklassen, besucht werden kann.

Hier flossen die beiden Quellen einst zusammen. Frank Feldmeier

Hakenkreuz und Teufelsfratze

Die Führung für die MZ beginnt an einem Tor, von dem eine Treppe rund fünf Meter in die Tiefe zur früheren Quelle führt, der Font de la Canaleta. „Das war hier alles voller Graffiti, hier ein Hakenkreuz, dort eine Teufelsfratze“, erklärt Cladera und zeigt auf die inzwischen gesäuberten sowie an vielen Stellen mit Kalkmörtel ausgebesserten Wände ringsum. Wo früher das Wasser aus der Quelle sprudelte, deckt heute ein Gitter ein ovales, trockenes Loch im Boden ab. Offenbar wurde aber auch Regenwasser gesammelt, darauf deuten zumindest Reste einer Rinne an der Wand hin.

Von hier floss das Wasser durch einen rund 100 Meter langen, 1,40 bis 1,70 Zentimeter hohen Kanal, vereinigte sich mit dem Wasser einer zweiten Quelle, der Font de les Roquetes, das über einen knapp 35 Meteter langen Kanal bis zur Verzweigung geleitet wurde, und fand dann seinen Weg bis zur Plaça de la Font.

Schema der Font de la Canaleta. Von hier führt ein Stollen hundert Meter durch die Erde. Frank Feldmeier

Kostbares Gut Wasser

Die Anlage führt vor Augen, wie geschickt in früheren Jahrhunderten die Ressourcen genutzt wurden – obwohl Inca über keine besonders ergiebigen Grundwasservorkommen verfügte. „Durch die öffentlichen Quellen und die den Bewohnern zugänglichen Zisternen war die Versorgung weitgehend gesichert“, schreibt der Historiker Gabriel Pieras in einem Artikel. „Das änderte sich aber, wenn der Regen ausblieb oder sehr gering ausfiel.“

So wie 1849, als eine Trockenheit Mallorca erfasst. Damals wurde die Treppe hinunter zur Quelle angelegt, damit die Menschen – unter Aufsicht von Wächtern, die Missbrauch verhindern sollten – dort direkt Wasser schöpfen konnten. An einer besonders engen Stelle in dem Tunnel leuchtet Cladera an die Decke – es gibt zwei davon, eine aus arabischer Zeit aus Felsplatten, eine zweite aus Steinbögen, die um 1850 darunter eingezogen wurde. Warum, weiß man nicht, aber „offenbar war die Decke in sehr schlechtem Zustand.“

Langer Weg zur Restaurierung

Der zweite Arm des Tunnels, der zur Font de les Roquetes führt, ist bis zu einer Anhäufung von Steinbrocken begehbar. Durch eine Öffnung wurde wohl Bauschutt entsorgt, der von Erschließungsarbeiten oder dem Bau des nahen Gesundheitszentrums zwischen 2010 und 2012 herrühren könnte. Rücksicht auf die Anlage aus arabischer Zeit nahm man kaum. Ein Luftschacht befindet sich heute mitten auf dem Gehsteig. Und provisorische Reparaturarbeiten wurden kurzerhand mit modernem Portlandzement vorgenommen.

Die Anlage fand 1998 Eingang in den Katalog schützenswerter kommunaler Elemente, unter Denkmalschutz steht sie seit 2015. Zunächst beantragte die Gemeinde Gelder in Höhe von 59.000 Euro aus den Einnahmen der Touristensteuer, ohne Erfolg. 2018 machte die Linksregierung in Inca dann ein Budget von knapp 15.000 Euro frei und schrieb eine erste Phase zur Restaurierung öffentlich aus. Den eigentlichen Arbeiten gingen zunächst Studien voraus: Welches Lösungsmittel ist geeignet zur Entfernung der Graffiti? Welcher Mörtel ist kompatibel mit der historischen Bauweise?

In Betrieb gehen kann die Anlage nicht mehr: Der Grundwasserspiegel ist gesunken, der Klimawandel schreitet voran. Vielmehr wirken die qanats wie ein Mahnmal, das daran erinnert, wie die Menschen zurechtkamen, bevor Grundwasservorkommen fast leer gepumpt und Entsalzungsanlagen gebaut wurden. „Das sollte uns zu denken geben“, sagt Cladera. Anwohner hätten ihr allerdings erzählt, dass nach einem starken Gewitter vor einigen Jahren Wasser in die Häuser floss. Ganz abschreiben dürfe man die quanats also nicht.

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