Mallorca Zeitung

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Trotz aller Veränderung: Warum die Liebe einer Familie zum Urlaubsort Portocolom auf Mallorca ungebrochen bleibt

Der pittoreske Hafenort an der Ostküste der Insel ist Teil der DNA der Familie Estelrich

Sind füreinander Felsen in der Brandung: (v.l.) Tomeu Estelrich (86), seine Großnichte Glòria Julià (40) und Catalina Estelrich (64). Nele Bendgens

Wenn Glòria Julià ihren Heimatort Portocolom und die See in poetischen Zeilen festhält, liest sich das zum Beispiel so: „Dieser Hafen aus salzigem Meer, Meer / das, wenn es will, ruhig ist und wenn es will, / sein Inneres nach außen kehrt. / Es gibt Fischer mit dicker Haut,/ sonnenverwöhnter Haut. Matrosenfrauen, / die mit Netzen hantieren und Fische schuppen ...“ Es sind Impressionen, die die heute 40-Jährige, die hauptberuflich Lehrerin ist, seit ihrer unbeschwerten Kindheit einsog, in der sie jeden Nachmittag mit ihren Freundinnen zum Fischen ging. Ein Quell der Inspiration für die Poetin, Schriftstellerin und Musikerin.

Mit ihrem Mann und der zweieinhalbjährigen Tochter lebt sie auf dem Grundstück, wo schon ihre Urgroßeltern einst Hühner hielten. Ein Kreis hat sich damit geschlossen, sagt sie. Nur vorübergehend zog es Julià zum Studium hinaus aus dem Ort: Sie lebte drei Jahre in Palma, zwei in Barcelona. „Aber ich wusste genau, dass ich wieder hierher zurückkommen wollte. Denn ich bin ebenso verliebt in Portocolom wie meine Mutter“, erklärt sie.

"Wenn ich unterwegs bin, denke ich an Portocolom"

Catalina („Cati“) Estelrich Mesquida (64), die Glòria Julià ihre tiefe, rauchige Reibeisenstimme vererbt hat und ebenfalls Einzelkind ist, ging vergangenes Jahr in den Vorruhestand und hütet nun vormittags ihre kleine Enkelin. Auch sie erinnert sich mit Wonne an ihre Jugend in Portocolom, die sie als „sehr modern“ empfand: Mit ihrer Clique spielte sie Gitarre am Strand und fuhr mit dem Boot hinaus zum Baden.

Für Cati Estelrich gibt es auf der Insel keinen schöneren und friedlicheren Hafen als ihren. „Ich reise sehr gerne. Aber die ganze Zeit, wenn ich unterwegs bin, denke ich an Portocolom. Für mich ist es eine Obsession, hier zu leben“, erklärt sie. Und selbst wenn sie einmal nach Palma fahren müsse, ziehe es sie immer so schnell wie möglich wieder zurück.

Verdienen das Attribut malerisch: die Häuser im alten Teil von Portocolom. Nele Bendgens

Größter Naturhafen von Mallorca

Verdenken kann man es ihr nicht. Portocolom, das als angeblicher Geburtsort von Kolumbus zu seinem Namen kam, ist der größte Naturhafen der Insel. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hier reger Weinhandel mit Frankreich getrieben, bis die Reblaus den Wein auf Mallorca befiel und das Geschäft zunichte machte. Was jedoch bis heute nicht gelitten hat, ist der Charme eines traditionellen Fischerdorfs, das zwar bei Urlaubern beliebt ist, aber nicht vom Massentourismus überrannt wurde.

Betuchte Festlandspanier leisten sich hier gern eine Sommerresidenz und speisen in den Restaurants. Man empfindet so etwas wie maritime Nostalgie und Geborgenheit in dieser uterusgleichen Bucht mit ihrem Leuchtturm, den bunt gestrichenen Bootshäusern entlang der alten Mole und dem neuen, aber dennoch beschaulichen Hafen westlich davon mit seiner Promenade.

Mehr Ausländer, weniger Fischer

Mit den Jahren zog es auch viele reiche Ausländer nach Portocolom, um sich hier niederzulassen. Das sei mit Sicherheit die größte Veränderung, die der Ort zu ihren Zeiten mitgemacht hat, sagen die Frauen. Mit ihren direkten, internationalen Nachbarn verstünden sie sich aber blendend. „Auf Mallorca tendieren die Leute ja dazu, recht verschlossen zu sein. Aber wir in Portocolom hatten das Glück, dass hier immer viele Menschen von anderswo herkamen. Es ist ein sehr offener Ort“, sagt Glòria Julià. Sie seien an andere Lebensstile und schräge Vögel gewöhnt – verrückte Seemänner, die mit ihrem Schiff die ganze Welt bereisten oder Künstler, die die Küste malen.

Kleine Boote und Abendstimmung in Portocolom. Nele Bendgens

Fischer gibt es dagegen heute immer weniger: Die 35, die noch übrig sind, kämen gerade noch so über die Runden, sagt Cati Estelrich. Ab ihrem 20. Lebensjahr sei sie Sekretärin der hiesigen Fischergenossenschaft gewesen, erzählt sie mit Stolz. In ihren Anfangstagen stachen hier zehn Schleppnetzfischerboote und 30 kleine Boote in See. Jetzt seien es nur noch sieben kleine Boote und ein Trawler. „Der Meeresgrund ist heute wie eine Autobahn. Es gibt keine Fische mehr“, sagt sie. Die Gewässer bei Portocolom seien ein blinder Fleck in Sachen Meeresschutzgebiete. Cati Estelrich macht das große Sorgen.

Vergangene Zeiten

Als Tomeu Estelrich Adrover (86), der Bruder ihres Vaters, noch ein Kind war, tummelten sich die Fische so zahlreich, dass man nur einen schweren Stein ins flache Wasser werfen musste, um sie zu fangen. Der Onkel wuchs im historischen Ortskern mit der kleinen Kirche Mare de Déu del Carme auf. „Dort unten am Meer gab es nichts, nur 50 oder 60 Fischer mit ihren Hütten“, erinnert sich Tomeu Estelrich. Nicht zu vergessen die damaligen Ordnungshüter der Küste, die carabineros.

Vater und Bruder bauten Schiffe, die Eltern eröffneten im Ort den Lebensmittelladen Botiga Ca n’Estelrich, den es heute immer noch gibt, um Tomeus Schwester, die dann dort arbeitete, ein Auskommen zu sichern. „Ich war der Jüngste und damit der Joker“, sagt der Senior mit dem Anflug eines Lächelns.

Ein ganzes Leben in Portocolom

Nur acht Kinder besuchten zu seiner Zeit die Schule. Er selbst ging mit vierzehn Jahren ab und begann zu arbeiten – überall dort, wo er gebraucht wurde, ob auf der Hühnerfarm oder in der Werkstatt seines Vaters. Mit 30 Jahren bekam Tomeu Estelrich den wohl begehrtesten Job des Ortes: Als Hafenmeister lenkte er bis zu seiner Rente die Geschicke von Portocolom. „Ich stand viele Jahre gegen halb vier Uhr morgens auf. Wenn die Boote ankamen, ging es darum, die Fische zu wiegen, die sie geladen hatten.“ Dann wurden sie zum Fischmarkt in Palma weitertransportiert.

Die Kirche Mare de Déu del Carme im historischen Ortskern.

Die Kirche Mare de Déu del Carme im historischen Ortskern. Nele Bendgens

„Ein ganzes Leben in Portocolom“ (Tota una vida a Portocolom) – so hat Tomeu Estelrich das Buch genannt, in dem er seine Memoiren niederschrieb. „Ich habe mitangesehen, wie der Hafen wuchs und von etwas sehr Kleinem zu etwas sehr Großem wurde“, erzählt der 86-Jährige. „Es war ein ganz anderes Leben, eine andere Welt. Damals funktionierte Portocolom nicht wie eine Gesellschaft, sondern wie eine Bruderschaft.“

Inzwischen kann der Senior, den Krankheit und Todesfälle im nahen Umfeld ernst und schwermütig werden ließen, vielleicht nicht mehr auf die Unterstützung des ganzen Dorfes bauen, das heute mehr als 4.000 Einwohner hat. Aber auf die seiner Nichte Catalina und der Großnichte Glòria. Nie würden die beiden ihm und ihrem „Heimathafen“ den Rücken kehren.

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