Mallorca Zeitung

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Ein Zeitzeuge erinnert sich: Als Cala Ratjada auf Mallorca noch ein kleines Fischerdorf war

Antoni Flaquer ist nicht in Cala Ratjada geboren – und dennoch so eine Art Gedächtnis des einstigen Fischerortes

Fischer zogen ihre Thunfische einst direkt an den Strand von Cala Ratjada. | FOTO: KONRAD LIESEGANG, SAMMLUNG ANTONI FLAQUER

Antoni Flaquer kann sich an eine Zeit erinnern, da war die Kirche Nostra Senyora del Carme noch das letzte Gebäude in Cala Ratjada. „Dahinter kam nur noch Kiefernwald“, erzählt er. Heute befindet sich die Kirche im Zentrum des Ortes, die gesamte Landzunge bis zur Cala Agulla ist bebaut. „Im Ort kannte damals jeder jeden – klar, damals waren es 200 Bewohner, heute sind wir etwa 7.000“, sagt Flaquer. Er kam 1941 zur Welt, da waren die meisten der in den 30er-Jahren nach Cala Ratjada gezogenen deutschen Emigranten schon vor dem Franco-Regime geflüchtet.

Flaquer, der im nur zwei Kilometer entfernten Capdepera geboren wurde, ist ein knorriger Typ. Gefragt, was Cala Ratjada besonders macht, zuckt er mit den Schultern. Nächster Versuch: Und was bedeutet Ihnen persönlich Cala Ratjada? „Es ist der Ort, an dem ich als Kind meine Sommerferien verbrachte“, antwortet der 82-Jährige. „Mein Großvater war Fischer und hatte ein Haus nahe am Hafen.“

Cala Ratjada: Vor dem Tourimus lebte der Ort vom Fischfang

Flaquer zog als junger Mann nach Cala Ratjada, arbeitete zunächst als Bootsmechaniker, dann als Automechaniker. Jetzt, im Ruhestand, sammelt er geschichtliche Dokumente von Cala Ratjada und hat unter anderem ein Fotobuch herausgebracht (siehe Kasten). Die Bilder machen deutlich, wie sehr der heute so touristische Ort einst direkt oder indirekt vom Fischfang abhing.

Antoni Flaquers Heimat ist der Hafen in Cala Ratjada Nele Bendgens

Dabei gab es lange nicht einmal eine Mole, die wurde erst 1948 fertig. Auch danach war ein großer Teil des heutigen Hafens noch Strand – der Strand, an dem Antoni Flaquer als Kind den Sommer verbrachte. „Wenn kleinere Boote repariert werden mussten oder bei schlechterem Wetter nachts nicht im Wasser bleiben sollten, wurden sie auf den Strand gezogen“, erinnert er sich. Allerdings gab es dort nicht für alle Platz. Wer zuerst kam, hatte Glück. Der Strand, das war auch der Mittelpunkt des Ortsgeschehens. Leonor Servera, die Frau des Schmugglers und Financiers Juan March veranstaltete hier Stierkämpfe und Feste, bei denen es Essen für das ganze Dorf gab. Servera stammte selbst aus Capdepera und blieb der Gegend ihr Leben lang treu.

Reichlich Thunfisch vor Cala Ratjada

An diesem Strand boten die Fischer auch ihre Thunfische feil, die damals noch reichlich vor Cala Ratjada schwammen. Verkäuferinnen nahmen einen Teil davon mit und zogen mit einem Wagen voller frischem Fisch durch Cala Ratjada und Capdepera. „Die Fischer haben so viel gefangen, dass die Frauen die Ware oft nicht loswurden“, sagt Flaquer. Was sie nicht verkauft bekamen, legten sie in Salz ein, um im Laufe des Jahres davon zu essen.

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Frühlingsgefühle an der Promenade von Cala Ratjada Nele Bendgens

Warum er hier nie weggezogen ist, wo sich der Ort doch so gewandelt habe? „Hier habe ich meine Frau kennengelernt“, antwortet Flaquer. Die Liebe zu seinem Ort drückt er nicht in Worten aus, sondern lebt sie Tag für Tag. Bis heute geht der 82-Jährige jeden Morgen durch die Straßen und trinkt einen Kaffee in der immer gleichen Bar. Mit Blick auf den Hafen, dem Strand seiner Kindheit.

Cala Ratjada in Bildern

Der Fotoband „La meva Cala Rajada“ (Mein Cala Ratjada) von Antoni Flaquer ist 2022 bei Documenta Balear erschienen.

Seitenzahl: 198 Seiten

Sprache: Katalanisch

Preis: 26 Euro

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