Mallorca Zeitung

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Mit einer Ausbildung zu Bleiberecht und Job auf Mallorca

Seit gut einem Jahr können irreguläre Einwanderer in Spanien eine Ausbildung absolvieren, um an ihre Papiere zu kommen und den Mangel an Fachkräften zu lindern. Wie holprig der Weg dorthin ist, zeigt ein Besuch in der Stiftung Patronat Obrer

In Stufe eins des Programms „T’acompanyo?“ geht es vor allem um Sprachkenntnisse. | FOTO: NELE BENDGENS

Abdul möchte gerne als Fischer arbeiten, so wie früher im Senegal. Der Weg dorthin ist aber noch weit. Gerade sitzt der 36-Jährige in einem Kurs der Stiftung Patronat Obrer in Palma, vor sich ein Blatt mit Abbildungen, die auf Spanisch beschriftet werden müssen – nichts geht schließlich ohne gute Sprachkenntnisse. Sich auf Spanisch unterhalten klappt gut, aber „ich brauche mehr Sicherheit beim Lesen“, meint Abdul. Am Tag darauf wird er ein Vorstellungsgespräch für einen Kurs über Sicherheitsvorkehrungen beim Fischfang haben, eine weitere Voraussetzung für seinen Berufswunsch.

Seit inzwischen sechs Jahren ist der Senegalese ohne Aufenthaltsgenehmigung in Spanien, schlug sich bislang unter anderem als fliegender Händler durch, setzt jetzt aber alles auf das Projekt „T’acompanyo?“ – in etwa: „Soll ich dich begleiten?“ Die Stiftung Patronat Obrer nimmt den Titel des im März dieses Jahres gestarteten Projekts wörtlich und begleitet Menschen ohne Papiere auf einem Weg, der in den legalen Arbeitsmarkt führen soll.

Das ist in Spanien möglich: Seit gut einem Jahr gibt es die rechtliche Figur des arraigo por formación – neben weiteren Voraussetzungen wie einem mindestens zweijährigen Aufenthalt in Spanien müssen die Immigranten eine Ausbildung nachweisen, um so einen legalen Aufenthaltsstatus zu erhalten. Im Gegenzug kann die spanische Regierung auf zusätzliche Fach- und Arbeitskräfte hoffen, die in dem geburtenschwachen Land immer mehr gebraucht werden. Ohnehin schiebt Spanien die allerwenigsten Immigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung wieder ab. Weil sie als billige Arbeitskräfte auf dem Schwarzmarkt nicht auffällig werden, weil sie in andere Länder weiterziehen, vor allem aber, weil viele Herkunftsländer sie sowieso nicht wieder zurücknehmen.

Mohamed (vorne) will später einmal sein eigenes Restaurant eröffnen. | FOTO: NELE BENDGENS

Fördern und Fordern

Die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt hat zugenommen“, sagt Juan Muñoz, Sprecher von Patronat Obrer unter anderem mit Verweis auf die Hoteliers. Die mehr als hundertjährige Stiftung, die sich mit ihren Projekten neben Einwanderern auch an andere Zielgruppen wendet, die durch das soziale Netz fallen, ist einerseits mit möglichen Arbeitgebern und Ausbildern vernetzt, andererseits aber auch mit den Vereinigungen der Immigranten. „Unsere Initiative spricht sich herum, sie kommen dann gleich in großen Gruppen“, sagt Muñoz.

Das Programm „T’acompanyo“, das Patronat Obrer in zwei Stufen anbietet, muss man unterscheiden vom eigentlichen Anerkennungsverfahren durch die Ausländerbehörde – das mit EU-Fonds und vom balearischen Sozialministerium finanzierte Projekt der Stiftung schafft erst einmal die Voraussetzung für das weitere Verfahren und ist denn auch niederschwellig: Die Immigranten ohne Papiere dürfen nicht straffällig geworden sein, müssen einen Pass haben und sich seit mindestens einem Jahr auf den Balearen aufhalten, um das mit 460 Euro im Monat dotierte Stipendium zu erhalten. Der Betrag wird in der Regel auf ein eigens für die Immigranten eingerichtetes Sozialkonto überwiesen, dank einer Kooperation mit der Stiftung La Caixa.

Für Praktika und Ausbildung kooperiert die Stiftung unter anderem mit Hotels. | FOTO: BERNARDO ARZAYUS

Im Gegenzug dürfen sich die Teilnehmer praktisch keine Fehlzeiten erlauben. „Wer drei Tage am Stück ohne ausreichende Begründung nicht kommt, ist raus aus dem Programm“, so Muñoz. Im Halbjahr liegt das erlaubte Limit bei maximal fünf Fehltagen.

Das Lerntempo vieler Schüler sei enorm. Eine zusätzliche Motivation sei, dass Immigranten wieder ihre Familie in ihrer Heimat besuchen und problemlos nach Spanien zurückkehren können, wenn sie denn erst mal Papiere haben. Allerdings mussten die Ausbilder auch feststellen, dass zum Beginn der touristischen Hauptsaison einige von ihnen dann doch Jobs auf dem Schwarzmarkt vorzogen und wieder verschwanden. Wieder andere arbeiteten nachts als fliegende Händler und stünden dann trotzdem morgens zum Kurs auf der Matte.

Beim Legalisierungsverfahren zeige sich dann, dass sich zwar viele Schüler in der Praxis sehr geschickt anstellten, bei den theoretischen Prüfungen aber oft auf Schwierigkeiten stießen. Auch die bürokratischen Hürden im Umgang mit der Ausländerbehörde seien nicht zu unterschätzen. Rund 90 Prozent der Bewerber dürften letztendlich an diesen Problemen scheitern, schätzt Muñoz. Die staatliche Regelung sei sowohl für die Integration als auch für den Arbeitsmarkt wichtig und werde vielen Immigranten neue Wege eröffnen. Die Erfahrungen des ersten Jahres zeigten aber, dass sie praxistauglicher werden muss.

Viele abgelehnte Anträge

Beim spanischen Sozialministerium gingen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres knapp 29.000 Anträge auf arraigo por formación ein, wie die rechtliche Figur im Real Decreto 629/2022 heißt. Mehr als die Hälfte wurde abgelehnt, oftmals wegen Formfehlern. Wird der Antrag angenommen, beginnt für die Immi-granten eine einjährige Phase der „Duldung“ – bei Verlängerung bis zu zwei Jahre –, um die Ausbildung zu absolvieren und ihren erfolgreichen Abschluss bei der Behörde nachzuweisen.

Das Projekt „T’acompanyo?“ legt die Grundlage. Auch Mohamed hat noch einen weiten Weg vor sich, ist aber schon etwas weiter als Abdul. Der 23-Jährige ist in Stufe zwei des Programms, er spricht praktisch fließend Spanisch. Er wolle später mal sein eigenes Geschäft aufmachen, sagt Mohamed, ein Restaurant. Die Kursleiterin von Patronat Obrer erklärt den Schülern gerade die Berufsbezeichnungen spanischer Fachärzte und nebenbei das staatliche Gesundheitssystem, auch Computerkenntnisse stehen auf dem Programm. Während in Stufe eins von „T’acompanyo?“ praktisch alle Schüler aus dem Senegal stammen, sind in Stufe zwei auch andere Nationen vertreten, Einwanderer aus südamerikanischen Ländern etwa.

Flexibler als in Deutschland

In Deutschland wird die Debatte um den Fach- und Arbeitskräftemangel deutlich hitziger geführt als in Spanien. Eine vergleichbare Regelung für Immigranten ohne Papiere existiert nicht, auch wenn es zuletzt eine Reihe von wichtigen Rechtsänderungen gegeben habe, wie Franziska Schreyer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg sagt. „Es ist sehr viel verändert worden.“

Unterscheiden müsse man prinzipiell zwischen zwei Situationen, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Für Menschen ohne jeglichen Aufenthaltsstatus gebe es keinen Weg in den regulären Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik – Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel hin oder her. Legalisierungskampagnen, wie sie Spanien auch in der Vergangenheit mitunter großzügig auflegte, gelten in Deutschland als politisch brisant.

Flüchtlinge dagegen, die einen Asylantrag stellen, könnten trotz eines negativen Bescheids der Behörden über den Status der Duldung teils eine Berufsausbildung absolvieren und langfristig bei Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen durchaus in Deutschland eingebürgert werden, wie Schreyer erklärt. Bei diesem komplexen Verfahren spiele unter anderem eine Rolle, ob die Menschen in der Lage sind, eigenständig für ihren Lebensunterhalt und ihre eigene Wohnung aufzukommen, gute Deutschkenntnisse haben und ihre soziale Integration nachweisen können.

Das ganz frisch vom Bundestag verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz dagegen richtet sich an Menschen, die nach Deutschland kommen wollen. Sie können mittels einer sogenannten Chancenkarte Punkte sammeln –je mehr Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Deutschlandbezug, desto größer ihre Chancen auf eine Aufenthaltserlaubnis.

Darüber hinaus sind aber weitere Neuerungen geplant, speziell auch hinsichtlich der Rechtssicherheit für geduldete Immigranten in Ausbildung, so die Soziologin. Bislang machen regelmäßig Fälle Schlagzeilen, in denen gut integrierte Menschen von ihrem Ausbildungsplatz abgeholt werden, um abgeschoben zu werden – während der Betriebschef nicht weiß, wie er die Lücke in der Belegschaft schließen soll. „Schieben wir die Falschen ab?“, fragte die „Bild“ etwa nach einem Fall in einem Sägewerk in Baden-Württemberg, in dem die Polizei einen Mitarbeiter in Handschellen abführte – er hatte bereits seit sechs Jahren dort gearbeitet. Derart extreme Fälle könnten künftig der Vergangenheit angehören. So plant der deutsche Gesetzgeber, dass „geduldete“ Immigranten in Ausbildung unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis von den deutschen Behörden bekommen können.

Wege in die Legalität in Spanien

In Spanien ist die Legalisierung via Ausbildungsvertrag nur einer von mehreren Wegen zur Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, wobei Immigrantenvereinigungen die langen Bearbeitungszeiten der Ausländerbehörde kritisieren. Es gibt den arraigo social (soziale Verwurzelung, Antrag nach drei Jahren Aufenthalt möglich), den arraigo familiar (Familie, Ehe) oder den arraigo laboral (Arbeitsvertrag, Antrag nach zwei Jahren möglich). Das neu hinzugekommene Legalisierungsverfahren via Ausbildung ist eine Initiative der spanischen Linksregierung – ob sie weiter an der Macht bleibt, muss sich in den Koalitionsverhandlungen zeigen. Die seit einem Jahr bestehende Regelung ist in der öffentlichen Debatte bislang kaum ein Thema und deswegen auch gerade bei Ausbildern noch recht unbekannt.

Mehr Raum nehmen dagegen die Forderungen der Rechtspartei Vox ein, Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung endlich abzuschieben. Auf den Balearen sind die Rechtspopulisten per Regierungspakt seit dem Frühjahr an der Macht beteiligt. Konkrete Sorgen, dass Vox bei den Initiativen für Immigranten ohne Papiere in die Parade fahren könnte, macht man sich beim Patronat Obrer bislang nicht – Präsidentin Catalina Serra stellt bei einem Rundgang mit der MZ im Sitz in Palmas Viertel Nou Llevant aber klar, dass man keinen Vertreter der Rechtspartei in die Stiftung einladen werde.

Erfolgsquote macht Mut

In dem Gebäude gegenüber dem Kongresszentrum geht es auch praktisch zu. Es stehen Apparaturen für die Ausbildung zum Elektriker bereit, auch Frisiertische für angehende Friseure oder Schönheitspflegerinnen. Weitere Angebote gibt es für Klempner oder Reinigungskräfte. Auch in diesen Kursen ist der Anteil der Ausländer hoch, sie müssen aber im Gegensatz zum Programm „T’acompanyo?“ über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen. Die Erfolgsquote könne sich angesichts der vielschichtigen sozialen Probleme der Zielgruppe sehen lassen, meint Muñoz: 2022 habe man von 277 Schülerinnen und Schülern 169 in reguläre Arbeitsverhältnisse von mindestens einem Monat gebracht.

Assane möchte gerne Koch werden. Der Senegalese lebt bereits seit 18 Jahren ohne Papiere auf Mallorca. Immigrantenverbände schätzen die Zahl der Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung balearenweit auf 7.000 bis 10.000. Auch Assane kennt den Job des fliegenden Händlers zur Genüge. Viele Jahre arbeitete er zudem schwarz in Mallorcas Landwirtschaft – der 53-Jährige zeigt auf seine Nackenmuskeln, die ihm zu schaffen machten. Jetzt büffelt er in Stufe eins des Programms „T’acompanyo“ mit seinen Landsleuten erst mal Spanisch. Er wisse, dass er noch einen weiten Weg vor sich habe. „Quiero aprender“, sagt er, „ich möchte lernen.“

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