Realitätsfremd und hassschürend: Warum die neue Regierung den Ausländern auf Mallorca große Sorgen bereitet

Der Regierungspakt der neuen Landesregierung thematisiert auch das Thema Einwanderung. Was Immigrantenverbände auf den Balearen jetzt befürchten

Stimmabgabe in Palmas Einwandererviertel Pere Garau im vergangenen Mai. Wird das Miteinander nun schwieriger?  | FOTO: B. RAMON

Stimmabgabe in Palmas Einwandererviertel Pere Garau im vergangenen Mai. Wird das Miteinander nun schwieriger? | FOTO: B. RAMON / Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Frank Feldmeier

Die Maßnahmen, die vielen Ausländern gerade Sorgen bereiten, kommen fast am Ende des Katalogs. Punkt 105 im Regierungspakt von Volkspartei (PP) und Rechtspartei Vox kündigt ein Sofortprogramm gegen „illegale Immigration, Hausbesetzung und wachsende Unsicherheit“ an. Man werde mit den staatlichen Sicherheitskräften zusammenarbeiten, „um Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung auf den Balearen zu identifizieren und diese wie gesetzlich vorgesehen abzuschieben“. Punkt 106 legt fest, dass für alle Subventionen und Hilfen künftig eine Aufenthaltsgenehmigung des Antragstellers verlangt werde.

Die Ankündigungen gehören zu den zahlreichen Beispielen, die zeigen, wie erfolgreich die Partei Vox ihre Ideen im Programm unterbringen konnte, mit dem nun PP-Ministerpräsidentin Marga Prohens vier Jahre regiert. Aber was wird sich in der Praxis für Ausländer ändern, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung auf den Balearen befinden?

Problem Ausländerbehörde

Betroffen sind mehr Menschen, als man zunächst denken könnte – nicht nur Neuankömmlinge, sondern auch viele Immigranten, die sich schon mehrere Jahre auf den Inseln aufhalten, wie Farouk Pino erklärt, Sprecher der Dachorganisation Plataforma por la Inmigración und Vorsitzender der bolivianischen Kulturvereinigung Boges. Etwa 7.000 bis 10.000 Personen auf den Balearen dürften derzeit keine Papiere haben.

Das liege vor allem am Kollaps der Ausländerbehörde. Es sei extrem schwierig, einen Termin zu erhalten, Verfahren zur Einbürgerung zögen sich über Jahre hin, viele Immigranten lebten in einem legalen Limbus. In den vergangenen Jahren habe man vergeblich in Gesprächen mit den Behörden auf die Probleme verwiesen – weder habe sich die Technik verbessert, noch sei das Personal in dem von der Zentralregierung abhängigen Amt aufgestockt worden. Darüber hinaus gebe es aber auch Probleme in vielen Rathäusern, kritisiert Pino. Gerade außerhalb Palmas werde Einwanderern ohne Papiere zum Teil die Anmeldung (empadronamiento) verweigert, was den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis erschwere.

Überhaupt nicht zuständig

Schlimmer als jetzt kann es sowieso nicht werden“, meint Juan Pablo Blanco, Chefredakteur der Zeitung „Baleares Sin Fronteres“ (Grenzenlose Balearen). Die Ankündigungen hält er für Propaganda, die in der Praxis nichts änderten, im öffentlichen Diskurs aber Hass und Vorurteile schürten. Er kenne keine Ausschreibung von Hilfen oder Subventionen, bei denen Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung berücksichtigt würden. Geholfen werde ihnen vielmehr von karitativen Organisationen wie dem Roten Kreuz, meist durch Essens- oder Sachspenden. Die Ankündigung suggeriere also Zahlungen an Immigranten, die es in der Praxis sowieso nicht gebe, und bestärke damit nur das Bild vom Sozialschmarotzer.

Dass der Umgang mit Immigranten ohne Papiere im Programm einer Regionalregierung auftaucht, ist an sich schon erklärungsbedürftig. Einwanderungsfragen sind eine klare Zuständigkeit der Zentralregierung, konkret auf den Balearen von deren Vertretung. Diese ist vom jetzigen Machtwechsel auf den Inseln unberührt, entschieden wird über sie vielmehr bei den Spanien-Wahlen am 23 Juli. Der Madrider Außenstelle unterstehen Nationalpolizei und Guardia Civil, und ihr unterliegt es, über die Einleitung von Abschiebeverfahren zu entscheiden – nicht nach parteipolitischem Gutdünken, sondern auf der Basis spanischer Gesetze, und nur dann mit Aussicht auf Erfolg, wenn ein Rücknahmeabkommen mit dem Herkunftsland besteht. Die von Vox ins Programm beförderte Absichtserklärung dürfte also in der Praxis nichts ändern.

Hass-Propaganda

Cheikh Ngalgou macht sich weniger über konkrete Folgen als über das allgemeine gesellschaftliche Klima Sorgen. „Solche politischen Aussagen haben mit der Realität nichts zu tun und schüren nur den Hass“, sagt der Vorsitzende der Vereinigung der senegalischen Immigranten auf den Balearen. Ngalgou berichtet von Unternehmern, die beständig billige Arbeitskräfte für die Landwirtschaft anfragten. Während Vox Einwanderer als Bedrohung und Gefahr hinstelle, würden sie dringend auf dem Arbeitsmarkt gebraucht.

Der Senegalese verweist zudem darauf, dass sich beim Thema Papiere durchaus etwas getan habe. Seit 2022 können Antragsteller in Spanien nicht mehr nur arraigo social (soziale Verwurzelung), arraigo familiar (Familie) oder arraigo laboral (Arbeitsvertrag) für einen Antrag zur Aufenthaltsgenehmigung anführen, sondern auch einen Ausbildungsvertrag vorlegen (arraigo por formación). Voraussetzung für einen solchen Antrag ist eine Mindestaufenthaltsdauer in Spanien von zwei Jahren, es dürfen auch keine Vorstrafen vorliegen, weder im Herkunftsland noch in Spanien. Diese Chance hätten nun viele seiner Landsleute ergriffen, berichtet Ngalgou.

Die Sache mit der Gesundheitskarte

Keine Erwähnung findet im Programm der neuen Balearen-Regierung der Umgang mit der staatlichen Gesundheitskarte. Bis 2015 hatten Immigranten ohne Papiere auf den Balearen keinen Anspruch auf sie, und der Tod eines an Tuberkulose erkrankten Einwanderers, der nicht behandelt worden war, löste 2013 einen Skandal aus. Unter der Armengol-Regierung wurde die Gesundheitskarte vor acht Jahren dann wieder an alle ausgegeben.

Man müsse abwarten, inwieweit Wahlkampfsprüche Eingang in die Politik fänden und inwieweit sich die PP vor den Karren der Rechtspopulisten spannen lasse, meint Mustafa Boulharrak, Sprecher der marokkanischen Vereinigung Al Magreb. Er spüre zwar Besorgnis unter seinen Landsleuten, gerade gegen Muslime habe Vox in den vergangenen Jahren Vorurteile geschürt. Aber der Umgang mit Einwanderern hänge nicht nur von der politischen Couleur der Landesregierung ab. Er vertraue auf die staatlichen Normen und die Zivilgesellschaft, so Boulharrak. Diese werde nicht so einfach zulassen, dass Freiheitsrechte von Minderheiten eingeschränkt würden.

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