Mallorca Zeitung

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Die Vermessung von Mallorca: Was drei historische Karten über die Insel erzählen

Im Laufe des 18. Jahrhunderts entstanden drei großformatige „mapes murals“, die zum Teil weiterhin Rätsel aufgeben. Ein mallorquinisch-deutsches Projekt geht ihnen auf den Grund

Die 1785 veröffentlichte Karte von Kardinal Despuig enthält mehr als 2.500 Ortsbezeichnungen. Els Mapes murals de Mallorca/Edicions UIB

220 Jahre bevor Google Maps den ersten Zoom auf Mallorca ermöglichen sollte, veröffentlichte Antoni Despuig i Dameto eine Karte, die noch heute das allseits genutzte Tool des Technologiereisen aussticht – hinsichtlich der Ästhetik, aber auch hinsichtlich des Informationsreichtums. 2.585 Ortsbezeichnungen finden auf der Karte des Kardinals und Kunstliebhabers Platz, von Buchten, Häfen und Inselchen über Sturzbäche und Quellen bis hin zu Ortschaften, Weilern, Gutshöfen, Kirchen und strategischen Orten aller Art.

Das außerordentlich exakte Werk ist im Original 122,5 Zentimeter hoch und 161 Zentimeter breit – man könnte sicher stundenlang davorstehen oder sich darüberbeugen und es studieren.

Die Despuig-Karte von 1785 ist die bekannteste von drei mapes murals de Mallorca, die jetzt ein gleichnamiges Buch vorstellt, analysiert und vergleicht. „Ich würde den Titel des Werkes nicht übersetzen“, empfiehlt Werner Francisco Bär, der zusammen mit Vicenç M. Rosselló i Verger hinter der deutsch-mallorquinischen Kooperation steht. Denn den deutschen Begriff „Wandkarte“ könne man trotz des dazu passenden Formats oder Maßstabs des Werks von Despuig leicht missverstehen. „Ihrer Feinheit nach handelt es sich bei dem hier angewandten Kupferstich eher um eine Arbeit, die aus der Nähe zu betrachten ist und demzufolge eher einer Handkarte entspricht.“

Die 1785 veröffentlichte Karte von Kardinal Despuig enthält mehr als 2.500 Ortsbezeichnungen. Els Mapes murals de Mallorca/Edicions UIB

Kupferstich, Zeichnung, Gemälde

Auch die anderen beiden Karten sind wahre Schätze, einerseits eine im Museum in Lluc aufbewahrte, in Sepia angefertigte und bislang nur in zwei Publikationen abgebildete Federzeichnung von Juan Antonio Landaeta von 1736, andererseits ein „unseres Wissens vollkommen unbekanntes“ Insel-Gemälde aus der Zeit um 1800, das zu einer Privatsammlung gehört und dessen Urheber anonym ist.

Die beiden pensionierten Karten-Experten erweisen mit ihrem Buch der kartografischen Geschichte Mallorcas eine Hommage. Es ist die „Frucht einer langen Freundschaft“ zwischen einem mehrfach ausgezeichneten mallorquinischen Geografen, der an der Universität Valencia lehrte, sowie einem deutschen Ingenieur und Geografen, der an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main promovierte und Kartografie lehrte, 28 Jahre der Sektion Hessen der Deutschen Gesellschaft für Kartographie vorsaß und heute deren Ehrenvorsitzender ist.

Bärs Biografie ist ebenfalls eng mit der Insel verknüpft: Der Sohn einer Mallorquinerin und eines Deutschen ging hier einst zur Schule, studierte in Berlin und Frankfurt am Main, heiratete 1974 eine Mallorquinerin und kam unter anderem im Rahmen eines Projekts zur Kartierung des Gebiets um Lluc 1984 wieder auf die Insel. Bereits in der Studienzeit lernte er seinen Gleichgesinnten Rosselló i Verger kennen, beide erforschten sie historische Karten.

Die Faszination für die Insel-Karten ist nachvollziehbar, Mallorca hatte sich früh einen Namen in der Kartografie gemacht. Der Ruhm geht auf den Katalanischen Weltatlas zurück, einen sogenannten Portolan-Atlas von 1375 aus der Kartenwerkstatt von Abraham und Jafudà Cresques, der die damals bekannte Welt vom Atlantik bis nach China darstellte. Mallorca wurde ab Ende des 15. Jahrhunderts als wichtiger Stützpunkt im Mittelmeer immer wieder in Isolarien – einem Genre von Inselbüchern – und Handbüchern für Seeleute abgebildet.

Immer bessere Vermessung

Ab dem 17. Jahrhundert entwickelte sich dann allmählich eine eigene Landkarten-Kartografie auf der Insel, die durch genauere Messungen im Gelände möglich wurde. Dabei ging es nicht zuletzt um die Veranschaulichung von Defensivbauten zur Abwehr von Piraten. Bekannte Namen dieser Zeit sind vor allem Joan Binimelis und Vicenç Mut, ihres Zeichens Chronisten des Königreichs Mallorca – auch mit deren Werk haben sich die beiden Autoren bereits intensiv auseinandergesetzt.

mapasVergleich der Küstenlinien: Despuig (blau), Landaeta (rot), heutige Karte (schwarz). Grafiken: Els Mapes murals de Mallorca

Mit Despuig wurde schließlich eine Exaktheit erreicht, die den heutigen Techniken ziemlich nahekommt. Bär und Rosselló i Verger legen für einen Vergleich die Küstenlinien der historischen Karten über deren heutigen Darstellung (siehe Grafiken). Bei Despuig halten sich die Abweichungen in Grenzen. Auch etwa die Sturzbäche sind bereits sehr genau eingezeichnet, was für die Qualität der damaligen Messgeräte und die exakte Messmethode spricht, wie Bär erklärt. Er verweist zudem darauf, dass erstmalig ein genaues geografisches Netz mit Bezug auf die Nullmeridiane von Paris und Ferro – gemeint ist die kanarische Insel – zum Einsatz gekommen sei.

Ausschnitt aus der in Sepia angefertigten Federzeichnung von Juan Antonio Landaeta aus dem Jahr 1736. Els Mapes murals de Mallorca/Edicions UIB

Die Landaeta-Karte, die rund 50 Jahre früher entstand, ist noch deutlich weniger exakt, hinsichtlich der Küstenlinie, aber auch bei der Verortung von Städten und Dörfern. Das zeigt sich vor allem bei der Überlagerung der Karte mit einem angepassten gedachten Gradnetz – es ist deutlich verzerrt. Vor allem sticht auf der Karte die für die damalige Zeit typische, besonders plastische Herausarbeitung der Berglandschaften heraus. Trotz feingliedriger Federzeichnung sind allerdings nur 284 Ortsbezeichnungen eingetragen.

Diese Karte ist eigentlich ein Gemälde. Sie entstand gegen 1800, der Autor ist unbekannt. Els Mapes murals de Mallorca/Edicions UIB

Die dritte Karte zeigt ähnliche Qualitäten wie die von Despuig, die Küstenlinien sind nahezu identisch. Die Autoren gehen davon aus, dass es eine Kopie sein dürfte. Dass in dem anonymen Werk rund hundert Ortsnamen weniger eingetragen sind als bei Despuig, dürfte seinen Grund in der Handwerkstechnik haben: Ein Ölgemälde ist gröber als ein Kupferstich, für die Darstellung der Objekte und Namen wird mehr Platz gebraucht. Sämtliche Ortsbezeichnungen und ihre unterschiedlichen Schreibweisen sind dann am Ende des Buches in mehreren Tabellen gegenübergestellt.

Felder und Wege

Auch wenn das Werk die Karten nur verkleinert oder in Ausschnitten darstellen kann, beeindrucken deren Details, auch die Kombination von Wissenschaft und Kunstfertigkeit, zumal es die drei Urheber nicht bei der Darstellung der Karte Mallorcas beließen, sondern den umliegenden Platz reichlich illustriert haben. Bei Landaeta nimmt die Insel gar nur ein Drittel der Fläche ein, drum herum barocke Zeichnungen sowie eine Silhouette und ein Grundriss der Stadt Palma. In den im Buch gezeigten Ausschnitten der Karten sind stilisierte Kornfelder, Olivenhaine, Weinanbau oder Wälder zu erkennen. Grafiken vergleichen die jeweils verorteten Sturzbäche, Gemeindegrenzen oder Verkehrswege. Auch für Leser ohne Katalanisch-Kenntnisse ist das großformatige Buch „Els mapes murals de Mallorca“ aufschlussreich und in jedem Fall ein optischer Genuss.

Der Zahn der Zeit

Erahnen lässt sich aber auch, dass die Originale nicht mehr im besten Zustand sind. Bei den Despuig-Karten handelt es sich in der Regel um Drucke auf Papier. „Wenn sie an der Wand hängen und womöglich einer starken Lichteinwirkung unterliegen, ist eine zunehmende Vergilbung und damit ihr Zerfall programmiert“, warnt Bär. Exemplare unterschiedlicher Editionen sind in öffentlichen Gebäuden auf Mallorca, aber auch in Privathäusern zu bewundern, andere dagegen liegen in Archiven gut geschützt in Mappen.

Die Landaeta-Karte, die aus insgesamt neun Sektionen besteht, wird dagegen in einer Schatulle aufbewahrt. „Ihre Ränder, vor allem der südliche Rahmen, sind schon weitgehend zerfressen, die Textur des Basisstoffes schaut an vielen Stellen hervor, sodass die jeweiligen dort vorkommenden Legenden kaum noch zu entziffern sind: ein trauriges Bild“, urteilt der 88-jährige Experte. „An eine Restauration scheint nicht gedacht zu sein.“

Die anonyme Karte wiederum ist in einem Holzrahmen gefasst. Mehrere andersfarbige Flecken auf dem Bild lassen auf Restaurierungsversuche hindeuten, der Erhaltungszustand sei mittelmäßig. „Vielleicht fühlen sich die Eigentümer aufgrund unserer im Buch ausgesprochenen Kritik genötigt, eine Restaurierung vorzunehmen“, so Bär, „es wäre wünschenswert.“

Rätsel um die Autoren

Auch wenn im Fall von zwei der drei Karten die Autoren klar sind, bleiben Fragen offen. So ist zwar Despuig eine bekannte historische Persönlichkeit – das Landgut des Kardinals, Raixa bei Bunyola, kann besichtigt werden, Teile seiner Kunstsammlung sind im Castell Bellver ausgestellt –, doch über seine Mitarbeiter bei dem Projekt ist wenig bekannt. „Es ist klar, dass mehrere Autoren beteiligt waren, auch wenn sie alle hinter der Figur des Auftraggebers verborgen bleiben“, heißt es in einem Aufsatz von Climent Picornell, Joana M. Seguí und Antoni Ginard. „Der einzige Autor, der ausdrücklich genannt wird, ist der Kupferdrucker Josep Muntaner i Moner.“

Landaeta wiederum gibt eine ganze Reihe von Rätseln auf. Geburtsort und -datum sind unbekannt, sein Name deutet auf eine baskische Herkunft hin. Bekannt ist, dass der Militärangehörige auch Karten von Festunganlagen auf dem Festland anfertigte. Aber was verschlug ihn letztendlich nach Mallorca, wo er im hohen Alter die Insel-Karte anging? Im Fall des dritten Werks, des Gemäldes, gibt es keinerlei Gewissheit über den Autoren.

Weitere Erkenntnisse rund um das Thema sind nicht ausgeschlossen, zum Beispiel könnten infolge der Publikation noch bislang unbekannte Kartenbilder zum Vorschein kommen. Viele Kartenschätze befinden sich in Spanien heute in privater Hand. Rosselló i Verger verweist beispielsweise auf eine mögliche Vorlage des Chronisten Binimelis für die drei im Buch vorgestellten Karten, die sich weder bestätigen, noch ausschließen lasse.

Bär beschäftigt sich jetzt wieder mit seiner deutschen Heimat, nachdem ihn Corona-Zeit und Mallorca-Buch davon abgehalten haben. „Ich möchte mich endlich meiner jetzt laufenden Arbeit über die historische Kartografie von Oberursel einschließlich des Vortaunusraumes durchgehend widmen können.“

Els mapes murals de Mallorca de Landaeta, del Canonge Despuig i un anònim

  • Werner Francisco Bär, Vicenç M. Rosselló i Verger
  • Edicions UIB
  • 200 Seiten
  • Katalanisch
  • 50 Euro

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