Mallorca Zeitung

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Diese Frau starb 1973 auf Mallorca – da war vielen Leuten klar, dass Palma nicht mehr dieselbe Stadt wie vorher war

Bel Rollet ist ein Mythos auf Mallorca. Eine Büglerin, die nach einer Krankheit geistig ein Kind blieb. Und die machte, was sie wollte

Bel Rollet im Carrer Constitució im Jahr 1965. Torrelló

Das erste Mal, dass Bel Rollet in der Zeitung erwähnt wurde, war am Tag nach ihrem Tod. „Na Bel ha muerto“, schrieb das „Diario de Mallorca“ am 8. Juli 1973 als Schlagzeile über eine kleine Meldung. Man erfuhr darin, dass „die in der Stadt sehr bekannte“ Isabel Bauzá Tomás – so ihr bürgerlicher Name – einige Tage zuvor auf der Schnellstraße vor der Kathedrale überfahren worden und nun im Krankenhaus Son Dureta verstorben war.

Es hätte leicht bei dieser kleinen Notiz bleiben können, und wahrscheinlich würde man heute ihren Namen nicht mehr kennen. Doch in den Tagen darauf wurden Kolumnen und Leserbriefe abgedruckt. Denn die Formulierung „in der Stadt sehr bekannt“ traf die Figur Bel Rollet nur unzureichend. Bel Rollet war auch sehr beliebt. Weil sie anders war als die anderen. Und weil ihr Tod schon damals, im Jahr 1973 – Jahrzehnte vor Airbnb, Louis Vuitton am Born und Latte macchiato für 4,50 Euro – bei den Bürgern der Stadt das Gefühl auslöste, dass mit ihr ein Teil Palmas gestorben war, der nicht mehr wiederkommen würde. „Einer unserer letzten volkstümlichen Persönlichkeiten“, schrieb der Kolumnist Luis Ripoll.

Tochter einer Bäckerfamilie

Und so bildete sich nach und nach das Bild von „Na Bel“, das wir heute kennen. Geboren wurde sie am 13. August 1910. Ihre Familie betrieb im Stadtteil El Terreno eine Bäckerei. Rollet war der Spitzname für die Familie. Jede auf der Insel hatte damals einen. Als Kind sei Bel durch ihre Intelligenz aufgefallen, erzählte ein Zeitzeuge in einem Leserbrief. Sie habe eine unglaubliche Gabe für die Mathematik gehabt und habe in Windeseile die zu zahlende Summe für die Kunden in der Bäckerei ausgerechnet. Auch eine exzellente Schwimmerin soll sie gewesen sein.

Doch dann, im Alter von sechs oder sieben Jahren, erkrankte sie an einer Hirnhautentzündung, von der sie sich nie erholen würde. Ihr Verstand blieb auf dem Niveau eines Kindes. Und Bel Rollet wurde zu einer Persönlichkeit, „mit der jeder in Palma mal zu tun hatte“, wie gern geschrieben wurde.

Unzählige Anekdoten

„Es gibt unzählige Anekdoten von ihr“, sagt Joan Riera, ehemaliger Vize-Chef des „Diario de Mallorca“, der viel über die Geschichte seiner Stadt geschrieben hat. „Sie soll gern mit der Straßenbahn gefahren sein. Ein Ticket hat sie nie bezahlt. Stattdessen sprang sie während der Fahrt auf die Tram auf oder wieder ab. Sie ging auch gern in eine Bäckerei, schnappte sich eine Ensaimada und verputzte sie ohne zu zahlen. „Manchmal ging sie auch in ein Café und nahm sich das Glas eines Gastes vom Tisch, um es auszutrinken.

Passiert sei ihr deswegen nie etwas. „Palma war zu jener Zeit sehr provinziell. Jeder kannte jeden. Und so wusste man auch, wie Bel Rollet tickt“, so Riera. Ein häufig wiederholter Satz über Rollet, die als Büglerin arbeitete, lautete: „Sie ging überall dahin, wohin sie gerade Lust hatte – ob es eine Party oder eine Beerdigung war.“

Eine städtische Fauna

Ihr Name wird immer in Zusammenhang mit anderen skurrilen Persönlichkeiten genannt. Nicolau „Marieta“ etwa, einem Transvestiten der wegen seiner sexuellen Neigung in der Diktatur größere Probleme bekam als Bel Rollet für ihren Schabernack. Oder Alfons „el Loter“, ein Lotterieverkäufer, über den sogar ein Lied geschrieben wurde. Es gibt viele weitere. „Eine städtische Fauna, von der es keinen qualifizierten Repräsentanten mehr gibt“, erklärt Luis Ripoll in einer Kolumne über das Ende einer Ära.

Dass wir wissen, wie sie aussah, verdanken wir Torrelló, dem legendären Fotografen des „Diario de Mallorca“. Er lichtete sie 1965 im Carrer Constitució ab. An jenem Tag hatte man den Stand einer Kampagne gegen den Krebs aufgestellt. Rollet war hingegangen, hatte sich eine Spendendose geschnappt und sich dann mitten auf die Straße gestellt, um Geld von den Autofahrern zu sammeln. Einfach so, weil sie Lust dazu hatte.

Ein Riesenkopf von Bel Rollet

Heute erinnert vor allem eines an Bel Rollet: Im Jahr 2020 ließ die Bürgervereinigung Orgull Llonguet einen caparrot, einen traditionellen Riesenkopf aus Pappmaché, mit dem Konterfei von Bel Rollet bauen. „Wir suchten damals nach einer Frau, die Palma in gewisser Weise geprägt hat“, erzählt Laura Velilla, die Sekretärin der Gruppierung. „Dort sind wir auf Bel Rollet gestoßen, die die wenigsten von uns kannten.“

Der Riesenkopf von Bel Rollet (re.). Pere Joan Oliver

Der caparrot wurde bei den Sant-Sebastià-Feierlichkeiten erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Riesenkopf halte ihr Andenken wach, sagt Velilla, „er sorgt dafür, dass nun viele andere von ihrer Geschichte erfahren.“

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