Er ist etwas zerkratzt, und ein wenig schmucker Aufkleber prangt auf einer der Schubladen. Doch wer den soliden Massivholzschreibtisch näher betrachtet, kann erkennen, dass das Stück durchaus hochwertig verarbeitet ist. „30 Euro nehme ich dafür, wer gut verhandelt, zahlt sogar noch weniger", sagt Miriam Jaime. Seit knapp sechs Jahren betreibt sie den Reuse Store in Son Servera, einen Mix aus Trödelladen und Antiquitätengeschäft. „In dieser relativ kurzen Zeit konnte ich einen wahrhaften Mentalitätswandel der Bevölkerung miterleben. Früher war es vor allem vielen Spaniern und Mallorquinern peinlich, etwas zu kaufen, das nicht neu ist. Mittlerweile gibt es einen Trend hin zum Secondhandkauf."

Mit ihrer Einschätzung ist Jaime nicht allein. Spanienweit verzeichnen Betreiber von Gebrauchtwarenartikeln eine höhere Nachfrage, auch die auf segunda mano spezialisierte Sozialstiftung Deixalles kann den Ansturm, der vor einigen Jahren einsetzte, bestätigen. „Auf Mallorca waren es ausländische Käufer, die diesen Trend vorangetrieben haben", glaubt Miriam Jaime. In Deutschland und Skandinavien sei die Recycling-Philosophie viel weiter fortgeschritten, „und ich habe häufig mallorquinische Kunden erlebt, die sich zunächst über die Ausländer wunderten, sich dann aber ein Beispiel an ihnen nahmen und mittlerweile regelmäßig bei mir kaufen."

Nicht immer stecke dahinter eine Weltanschauung. „Einigen geht es darum, ihr Heim möglichst persönlich mit ausgefallenen Unikaten zu gestalten. Sie sind bereit, für etwas besonders Schönes auch mehr auszugeben. Andere suchen nach Möglichkeiten, um etwa ihre Ferienwohnung kostengünstig einzurichten und schauen eher auf Funktionalität und Preis." Auch deshalb ist das Angebot im Reuse Store in Son Servera breit gefächert. Von Trocknern und anderen Haushaltsgeräten über Geschirr bis hin zu Dekofiguren und Leuchten ist hier alles vorhanden. Sogar ein ganzes Regal mit deutschen Büchern gibt es hier. Dazwischen finden sich aber immer auch wieder Möbelstücke mit antiquarischem Wert. So wie eine großflächige Anrichte mit Spiegel und aufwendigen Verzierungen, die für 299 Euro zu haben ist. Oder das riesige Meisterwerk von Schrank, das übersät ist mit Schnitzereien und aus einer Anwaltskanzlei in Palma stammt.

„Ich sehe die Trödelmärkte der Insel nicht als Konkurrenz", sagt Jaime. „Dort geht es um Schnäppchen, bei denen man schnell zuschlagen muss. Ich will dagegen einen persönlichen Service bieten. Die Leute sollen sich bei mir fühlen wie im Corte Inglés, nur dass die Ware gebraucht ist." Dabei gehe es nicht nur um Beratung und die Hilfe beim Auftreiben gezielter Stücke, sondern auch ums Restaurieren. Wer sich für einen verwohnten Artikel wie den Massivholzschreibtisch entscheidet, kann ihn entweder selbst zu Hause aufmotzen - „vor allem viele ausländische Residenten haben dazu Lust" - oder auf Jaimes Expertise setzen und bei ihr gegen Aufpreis in Auftrag geben, wie sie das gute Stück gern hätten. „Das mag ich am liebsten an meiner Arbeit. Alte Stücke so herzurichten, dass sie wieder in neuem Glanz erstrahlen."

Schon immer hatte die Argentinierin, die seit 22 Jahren auf Mallorca lebt, ein Faible fürs Restaurieren. Auch ihre Tochter Daniela, die im Reuse Store mitarbeitet, übernahm die Leidenschaft. „Dingen ein zweites Leben einzuhauchen, ist toll", sagt sie. Erst recht, wenn man miterlebe, wo die Ware herkommt und wie sie anschließend verwendet wird. Anfangs erwarben Mutter und Tochter die Ware vor allem über Immobilienagenturen, die sich freuten, das Mobiliar bei Wohnungsauflösungen loszuwerden. Mittlerweile sind es auch viele Privatleute, die dem Reuse Store ausrangierte Gegenstände anbieten. „Vieles geht über Spenden, bei sehr hochwertigen oder besonderen Stücken zahlen wir auch dafür", so Jaime. Nicht selten habe sie bei Wohnungsauflösungen auch Tränen miterlebt. „Der Job ist emotionaler, als man denken mag." Wegschmeißen ist in der Regel keine Option. „Was sich gar nicht verkaufen lässt, spenden wir regelmäßig an eine Vereinigung, die die Ware in afrikanische Länder bringt."

Dass Corona den Trend zur Nachhaltigkeit und Wiederverwertung beflügelt hat, kann Jaime nur bedingt bestätigen. „Es mag sein, dass das Denken dadurch nachhaltiger geworden ist." Doch dadurch, dass viel weniger ausländische Teilzeitresidenten auf der Insel sind und die Einheimischen oft gar nicht mehr investieren wollen, sei die wirtschaftliche Lage schwierig. „Wie die meisten können wir nur hoffen, dass die Pandemie bald vorüber ist."

www.reusestore.es