Ihm konnte Anfang des 20. Jahrhunderts in Sachen Dichtkunst kaum einer in Spanien oder Lateinamerika das Wasser reichen: Mit seinem manierierten Stil prägte Rubén Darío nicht nur die Literatur seiner Zeit, sondern ganze Generationen von Liebesbriefe-Schreibern und zum Auswendiglernen seiner Gedichte genötigte Schüler.

Es war Anfang 1906, als dieser Dichterfürst zum ersten Mal von Barcelona aus auf einem Dampfschiff nach Mallorca kam. Seit dem Erscheinen seines Hauptwerkes „Azul" war er ein berühmter Mann. Gesundheitlich aber war es nicht gut um ihn bestellt. Mit noch nicht einmal 40 Jahren war der Dichter, der auch als Journalist und Diplomat wirkte, körperlich ein Wrack. Wegen seines übermäßigen Alkoholgenusses litt er an einer Leber-Zirrhose. Außerdem war er, obwohl mit einer Frau verbandelt, einem weiteren Laster zugetan: Er verkehrte gern in Bordellen.

Auf dass er wieder auf die Beine und den rechten Pfad komme, hatten ihm Bekannte geraten, doch die Insel zu besuchen. Sie galt damals unter Intellektuellen als eine von Spiritualität durchdrungene Oase für die Sinne. Rubén Darío, der eigentlich Félix Rubén García y Sarmiento hieß, befand sich 1905 und 1906 als Entsandter der Regierung seines mittelamerikanischen Heimatlandes auf einer Reise durch Spanien, wo er 1908 in Ma­drid Botschafter werden sollte.

Bei seinem ersten etwa dreimonatigen Mallorca-Aufenthalt und seiner Rückkehr Anfang 1907 quartierte sich der bekannteste Vertreter der als Modernismo bekannten literarischen Strömung in dem Haus Nummer 8 in der Straße Dos de Mayo in Palmas damals vornehmem Viertel El Terreno ein. Dort veranstaltete er Treffen mit Künstlern. Rubén Darío befreundete sich besonders intensiv mit der Familie Sureda. Auch auf der Insel fühlten sich die Intellektuellen von seinem auf vollkommene Schönheit und Musikalität bedachten Stil angezogen.

„Rubén Darío zerstörte bewusst die Ästhetik des vorausgegangenen Realismus und gewann so vor allem in Spanien viele Anhänger", weiß Juan Carlos González, Professor für Spanische Philologie an der Balearen-Uni. „Juan Ramón Jiménez und Ramón del Valle Inclán, die zur Autoren-Generation von 1927 gehörten, sahen in ihm ein Vorbild."

Umso mehr frustriert es González, dass der weitgereiste Nicaraguaner - Rubén Darío weilte auch in Paris, Buenos Aires, Santiago de Chile oder Havanna - während seiner insgesamt drei Insel-Aufenthalte nichts Umwerfendes zu Papier brachte. 1913 wohnte Rubén Darío wie der Komponist Frédéric Chopin im Jahrhundert zuvor in der Kartause von Valldemossa. Dort schrieb er Gedichte wie „La Cartuja" oder „Estrofas de Mallorca" und „bejammerte in einigen von ihnen seinen bemitleidenswerten Zustand", so González. Bei der Lektüre erkenne man schnell, „dass Darío sich auf Mallorca schon auf dem absteigenden Ast befand". Einiges habe er wohl nicht ganz bei Sinnen verfasst.

Auch ein unvollendeter und in Anspielung auf die leuchtenden Inselfarben „Das Gold Mallorcas" („El oro de Mallorca") genannter Prosa-Band zeuge von diesem Niedergang. „Eine gewisse literarische Qualität ist vorhanden, aber sie ist minimal." Das autobiografisch gehaltene Buch wurde von Ulrich Kunzmann ins Deutsche übersetzt und 1983 in der damaligen DDR von Reclam Leipzig verlegt. Im Web - etwa bei www.booklooker.de - kann es noch günstig erstanden werden. „Von einem literarischen Sprung nach vorn auf Mallorca kann überhaupt nicht die Rede sein", davon ist González überzeugt.

Doch der Nicaraguaner war nun mal ein Literatur-Riese. Und deshalb erinnert ein Denkmal nahe dem Regierungssitz Consolat de la Mar an ihn und deshalb sind anlässlich seines 150. Geburtstags auch auf Mallorca Veranstaltungen geplant. Etwa Literatur-Workshops in der Bibliothek Can Sales in Palma, eine von den dortigen Verantwortlichen zusammengestellte Online-Einführung in das Wirken des Dichters oder eine Podiumsdiskussion mit Experten.

Als Rubén Darío 1913 zum dritten und letzten Mal nach Mallorca kam, sprach er dem Alkohol noch stärker zu als in den Jahren zuvor und litt zudem unter Gedächtnisschwund. Außerdem benahm er sich zunehmend seltsam. Überliefert ist, dass er sich einmal in ein weißes Gewand hüllte und seinen Wagen auf dem Weg von Valldemossa nach Palma anhalten ließ, um auszusteigen und auf Knien

zu beten.

Der Feingeist aus den Tropen wurde seine Gebrechen nicht mehr los. Am 6. Februar 1916 starb er nur 49-jährig an einer Lungenentzündung in Nicaragua, wohin er in Vorahnung seines Todes zurückgekehrt war.