Am Anfang gehen Wikinger mit gezückten Schwertern von Bord des imaginären Kreuzfahrtschiffes „Palma Queen", an Deck posieren Leonardo DiCaprio und Kate Winslet vogelfrei wie im Film „Titanic", ein Indianer pafft eine Friedenspfeife und schaut skeptisch auf das Land, aus dem die Eroberer von einst kamen.

So beginnt der zwölfseitige, ausklappbare Leporello „Palmarama" des Illustrators George Riemann (57). Er hat den Radweg von Porto Pi bis Arenal gezeichnet. „Ein Reiseführer mit Augenzwinkern", sagt er. Gut ein Jahr lang hat der Künstler aus Hamburg von der Idee bis zur Vollendung des bunten Wimmelbildes gearbeitet, um die eigentlich 17,9 Kilometer lange Strecke auf 3,56 gezeichnete Meter humoristisch zu verdichten.

Der Künstler hat sich als badender Hund versteckt

Er selbst unternehme gern Ausflüge mit dem Rad zur Cala Blava, um dort schwimmen zu gehen und habe sich jedes Detail der Strecke mit seinem Tourenrad erstrampelt. „Ein paar Abschnitte habe ich verkürzt, aber die wichtigsten Stati­onen sind alle drauf." Die Kathe­drale und die Gaukler und Händler im Parc de la Mar natürlich, aber auch die Promenade in Ciutat Jardí mit ihren gut ausgerüsteten spanischen Großfamilien am Strand, das Palma Aquarium und natürlich der Mega­park mitsamt beschwipster Urlaubergruppe mit bayerischen Filzhüten. Und stets gibt es auch Fantastisches zu entdecken: Don Quijote zeigt auf die Windmühlen von Santa Catalina, während sich sein Begleiter Sancho Pansa am Kopf kratzt. Durch den Hafen schippert die „African Queen" aus dem gleichnamigen Film von 1951 mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn, „eine der schönsten Liebesgeschichten, die je verfilmt wurden". Der Künstler selbst hat sich als badender Hund bei Cala Gamba gezeichnet, „alle viere von sich streckend und mit dem Bauch aus dem Wasser".

Kurz nach dem Ballermann ist dann in Arenal Schluss. Für den Betrachter besteht der Spaß darin, die kleinen Geschichten zu entdecken, die überall versteckt sind. „Auf jeder der zwölf Seiten kann man zum Beispiel eine blonde Bikini-Frau finden, die ein Selfie macht." Kurz vor Can Pastilla lässt sich anhand von elf Kreaturen die Evolutionsgeschichte nachvollziehen, „vom Fisch bis zum verpeilten Teenager, der aufs Handy starrt".

Ein anspruchsvolles Projekt

Jede Linie habe er fünfmal gezeichnet, angefangen von den ersten Skizzen mit dem Bleistift, dem Durchpausen und der Feinarbeit mit Metallfeder und Tintenfass, mit denen er die endgültigen Linien herausgearbeitet habe. Allein das habe drei Monate in Anspruch genommen. „Täglich zehn bis zwölf Stunden mit der Nase drei Zentimeter über dem Papier, das war körperlich wie psychisch eine Herausforderung." Alles in allem sei das Leporello das anspruchsvollste Projekt seiner bisherigen Berufslaufbahn gewesen. Und die begann eigentlich ganz entspannt in Nordamerika.

„Nach dem Abitur und der Bundeswehr bin ich ein Jahr mit dem Motorrad durch Mexiko gefahren", sagt George Riemann. „Dabei habe ich gemerkt, wie viel Freude es mir macht, Menschen zu beobachten und aus den ­Situationen heraus Skizzen anzufertigen." Der Berufswunsch Illustrator war geboren. Nach der Tour bewarb Riemann sich an Kunsthochschulen in Europa, wurde aber überall abgelehnt. „Freunde haben mich dann auf das Academy of Art College in San Francisco aufmerksam gemacht, dort wurde ich angenommen." Eigentlich wollte er nur ein, zwei Semester überbrücken, studierte dann aber von 1986 bis 1990 und blieb insgesamt 15 Jahre in San Francisco. „Die Mieten waren damals billig, es gab gute Jobs, vor der Haustür stand ein dickes Motorrad, und ich habe geheiratet." Er zeichnete Cartoons - unter anderem für die „Washington Post" und die „New York Times" - und konnte 1995, 1996 und 1997 drei Titelbilder der legendären Zeitschrift „The New Yorker" bestreiten. „Das ist für einen Illustrator so etwas wie eine Oscar-Auszeichnung." 4.000 Dollar gab es damals für eine Titelseite, für Cartoons bekam er natürlich etwas weniger.

Er zeichnet auch Comics

Sein bread and butter job sei indes ein wöchentlicher Comic-Strip für die Anwaltszeitung „The Recorder" gewesen, für die er seit seinen Studienzeiten arbeitete. „Das hat mich mehr als 25 Jahre lang über Wasser gehalten." Mit dem Aufkommen von Silicon Valley verdreifachten sich dann die Mieten in San Francisco, plötzlich galt das Zeichnen mit der Hand als nicht mehr schick. 2001 strich George Riemann nach einem Motorradunfall und dem Aus seiner Ehe die Segel und kehrte nach Hamburg zurück. „Auch hier wollte ich eigentlich nur kurz bleiben, ich liebäugelte mit Barcelona, da die Stadt am Mittelmeer lag."

In Hamburg konnte er als Künstler und Cartoonist Fuß fassen, belieferte den „Stern" mit Karikaturen, begann Ölbilder zu malen „natürlich mit einem satirischen Einschlag", und gab Cartoons als Bücher heraus. 2013 gewann er den Deutschen Karikaturpreis in der Kategorie Jugendpublikumsliebling, 2016 den Publikumspreis.

Mallorca, seine Trauminsel

Mallorca

2017 beschloss er dann, sich einen Traum zu erfüllen. „Ich hatte mich ein paar Jahre zuvor in Mallorca verliebt, Palma gefiel mir sehr gut, die Insel bietet Natur, tolle Wanderwege und natürlich das Meer. Alles genau das, was ich mag." Just zu der Zeit stellte „The Recorder" die Print-Ausgabe und auch den Comic-Strip ein. Da hatte Riemann die Idee, das „Palma­rama" zu zeichnen. Vielleicht habe er den Umfang der Arbeit am Anfang etwas unterschätzt, aber jetzt sei er unheimlich stolz darauf, alles in Eigenregie geschafft zu haben. Und er hofft natürlich, dass sich seine Arbeit auszahlen wird. „Ich kann mir vorstellen, im nächsten Jahr einen Kalender mit den ­Zeichnungen zu verkaufen oder vielleicht Postkarten zu drucken." Doch um die Details kümmere er sich später. Davon habe er ja gerade schon mehr als genug gezeichnet.

Das „Palmarama" gibt George Riemann mit der MZ und dem Diario de Mallorca heraus, und ist ab 9,50 Euro dort erhältlich, wo es auch Zeitungen gibt.