Monatelang hat man im vergangenen Jahr im Mallorca-Dorf Vilafranca über 2020 gesprochen - das Jahr, in dem das Inseldorf 400 Jahre alt wird. Bürger brachten Vorschläge ein, zahlreiche Initiativen wurden angestoßen, um das Jubiläum gebührend zu feiern. Dann kam Corona, und so ziemlich alles musste abgesagt werden. „Wir sind das gewohnt. In der Geschichte des Dorfes hat es von Anfang an mehr Probleme als Hilfen gegeben", sagt Jordi Rosselló. Er ist Kulturdezernent im Rathaus, und man merkt ihm an, wie sehr er im Ort verwurzelt ist. Seine gesamte Familie stamme von hier. „Bis auf eine Großmutter", räumt er ein, sie komme aus dem 15 Kilometer entfernten Lloret de Vistalegre. Macht aber nichts, er trage trotzdem die kollektiven Gene der vilafranquers in sich, beteuert er. Und dazu gehören vor allem Hartnäckigkeit und Starrsinn. „Es ist ein kleines Wunder, dass unser Dorf trotz allem überhaupt zu einer eigenen Gemeinde geworden ist, und wir werden unser Jubiläum feiern - und wenn es erst im kommenden Jahr ist."

Vilafranca, damit verbinden die meisten Menschen heute nicht viel mehr als die plakativen bunten Obst- und Gemüsestände an der Hauptstraße. Der ein oder andere mag zudem über den alljährlichen Melonen-Wettbewerb der dorfeigenen Melonen-Fira schmunzeln. Und Kenner wissen, dass Mallorcas bekanntester Liedermacher Tomeu Penya aus Vilafranca stammt. Doch spätestens, seit 2006 die Schnellstraße von ­Palma nach Manacor in Betrieb ­genommen wurde, die den Verkehr am Dorf vorbei statt mitten hindurch führt, ist es ruhig um Vilafranca geworden. „Wir sind ein bisschen von der Landkarte verschwunden", gibt sogar Jordi Rosselló zu. Dabei hatte der Ort lange um eine gewisse Bedeutung auf der Insel gekämpft.

Es war am 4. Juli 1620, da erhielt der Großgrundbesitzer Pau Sureda, der von seinem herrschaftlichen Landsitz Possessió de Sant Martí aus weite Teile seiner Ländereien von ihm unterstellten Bauern beackern ließ, ein Antwortschreiben der Spanischen Krone. Ja, Sureda dürfe wie erbeten eine Ortschaft inmitten seiner Ländereien erbauen, damit seine Arbeiter näher vor Ort sein können und nicht wie bisher aus den umliegenden Dörfern Petra, Manacor und Felanitx herkommen müssten. Und so entstanden ein paar einfache Hütten mit dicken Steinmauern und kleinen Dachfenstern, dort, wo heute Vilafrancas Plaça Major liegt. Die erste ­- so munkelt man bis heute, obwohl es keine Beweise gibt - war die Caseta de Son Pere Jaume, die immer noch im Ort zu bewundern ist. Zunächst waren es gut 25 Familien, die sich niederließen, um hart zu arbeiten. Doch schnell wuchs die ­Bevölkerung. Für das Jahr 1685 sind rund 500 Einwohner ­dokumentiert. „Der Großgrundbesitzer lockte die Menschen mit Steuerfreiheit gegenüber der Krone und einer ­Befreiung von der Wehrpflicht, wenn sie hierhin zogen", so Jordi ­Rosselló. Daher auch der Name Vilafranca - den in ganz Spanien rund 20 Orte tragen und der „großzügige Stadt" bedeutet.

Schon damals lag Vilafranca übrigens nahe dem Weg von Palma nach Manacor, so ­Rosselló. 1635 wurde eine kleine Kapelle eingeweiht, 1713 musste sie der bis heute bestehenden Santa-Barbara-Kirche weichen. „Von Anfang an waren wir ein Dorn im Auge der Nachbargemeinde Petra", so Rosselló. Immer wieder habe Petras Bürgermeister versucht, doch Steuern einzutreiben, denn viele seiner Bürger siedelten über. „Auch die Kirche war ­gegen uns, im Konvent in Petra sah man es nicht gern, dass unser Gotteshaus wuchs und bedeutender wurde." Bis heute sei die Konkurrenz zwischen beiden Orten spürbar, besonders bei Fußball-Derbys.

Doch die hart arbeitende Dorfbevölkerung ließ sich nicht kleinreden - und ergatterte im Jahr 1813 sogar den unabhängigen Gemeindestatus. „Das war wirklich bedeutsam, vielen anderen Ortschaften auf Mallorca wie Cas Concos oder s'Alqueria Blanca ist das nie gelungen, aber wir haben es mit ein paar Tricks geschafft, die notwendigen 1.000 Einwohner vorzuweisen", berichtet Rosselló verschmitzt, als wäre er selbst dabei gewesen. Spätestens seit Vilafrancas Rathaus im Jahr 1925 den Bereich nördlich der Hauptstraße von der ­Gemeinde Sant Joan abkaufte, lässt sich Vilafranca das ­Gemeinderecht nicht mehr ausreden.

Trotz des Starrsinns: Verschlossen sei man in Vilafranca nicht. „Zumindest nicht, wenn man bedenkt, dass es ein Dorf im Inselinneren ist", so Rosselló. Das läge natürlich an den Touristen, die ab den 1970er-Jahren bei ihrer Fahrt von Palma nach Manacor oder zu den Küstenorten im Inselnorden regelmäßig in Vilafranca haltmachten. „Unsere Hauptstraße war die einzige Verbindung, und die Urlauber kamen in Massen, um mittags hier einen Zwischenstopp einzulegen", erinnert sich Rosselló. „Für viele aus dem Dorf war es das erste Mal, dass sie überhaupt Kontakt zu Reisenden hatten, viele hatten den Ort ihr Leben lang kaum verlassen und merkten nun, dass die Welt viel größer ist, als sie ihnen bisher vorkam. Das hat uns bis heute offener gemacht als Menschen aus anderen Orten abseits der Küste." Auch die Musikszene im Ort flammte damals auf. „Viele junge Männer wie etwa Tomeu Penya, aber auch mein Vater, fuhren abends in Hotels ans Meer, um dort die Gäste zu unterhalten, und gingen am nächsten Morgen wie gewohnt aufs Feld, um Kichererbsen zu ernten."

Während es in den 1980ern viele dann doch eher in florierende Urlaubsorte zog, sei die Nachfrage nach Wohnraum in Vilafranca in den 1990ern wieder gestiegen und bis heute nicht abgebrochen ­- obwohl viele ihrer Arbeit im nahen Manacor oder Felanitx nachgehen. Landwirtschaft betreiben die meisten heute nur noch aus sentimentalen Gründen zum Eigenbedarf, in Andenken an „den Gemüsegarten, den schon der Opa immer gepflegt hat". 3.880 Einwohner zähle man derzeit, zudem ein Landhotel und einen Agroturismo. „Wir haben keine großen Monumente, es ist mehr ein emotionales Kulturerbe, aber es lohnt sich, durch die Straßen zu gehen und die Stimmung zu erleben", wirbt Rosselló. Eine gute Gelegenheit seien die Festes de la Beata (bis zum 2. August), die diesmal nicht mit wilden Partys, sondern kulturellen Vorträgen begangen werden (Infos: www.ajvilafrancadebonany.net).

„Und unser großes Ortsjubiläum holen wir spätestens nächstes Jahr nach", so Rosselló bestimmt. Mit einem Comic für Kinder, szenischen Darstellungen historischer Ereignisse und ganz viel Stolz auf ein Dorf, das sich nie hat unterkriegen lassen.