Aus dem MZ-Archiv: Dieser Artikel erschien erstmals im Oktober 2019

Dass das hier keine typische Baustelle ist, hört man auf Anhieb. Hier, an einer der schärfsten Kurven der Serpentinenstraße Caimari-Lluc, dröhnen weder Presslufthammer noch Baumaschinen. Stattdessen liegt ein „Klong, klong" in der Luft. Miquel Busquets schlägt mit dem Hammer auf den Meißel, Steinsplitter flirren hörbar in alle Richtungen. Unter den Händen des "marger", wie die Erbauer von Mallorcas traditionellen Trockensteinmauern heißen, nimmt der an den oberen Längsseiten abgerundete Quader Form an.

Die 44 Zentimeter breiten Steine werden den obersten Abschluss eines Bauwerks bilden, das ein Meilenstein sein soll. Erstmals hat der Inselrat die margers mit Instandsetzungsarbeiten im Straßenbau beauftragt. Nach starken Regenfällen Ende Januar war die Fahrbahn der Ma-2130, die sich durch die steile Tramuntana-Landschaft in Richtung der Pilgerstätte Lluc schlängelt, auf einer Länge von knapp 20 Metern abgesackt und mit einem Großteil des Hangs sowie der Stützmauer abgerutscht. Einige Tage war die Stelle ganz für den Verkehr gesperrt, dann wurde die Fahrbahn provisorisch hangaufwärts verlegt und zumindest für Pkw und Radfahrer freigegeben.

Diese fahren nun an dem Bauwerk, auf das die margers reichlich stolz sind, ziemlich unbeeindruckt vorbei. Kein Wunder - von der Fahrbahn aus ist praktisch nichts zu sehen von der Wand, die eine Gruppe von einem halben Dutzend Meistern ihres Fachs auf einer Länge von rund 15 Metern hochgezogen hat. Und selbst, wer aussteigt und die Böschung hinunterklettert, kann die Baukunst nur erahnen. „Das ist wie bei der Spitze des Eisbergs, man sieht nur zehn Prozent", erklärt Miquel Estarellas, der ­zusammen mit Kollege Lorenzo Busquets am unteren Ende der Wand letzte Hand anlegt. Die Technik des Trockensteinmauerbaus ist hier nicht nur Schmuck, sondern setzt sich hinter der Fassade fort: Die Vielecke sind die Stirnseiten von zum Teil mehr als zwei Tonnen schweren Blöcken, die seitlich versetzt geschichtet, wie ein gigantisches Puzzle zusammengefügt und ineinander verkeilt sind - ohne Mörtel. „Wenn Sie einen Stein herausziehen, bleibt die Wand weiter stabil", versichern die margers.

Ganz anders als die billigen Werke der Nachahmer, die überall auf der Insel entstünden und auch deutschen Finca-Besitzern als ein Stück authentisches Mallorca untergejubelt würden. „Schauen Sie sich mal die Mauern unten in Selva an. Die sind noch nicht eingeweiht, und die ersten Steine fallen schon ­heraus." Was für Laien echt aussehe, sei nur ­Dekoration, zudem schlecht ausgeführt. So verärgert sind die margers darüber, dass sie nur zu gern dem deutschen Reporter ihre Bautechnik erklären. Im Fall der Mauer an der Lluc-Straße heißt sie cap serrat oder auch encaixalat. Eine Übersetzung ins Spanische findet sich nicht, stattdessen muss Lorenzo seinen Mund öffnen, und seine Kollegen vergleichen die spitzen Formen der Schneidezähne mit den Steinquadern, die passgenau ineinandergefügt werden.

Dabei helfen ein Winkelmesser, ein Hammer zum Anpassen, vor allem aber der erfahrene Blick. Das alles ist jahrhundertealte ­Tradition. Viel Material musste auch nicht angeliefert werden, die meisten Steine stammen aus der eingestürzten Stützmauer. Einziges Zugeständnis an die Modernität: eine Hub­maschine, um die schwersten Brocken an die richtige Stelle zu wuchten.

Auch den Papierkram gab es früher nicht. Dass die margers überhaupt hier bauen, ist ihrem starken Willen, dem Zeitpunkt und bürokratischen Tricks geschuldet. Die Handwerker boten nach dem Hangrutsch öffentlichkeitswirksam ihre Arbeit an. Die Trockensteinmauern waren gerade von der UNESCO zum Welt­erbe erklärt worden war, wie zuvor schon die Tramuntana-Landschaft. Da gerade Wahlen ­anstanden, seien die Politiker leichter zu ­überzeugen gewesen, meinen die margers - und nahmen im Mai ihre Arbeit auf.

„Die Bautechnik ist Welterbe, offiziell gibt es aber keine Planungsrichtlinien, die Architekten und Ingenieure anwenden können", erklärt Iván Sevillano, Baudezernent beim Inselrat. So hoch der kulturelle Stellenwert, so hoch auch die bürokratischen Hürden. Der Trick: Formell ist die entstandene Mauer gar nicht Teil der Straße. Die Fahrbahn verläuft jetzt etwas weiter oben im Hang. Damit die margers in Zukunft aber auch ohne Tricks zum Zuge kommen, solle im Rahmen eines Abkommens mit der Balearen-Universität die normative Lücke geschlossen werden, erklärt Sevillano, ein erstes Treffen habe es bereits gegeben.

Von Architekten und Ingenieuren haben die margers ihre eigene Meinung: „Wenn in einem Projekt kein Beton und Stahl vorkommen, können sie damit wenig anfangen." Als am letzten Donnerstag (19.9.) dann auch die zuständige Ingenieurin des Inselrats vorbeischaut, ist förmlich spürbar, wie zwei Welten aufeinanderprallen. „Wieso haben die Journalisten keine Sicherheitsweste an?", fragt sie spitz.

Man arrangiert sich, man will ja zusammenarbeiten. Als Beispiel für diesen Willen zeigen die Handwerker auf die in die Stützwand eingelassenen Drainage-Anker, horizontale Öffnungen, über die das Hangwasser ablaufen kann. Im Prinzip ist das beim Trockensteinbau kein Thema, es wird ja kein Mörtel verwendet. Aber mit der Drainage ist das Problem für alle sichtbar gelöst. Dass die vorherige Mauer an der Kurve nach über 120 Jahren überhaupt einstürzte, dürfte in erster Linie auf mangelnde Wartung zurückzuführen sein. Ein Baum hatte seine Wurzeln in das Mauerwerk gedrückt und die Steine verschoben. Die heftigen Regenfälle taten dann wohl ein Übriges.

Es gibt eben viel zu erklären über die Handwerkskunst, und die Wand an der Lluc-Straße soll dabei helfen. Ein erstes Ergebnis ist der Zusammenhalt in der Zunft: Die sonst allein auf Fincas werkelnden margers haben sich für das 80.000-Euro-Projekt zusammengetan und ihren Sommer geopfert, um auch in brütender Hitze Steine zu klopfen.

Unsere Familien sind nicht gut auf uns zu sprechen", sagt Busquets. Auch viele Kunden seien sauer, weil sie für den Inselratsauftrag vertröstet wurden. Aber die Wand ist eine Investition in die Zukunft: Die margers wollen Anerkennung, sie wollen Aufträge der öffentlichen Hand und von Finca-Besitzern, und sie wollen, dass es wieder einen echten Ausbildungsweg statt nur ein paar mehrwöchige Kurse für ihren Beruf gibt.

Eingeweiht werden soll der wohl größte Trockensteinmauerbau Mallorcas der vergangenen 50 Jahre Ende Oktober. Dann soll eine Treppe von der Straße hinunter zum Fußende der Wand führen, um sie dort in ihrer ganzen Pracht zu bestaunen. Hier ist eine Art Rastplatz geplant - vielleicht auch mit einem Schaukasten, der die Arbeit dokumentiert -, oben in der Kurve ein kleiner Parkplatz. Schon eingemeißelt in die Mauer ist gut sichtbar die umrandete Jahresmarke des Bauwerks. Sie wirkt ganz historisch, würde da nicht „2019" stehen.

Kontakt

Gremi de Margers de Mallorca

www.facebook.com/gremidemargers

Tel.: +34 646-33 47 54

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